Das Fest kann nicht ausfallen

Die Weihnachtsbotschaft von Pfarrer Carsten Klingenberg

Pfarrer Carsten Klingenberg (kl. Bild) schreibt die diesjährige Weihnachtsbotschaft. Unser Bild zeigt eine Krippe aus dem sizilianischen Caltagirone, die vor Jahren in der Theatinerkirche am Odeonsplatz aufgebaut war. F: priv

Pfarrer Carsten Klingenberg (kl. Bild) schreibt die diesjährige Weihnachtsbotschaft. Unser Bild zeigt eine Krippe aus dem sizilianischen Caltagirone, die vor Jahren in der Theatinerkirche am Odeonsplatz aufgebaut war. F: priv

Ismaning/Unterföhring · Neulich beklagte eine Gymnasiastin der 12. Klasse: „Mein letztes Schuljahr. Und ich kann in den Freistunden keinen Gang über der Christkindlmarkt machen.“ Dahinter steht eine große Enttäuschung.

Das war doch immer etwas Herausragendes in dieser Zeit vor Weihnachten: Der Christkindlmarkt mit seinen Düften und Melodien, der Gemeinschaft, dem Angebot von Schmuck, Krippenfiguren, zahlreichen anderen Angeboten und der gemütlichen Vielfalt an kulinarischen Besonderheiten. Alles, was in dieser Adventszeit einem Freude bereiten könnte, scheint abgesagt. Weihnachtsmärkte sind abgesagt.

Weihnachtsfeiern sind abgesagt. Und wie wird es an Weihnachten selber sein? Ist dann auch alles abgesagt?

Wir haben unsere Vorstellungen von Weihnachten. So muss es sein. Wir träumen von stimmungsvollen Momenten, von Frieden auf Erden, von warmen Lichtern, von Geborgenheit, von Begegnungen mit netten Menschen. Doch die Pandemie scheint uns Weihnachten zu zerstören. Aus der Traum von einer heilen Welt! Das ist so gemein! Da kommt dieses kleine Virus und nimmt uns jegliche Freude an diesem Fest und am Leben. An Weihnachten muss doch alles passen, sonst können wir nicht feiern.

Doch war Weihnachten jemals perfekt? Mir kommen die Worte von einsamen und armen Menschen in den Sinn. Manch einer hat sich auch in früheren Jahren gerade vor diesem Fest gefürchtet. Da feiern die einen in der Familie und sind glücklich. Doch man selber bleibt allein zuhause, hat nur Streit mit anderen oder ist von einer Krankheit oder einem anderen schweren Einschnitt ins Leben getroffen. Und viele von diesen Menschen, die solche Erfahrungen gemacht haben, sagen: „Weihnachten ist für mich abgesagt! Da kann ich nicht mitfeiern.“

Vor einigen Jahren war in der Theatinerkirche St. Kajetan am Odeonsplatz eine wunderschöne Krippe aufgebaut. Krippenbauer aus dem sizilianischen Caltagirone haben sie gestaltet. Es war eine anmutig anzuschauende Landschaft mit einem Dorf und einer Hügelkette. Während im Dorf die Menschen ihrer Arbeit nachgingen, ihre Waren verkauften oder in der Wirtschaft miteinander saßen und etwas tranken, waren andere Menschen unterwegs auf den Wegen durch das Hügelland oder standen am Fluss, um zu angeln. Das sah alles nach einer freundlichen und heilen Welt aus, einfach schön anzusehen.

Während ich damals um diese Krippenlandschaft herumging und alles Mögliche fotografiert habe, kam ich immer mehr ins Grübeln. Da fehlt doch etwas! Da fehlt das eigentliche Ereignis! Und so habe ich erst noch einmal genau hinschauen müssen, bis ich endlich – weit abseits vom Dorf – in einer Höhle den zentralen Punkt des Weihnachtsgeschehens entdeckt hatte. Da waren sie: Maria und Josef, das Christuskind, Ochs und Esel, die Hirten und die Könige. Beinahe hätte ich sie übersehen. Und das bringt mich zum Nachdenken.

Übersehen wir nicht auch so leicht das, worum es an Weihnachten geht, wenn wir auf ein friedliches Fest mit all dem Schmuck und Glimmer aus sind? Stehen wir nicht in der Gefahr, auf alles Mögliche zu achten, doch die Botschaft, um die es an Weihnachten geht, vergessen wir allzu schnell?

Die Krippe der Krippenbauer aus Caltagirone hat mir eines ganz neu bewusst gemacht: Wir lassen uns so leicht vom Leben in den Bann ziehen. Wir denken an Köstlichkeiten, die es zu kaufen gibt, an Gemeinschaft mit anderen Leuten, an schöne Augenblicke, an Spaziergänge durch liebliche Landschaft, an Hobbys wie das Angeln…Aber was ist, wenn das alles mal nicht so funktioniert, wenn das alles nicht so möglich ist? Und da bin ich ganz schnell wieder bei den Menschen, die mir ihr Leid mit dem Weihnachtsfest klagen.

Ist Weihnachten nur schön, wenn alles unseren Vorstellungen entspricht? Kann man Weihnachten nur feiern, wenn alles bestens ist? Und was ist dann, wenn es eben nicht so ist, wie man sich ein schönes Fest vorstellt? Aber blicken wir noch einmal auf das zentrale Geschehen der Weihnachtsbotschaft. War denn da alles perfekt? Nein, keineswegs! Maria und Joseph mussten einen mühsamen Weg von Nazareth nach Bethlehem zurücklegen. In der Stadt gab es keine freien Plätze mehr in den Herbergen. Und außerdem: Maria war schwanger!

Welcher Wirt nimmt schon gerne eine hochschwangere Frau auf? Das könnte ja so manche Umstände mit sich bringen! So musste selbst Jesus – noch ungeboren – die kalte Realität dieser Welt erfahren. Nicht jeder Mensch ist herzlich willkommen im Leben der Stadt. Deshalb blieb nur der Stall draußen vor der Toren der Stadt, draußen, außerhalb der Gesellschaft, nicht im warmen Haus, sondern in der Kälte des Viehstalls.

Ist das die Weihnachtsatmosphäre, von der wir träumen? Also ehrlich gesagt, das ist deutlich anders als unsere Erwartungen und Vorstellungen. Und mit einmal wird mir bewusst, wie leicht ich bei meinen Vorstellungen von einem gelingenden Weihnachten mich vom Kern des Festes wegbewegen lasse. Sind nicht gerade diejenigen, bei denen es im Leben gerade nicht so rund läuft, viel näher am Weihnachtsgeschehen dran, zumindest, wenn sie sich auf die Botschaft einlassen? Wie war es einst? Da sind Hirten auf das Geschehen im Stall aufmerksam geworden. Auch sie waren Menschen, die ein hartes Leben führten, am Rande der Gesellschaft, weil sie als unrein galten, da sie mit den Tieren zu tun hatten. Die Hirten waren Menschen, die sich nach einer anderen Welt sehnten, nach Anerkennung und Wärme, Geborgenheit und Frieden.

Und dann waren da auch noch die Könige – oder waren es Astronomen? -, jedenfalls Menschen vom Königshof, denen es eigentlich nicht schlecht ging, die aber auf der Suche nach einem tragenden Sinn für ihr Leben waren. Und auch sie kommen in die Einsamkeit des Stalls. Denn das, was sie suchen, fanden sie nicht bei den Reichen am Königshof.

Hirten und Könige knien nieder im Stall. Sie erkennen und entdecken: Der lebendige Gott hat sich aufgemacht, um in unsere Welt zu kommen, um uns nahe zu sein, gerade dort, wo das Leben nicht so zu gelingen scheint. Gott wird Mensch. Er wird einer von uns, um uns dort abzuholen, wo wir stehen – oder auch liegen, weil für uns eine Welt zusammengebrochen ist. Er macht sich selbst ganz klein und hilfsbedürftig, und doch strahlt er eine Zuwendung und Liebe, Geborgenheit und Frieden aus.

Die Hirten und die Könige gehen reich beschenkt wieder in ihr Leben zurück. Die Begegnung mit dem Mensch gewordenen Gott hat ihr Leben verändert. Für sie ist es Weihnachten geworden, weil Gott ihnen begegnet ist. Zu den Hirten sagte der Engel: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“ (Lukas 2:10-11)

Das ist Weihnachten: Gott kommt zu uns, um unser Leben heil zu machen. Weihnachten muss nicht äußerlich perfekt sein. Und gerade weil in diesem Jahr vieles anders ist, als wir es uns erträumen: Machen wir uns doch auf, wie einst die Hirten und die Weisen und gehen hinaus zum Stall. Es mag sein, dass wir eine Weile suchen müssen, aber wenn wir ihn gefunden haben, dann erleben wir: Es ist Weihnachten – und das trotz Corona. Denn Weihnachten kann nicht ausfallen, weil Gott mit uns ist. Carsten Klingenberg

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