Ein Kommentar von Alfons Seeler

Wohin geht es mit dem Grünwalder Stadion?

Dornröschenschlaf: Grünwalder Stadion. Foto: Anne Wild

Dornröschenschlaf: Grünwalder Stadion. Foto: Anne Wild

München/Giesing · Ob das Stadion an der Grünwalder Straße dem TSV 1860 München eine längerfristige Heimat für sein Unternehmen Profifußball sein kann, wird stark von den Entwicklungsmöglichkeiten und den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen abhängen, die dem Klub nach einem möglichen Umbau des städtischen Stadions dort zur Verfügung stehen. Ein Zwischenruf.

Die Süddeutsche Zeitung widmete sich in einem längeren Artikel vor kurzem verschiedenen bestehenden Problemlagen auf Giesings Höhen. Stellenweise wirken die von den Autoren skizzierten Konfliktfelder zwischen dem Referat für Bildung und Sport und den drei Mietern der Immobilie – TSV 1860, Türkgücü und FC Bayern – wie Beschreibungen aus einer anderen Zeit. Man mag kaum glauben, dass es der finanzstärksten Kommune eines führenden Technologielandes über ein halbes Jahrzehnt hinweg nicht möglich scheint, eine ausreichend dimensionierte Stromanbindung für ihr Stadion sicher zu stellen. Weshalb die Einrichtung eines leistungsstarken drahtlosen Netzwerkes zur Steuerung des digitalen Besuchereinlasses im Jahr 2021 zu einer Herkulesaufgabe gerät, ist nicht nachvollziehbar. Dass sich etliche Verpflegungskioske an Spieltagen nicht ihrer ursprünglichen Bestimmung gemäß nutzen lassen, weil sie von einer Abteilung des Baureferats seit vielen Jahren als Lagerflächen missbraucht werden, passt ins Bild. Wie man es auch dreht und wendet, das Grünwalder Stadion bedarf nach langem Dornröschenschlaf einer gründlichen baulichen Ertüchtigung.

Der politische Wille dazu wurde fraktionsübergreifend vom Münchner Stadtrat bereits im Juli 2019 erklärt, als das Frankfurter Stadtplanungsbüros Albert Speer + Partner in seinem Fachgutachten einen bundesligatauglichen Ausbau des Grünwalder Stadions als grundsätzlich möglich beschrieb. 2020 erteilte die Lokalbaukommission einen positiven Bauvorbescheid. Doch seither stockt das Vorhaben. Mitte Oktober wandte sich nun die CSU-Fraktion mit einem Fragenkatalog an Oberbürgermeister Dieter Reiter. Ihr Fraktionschef Manuel Pretzl versäumte es in begleitenden Pressegesprächen nicht, dem SPD-Stadtoberhaupt in Sachen Grünwalder Stadion ein leeres Wahlkampfversprechen zu unterstellen. Mittlerweile haben sich auch die Stadträte der Freien Wähler in einem Antrag zu Wort gemeldet. Auch sie wünschen sich Aufklärung: »Der Oberbürgermeister wird gebeten, die verschiedenen Umbau- und Erweiterungsvarianten des Stadions an der Grünwalder Straße sowie die damit verbundenen Mietkostenmodelle für die betroffenen Vereine zugänglich zu machen.«

Reiter wollte die Andeutung der CSU nicht auf sich sitzen lassen, erkundigte sich in den beteiligten Referaten nach dem aktuellen Sachstand und ging im TV-Format »Stadtgespräch« des lokalen Fernsehsenders münchen.tv in die Offensive. Doch sein Auftritt geriet zum Bumerang. Vermutlich ahnte in der Verwaltung niemand, dass das Stadtoberhaupt sich mit der an ihn übermittelten Wasserstandsmeldung gleich in eine Talkshow setzen würde. Dort versuchte Reiter vor laufender Kamera den Eindruck zu erwecken, der schleppende Fortgang würde am TSV 1860 hängen, dessen Funktionäre sich wieder mal uneins wären und denen darüber hinaus die Mietkonditionen zu hoch seien. Reiter wörtlich: »Die Beschlussvorlage konnte bislang nicht in den Stadtrat eingebracht werden, weil man sich mit dem TSV 1860 nicht auf die Miete einigen konnte.« Eine Behauptung, die schnell in sich zusammenfiel. Denn bis dato liegen keinem der drei Klubs überhaupt konkrete Planungsunterlagen der Stadtverwaltung zum Ausbau vor und schon gar keine Berechnungsmodelle zur Höhe einer künftigen Miete.

Weiter erklärte Reiter, man baue das Stadion zwar grundsätzlich für drei Vereine um, »aber die Erhöhung der Zuschauerzahl, die ist tatsächlich nur für einen Verein, das ist der TSV 1860, denn die beiden anderen Nutzervereine brauchen nicht mal 15000 Zuschauer«. Zur Erklärung: die Zulassungsvorschriften der DFL sehen für Stadien der Bundesliga und 2. Liga ein Fassungsvermögen von mindestens 15000 Zuschauern vor, davon wenigstens 8000 Sitzplätze in der höchsten Spielklasse und 4500 Sitzplätze eine Klasse darunter.

Einen etwas wirren Eindruck hinterließ Reiter mit seiner Darstellung, er wisse nicht, mit wem er es bei den Löwen zu tun habe. Dort gäbe es verschiedene Strömungen, die mal dies, mal das fordern würden. Dabei bezog er sich im TV-Studio auf nicht näher bezeichnete Online-Medien, aus deren Veröffentlichungen er zum Schluss käme: »Den TSV 1860 in der Stadionfrage gibt es dummerweise nicht.« Ein Oberbürgermeister, der die Ebenen nicht unterscheiden kann? Der einen von ihm im Vorfeld der letzten Kommunalwahlen selbst initiierten Fandialog für Verhandlungen mit dem TSV 1860 hält? Schwer vorstellbar. Teilnehmer der einmalig im Jahr 2019 stattgefunden Zusammenkunft berichten, Reiter hätte den Fanvertretern damals zugesagt, die Berechnungsgrundlage für die Höchstgrenze von 18.105 Zuschauer in einem umgebauten Grünwalder Stadion prüfen zu lassen. Auf eine Antwort aus dem Rathaus warten sie bis heute.

Im Fall des deutschen Rekordmeisters und Rekordpokalsiegers FC Bayern zeigte sich die Landeshauptstadt in der Vergangenheit überaus aufgeschlossen gegenüber den Interessen des Profisports. Für den Bau der Arena in Fröttmaning flossen in die Erschließung des Grundstücks offiziell minimum 210 Millionen Euro aus Steuermitteln. Zudem wurde zu Gunsten des Bauherrn eine erhebliche Reduzierung des Grundstückspreises durch eine Umwidmung des Areals vom Gewerbegebiet zur Sondernutzungsfläche erreicht. Kritiker sprechen davon, der Bodenwert sei durch diesen politischen Kniff von ursprünglichen 84 Millionen Euro auf 14 Millionen Euro gesunken.

Auch die Errichtung der neuen 11.500 Zuschauer fassenden Multifunktionshalle (genannt SAP Garden) des Getränke- und Unterhaltungskonzerns Red Bull und des FC Bayern Basketball im Olympiapark wäre ohne die äußerst wohlwollende Unterstützung der Landeshauptstadt München nicht möglich. Sie verschafft dem privaten Betreiber mit der Abnahme von Eiszeiten für gemeinnützige Vereine und öffentliche Publikumsläufe zudem garantierte Mieteinnahmen.

Während sich für den FC Bayern traditionell die Spitzen der bayerischen Politik persönlich zuständig fühlen, scheinen sportpolitische Anliegen des TSV 1860 München an den Schreibtischen der lokalen Verwaltung zu versanden. Der politische Gegner der regierenden Koalition im Rathaus hat sich, taktisch nicht ungeschickt, in Stellung gebracht. Sollte sich dessen Deutungsweise – Rot-Grün hat mit dem Grünwalder Stadion einen Wahlkampfbluff an der Anhängerschaft des TSV 1860 begangen – als Legende in den Köpfen festsetzen, hätten Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und seine Stellvertreterinnen Kathrin Habenschaden (Grüne) und Verena Dietl (SPD) einen politischen Flurschaden verursacht, der für ihre Parteien als Hypothek lange nachwirken dürfte.

Technokratische Erklärungen werden nicht für Entlastung sorgen. Das Grünwalder Stadion ist für den TSV 1860 München und seine Anhängerinnen und Anhänger kein Autotunnel oder ein Fahrradschnellweg. Es hat neben seinem Gebrauchswert eine hohe symbolische Bedeutung. Dass die politische Verantwortlichkeit im Fall eines Scheiterns nicht in Vergessenheit gerät, dafür sorgen vor Wahlen schon die Wettbewerber im Parteienspektrum. Die Stadtspitze täte gut daran, die in diesem Thema steckende Brisanz nicht zu unterschätzen.

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Artikel vom 18.11.2021
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