In dieser Serie stellen wir in loser Reihenfolge ungewöhnliche Nachbarn vor

Glockenbachviertel · Stadt-Bewohner

»Ich habe 100 Geschichten auf Lager«: Cordula Gerndt ist Erzählerin von Beruf.

»Ich habe 100 Geschichten auf Lager«: Cordula Gerndt ist Erzählerin von Beruf.

Glockenbachviertel · Die Geschichtenerzählerin - Cordula Gerndt arbeitet mit Engeln, Prinzessinnen und Zwergen. Bevor sie anfängt, eine Geschichte zu erzählen, holt Cordula Gerndt tief Luft. Dann kräuselt sie ihre Nase, winkelt beide Arme an – und legt los.

Von gewieften Marktverkäufern, verträumten Prinzessinnen, Engelsfedern und Drehzeh-Zwergen berichtet sie: die 34-jährige Münchnerin ist professionelle Geschichtenerzählerin. »Geschichten haben mich schon immer begleitet«, sagt sie – und ihre Stimme macht sogar bei diesem kurzen Satz einen Bogen von kräftig zu sanft.

Bevor sie sich vor drei Jahren als Erzählerin mit ihrer »Geschichtenpraxis« im Glockenbachviertel selbstständig gemacht hat, hatte sie in Stuttgart als Lektorin für Kinderbücher gearbeitet. »Mein Schlüsselerlebnis hatte ich dort bei einer Weihnachtsfeier, als ich von einer Geschichte aus einem besonders schönen Kinderbuch berichtete«, erinnert sie sich. Die Tatsache, frei zu reden, die Zuhörer dabei ansehen zu können und sie »mit unsichtbaren Seidenbändern in das Reich der Erzählung zu führen«, hat Gerndt so fasziniert, dass sie Rhetorik-Kurse besuchte und beschloss, künftig mehr Geschichten zu erzählen.

Wenn Gerndt erzählt, entstehe zwischen ihr und den Zuhörern ein magisches Band. »Mein liebstes Publikum sind Kinder. Die steigen ab der ersten Sekunde in die Geschichte ein und leben mit. Die fragen einfach, wenn sie sich etwas nicht vorstellen können, oder schlagen vor, wie es weitergehen könnte. Erwachsene brauchen länger, bis sie sich einlassen. Viele denken ohnehin, dass ich etwas vorlese, und sind dann erstaunt, wenn ich kein Buch zur Hand nehme«, sagt sie schmunzelnd. Um eine Geschichte gut zu erzählen, brauche man laut Gerndt »innere Bilder«: »Ich beschreibe einfach, was ich sehe, und erzähle Bild für Bild. Deswegen lerne ich auch fast nichts auswendig – es sei denn, eine Passage ist so schön geschrieben, dass ich sie Wort für Wort wiedergeben will.«

Praktisch all ihre Geschichten haben gemeinsam, dass deren Elemente nicht ernsthaft, nicht realistisch bleiben. Ein sprechender Tisch, ein Wolf, der seine Version von Rotkäppchen erzählt – so etwas mag Gerndt. »Spontan habe ich rund hundert Geschichten auf Lager«, sagt sie. Als »Märchentante« wird sie allerdings nicht gerne bezeichnet: »Mir geht es um die Kraft der Worte und der Geschichten. Und Märchen sind ja auch Geschichten«, findet sie.

Eines ihrer schönsten Erzähl-Erlebnisse hatte Gerndt übrigens mit einem Kinderpublikum. »Ich habe die Geschichte von einem Engel erzählt und am Schluss eine kleine Feder gezeigt, die der Engel auf der Erde gelassen hat. Ein recht kritischer Junge hatte an dieser Feder gerochen und erstaunt festgestellt, dass diese Feder ja tatsächlich nach Engel rieche!« Jennifer Bligh

Artikel vom 25.01.2006
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