Lag es tatsächlich an der Ausstattung seines Hotelzimmers, dass Oscar Wilde am 30. November 1900 starb? Untergebracht im luxuriösen Pariser „Hotel d’ Alsace“, sollen seine letzten Worte nämlich „Entweder geht diese scheußliche Tapete – oder ich“ gewesen sein – wie die Tapete ausgesehen hat, ist nicht überliefert! Um weitere Dramen dieser Art zu verhindern, haben die Münchner Wochenanzeiger beschlossen, gemeinsam mit ihren Leserinnen und Lesern auf die Suche nach Münchens scheußlichster Tapete zu gehen, damit diese durch eine moderne, traumhaft schöne Tapete ersetzt werden kann. Schließlich ist der Begriff „Tapetenwechsel“ sehr positiv besetzt, strotzt er doch vor Tatkraft sowie Aufbruchstimmung; und der Slogan des Deutschen Tapeten-Instituts unterstreicht: „Tapete macht aus Wänden ein Zuhause.“
Bereits in weit zurückliegenden Zeiten und in allen Kulturen haben Menschen ihre Behausungen geschmückt, um sie zu verschönern und wohnlicher zu machen, sei es mit Felsritzungen, Höhlenmalereien, Fresken, durch Wandverkleidungen aus vergoldetem Leder oder mit überaus wertvollen Gobelins, also großen Wandteppichen. So beinhaltet auch das heute gebräuchliche, aus dem Lateinischen stammende Wort „Tapete“ den Begriff Teppich. Vergoldetes Leder und teure Wandteppiche waren ursprünglich natürlich Monarchen und anderen Herrschern vorbehalten; so ist es überliefert, dass französische Adlige ihre kostbaren Gobelins auf ihren Reisen von Schloss zu Schloss mitführten.
„Die ersten bedruckten Wandpapiere für bürgerliche Haushalte stammen aus dem 14. Jahrhundert, einer Zeit, in der die Papierherstellung noch als handwerkliche Kunst galt“, ist auf der Homepage ( www.tapeten.de ) des Deutschen Tapeten-Instituts (DTI) zu lesen. „Erst die Kombination von Papierherstellung und Druck ermöglicht eine Art Serienfertigung: In französischen und englischen Papiermanufakturen entstehen als Vorläufer der Tapete die sogenannten Dominotiers. Sie werden bereits im 17. Jahrhundert mit Modeln aus Holz gedruckt und haben Rapportmuster, die eine fortlaufende Flächengestaltung erlauben – eine Drucktechnik, die sich bereits im Stoffdruck bewährt hatte. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts kommen in England erste raumhohe Tapetenbahnen auf, die aus zusammengeleimten, handgeschöpften Papierbahnen bestehen. Mit der Zeit entwickelt sich zudem eine immer ausgeklügeltere Handdrucktechnik.“
Handbemalt oder mit Schablonen und Holzmodeln bedruckt sei so schließlich eine breite Palette verschiedenster Dessins entstanden. „Den Höhepunkt der Entwicklung stellen die Panoramatapeten dar. Auf bis zu 32 Tapetenbahnen, die allesamt mit Holzmodeln bedruckt werden, zeigen sie imposante Kriegsschauplätze, Stadtansichten und Landschaften. Die Erfindung des Rundschöpfsiebes macht um 1830 die Herstellung von Endlospapier möglich. Der erste Schritt zur industriellen Produktion der Tapete ist damit vollzogen.
Die anfangs noch dampfbetriebenen Maschinen des Rotationsdrucks ermöglichen nicht nur eine Produktionssteigerung, sondern auch günstigere Preise. Die Herstellung der Walzen ist jedoch noch kunsthandwerklich und wenig rational: Die massiven Holzwalzen werden von Formstechern kunstvoll mit Metallstegen bestückt und größere Farbflächen mit Filz ausgefüllt. Erst die Einführung des Nacheinanderdrucks einzelner Farben auf modernen sogenannten Schnell-Läufern machten die Tapetenherstellung schließlich effizient und flexibel.“
Tapeten machen Räume wohnlicher, doch so unterschiedlich wie deren Bewohner ist auch der Geschmack: In der Deutschen Renaissance sind Samtbrokat und vergoldetes Leder Attribute feudalistischer Selbstdarstellung, im Rokoko wandeln sich die Motive ins Zierliche und Leichte, der Klassizismus bringt die geradlinige Formensprache der Antike zurück im Biedermeier sind Panoramatapeten, kleine Muster und romantische Motive beliebt; der Jugendstil verlangt nach floraler Ornamentik und Art Déco nach neuer Sachlichkeit, im Funktionalismus folgen Form- und Farbdesign dem sachlichen Zweck – und heute gibt es Tapeten aus den unterschiedlichsten und dennoch leicht verarbeitbaren Materialien in einer großen Vielfalt an Mustern und Designs.
Wenn Sie nun meinen, liebe Leserinnen und Leser, dringend einen Tapetenwechsel zu brauchen, dann senden Sie uns unter dem Motto „Wir sind München” ein Foto Ihrer Wandverkleidung zu. Wer die scheußlichste Tapete hat, kann sich freuen: Der Baumarkt OBI spendiert das gesamte Renovierungsmaterial und führt die Arbeiten gewohnt fachmännisch durch. Das ist gut so, denn Fachleute wissen einfach mehr rund um die Wandverkleidung. Zur Wahl steht für den Gewinner folgende Leistung: Das gewünschte Zimmer wird neu tapeziert oder in einer Wunschfarbe gestrichen.
Tapeten können also viel Positives bewirken, tödlich dagegen wirken sie wohl kaum: Nach seiner Entlassung aus dem Zuchthaus von Reading war der gesundheitlich schwer angeschlagene Oscar Wilde nach Paris geflüchtet. Obwohl Wilde völlig mittellos war, hatte ihn der Besitzer des besagten Luxushotels im besten Zimmer untergebracht und ihm das leckerste Essen und den erlesensten Wein aufgetischt, was zu Wildes berühmtem Bonmot „Ich sterbe über meine Verhältnisse“ führte. Schon vor seiner Haft hatte Oscar Wilde einen Ohrenspezialisten wegen Taubheitsgefühlen kontaktiert, er starb an den Folgen einer Hirnhautentzündung, die von seiner chronischen Mittelohrentzündung verursacht worden war.
Das Luxushotel im Pariser Szeneviertel Saint-Germain-des-Prés gibt es dagegen noch immer. Es heißt nun schlicht „L’Hôtel“ und ist dafür bekannt, Prominente wie Katharine Hepburn, Salvador Dali, Frank Sinatra, Elizabeth Taylor oder Johnny Depp zu beherbergen. Stardesigner Jacques Garcia hat das kleine Hotel mit 20 Zimmern vor wenigen Jahren neu eingerichtet, das hoteleigene Restaurant führt einen Michelin-Stern und im Jahr 2008 hat das amerikanischen Mode und Lifestyle Magazin Harper’s Bazaar das Hotel mit dem Preis „Best Urban Hotel in World“ ausgezeichnet – sich dorthin zu begeben, um Oscar Wildes scheußliche Tapete zu suchen, ist also zwecklos.