Löwen-Präsident Robert Reisinger im Gespräch

»Mythos Sechzger-Stadion bewegt Menschen«

Optimistisch: Präsident Robert Reisinger. Foto: Anne Wild

Optimistisch: Präsident Robert Reisinger. Foto: Anne Wild

München/Giesing · Der TSV 1860 München spielt sportlich unverhofft um den Aufstieg mit. Doch das Städtische Stadion an der Grünwalder Straße ist in seinem derzeitigen Zustand nicht tauglich für die technischen Anforderungen in der Zweiten Liga. Wie ist der derzeitige Planungsstand und was will der Verein? Die Münchner Wochenanzeiger haben nachgefragt bei Präsident Robert Reisinger.

Robert Reisinger (57) ist seit Juli 2017 Präsident des TSV 1860 München. Von Juli 2015 bis Juni 2017 war Reisinger Mitglied im Verwaltungsrat des eingetragenen Vereins, davor hatte der gebürtige Münchner zwischen 2009 und 2013 das Amt des Abteilungsleiters Fußball inne.

Herr Reisinger, der TSV 1860 München klopft sportlich vielleicht schon in dieser Saison an die Tür zur 2. Liga. Nur beim Stadion scheint nichts vorwärts zu gehen?

Das stimmt doch nicht. Die Stadt München hat 2019 eine Machbarkeitsstudie für einen Umbau in Auftrag gegeben und im gleichen Jahr das Ergebnis den Vereinen und der Öffentlichkeit vorgestellt. 2020 wurde ein positiver Bauvorbescheid erlassen. Das geschieht nicht, wenn die Stadt überhaupt kein Interesse daran hätte. 2021 will der Stadtrat darüber entscheiden. Wie die Politik warten auch wir als Klub derzeit noch auf konkrete Details und Planungszahlen.

Sie sollen selbst Verfechter eines Neubaus an anderer Stelle sein?

Wer behauptet sowas?

Erzählt man sich in Fankreisen, hab ich aber auch schon von einzelnen Funktionären gehört.

Ich bin ein Verfechter wirtschaftlich tragfähiger Lösungen für den TSV 1860 und einer genauen Prüfung aller Umstände. Einen kategorischen Ausschluss »Grünwalder und sonst nix« darf ich als Präsident und Gesellschaftervertreter nicht treffen. Auch wenn mancher sich das wünscht. Das dürfen Fans fordern – und für ihre Haltung habe ich Verständnis. Ihr Engagement für den Standort Giesing ist wichtig. Aber ich kann in meiner Rolle als Gesellschaftervertreter nicht alles auf eine Karte setzen, ohne überhaupt entscheidungsrelevante Fakten zu kennen.

Die Stadt München vermisst angeblich ein langfristiges Bekenntnis des TSV 1860 München zum Grünwalder Stadion?

Hier müssen wir bitte zwei Dinge dringend auseinanderhalten. Ein öffentliches Bekenntnis des TSV 1860 München zum Standort Giesing gibt es längst. Wir haben seit dem Sommer 2017 immer wieder betont, wie wichtig das Grünwalder Stadion für uns als Verein ist – kulturell und sportlich. Das ist ein ganz klares politisches Signal. Was es nicht gibt, ist eine formelle Erklärung. Die kann es aber auch nicht geben, solange nicht klar ist, was wann wie und in welchem Umfang umgebaut werden soll, welche Nutzungs- und wirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeiten sich für die Profi-Fußballgesellschaft daraus ergeben und wie hoch die künftige Miete sein wird.

Aber dreht man sich dabei nicht im Kreis und verliert Zeit?

Nein. Erst wenn konkrete Zahlen für den geplanten Stadionumbau auf dem Tisch liegen und unsere Geschäftsführung Berechnungen anstellen kann, die im Ergebnis überzeugen, kann sich der TSV 1860 für einen zu definierenden Zeitraum X verpflichten. Alles andere wäre eine Wiederholung alter Fehler. So etwas wie mit der Allianz Arena, bei der ein Miet- und Servicevertrag unterschrieben wurde, der der KGaA jede Luft zum Atmen nahm, darf nie mehr passieren. Das Grünwalder Stadion muss dem TSV 1860 im umgebauten Zustand eine wirtschaftliche Perspektive bieten. Ich bin überzeugt, dass der Standort Giesing sich für uns in der 3. und 2. Liga rechnen kann. Aber das brauche ich schriftlich. Wir sind der Stadtpolitik überaus dankbar, dass sie sich um das Grünwalder Stadion bemüht und fraktionsübergreifend Konsens darüber besteht, dass neben der Branchengröße FC Bayern auch kleinere Klubs eine Entwicklungsmöglichkeit in München haben müssen.

Wann soll das dann soweit sein?

Wenn ich morgen um die konkreten Daten weiß und unsere Geschäftsführung eine Wirtschaftlichkeitsberechnung durchführen kann, die zu einem vertretbaren Ergebnis führt, dann bin ich persönlich sofort dabei. Aber das liegt nicht in meiner Hand. Die Zeitachse dafür legt alleine die Stadtverwaltung fest. Die Umbauentscheidung fällt letztlich der Münchner Stadtrat.

Müsste der TSV 1860 nicht mehr Druck machen?

Davon halte ich gar nichts. Manchmal bekommen Entwicklungen eine Eigendynamik. Im Aufstiegsfall hätten wir eine Ausnahmegenehmigung für ein Jahr. Dann muss etwas passieren.

Die kolportierten Kosten für einen Umbau, finden einige Kritiker, seien zu hoch?

Es sind noch nicht mal offizielle Zahlen für den Umbau bekannt, aber Kritiker wissen schon Bescheid? Diese Menschen verstehen nicht, worum es geht und stellen den Aufwand für den Umbau des Grünwalder Stadions einem fiktiven Neubau an unbekanntem Ort gegenüber. Dazu werden dann Zahlen aus Karlsruhe und Buxtehude zum Vergleich herangezogen. Das ist eine Phantomdiskussion. Wer legt denn fest, was als hoch zu betrachten ist? Der Münchner Stadtrat hat mit großer Mehrheit im Herbst 2019 für vier Spiele der Fußball-Europameisterschaft und das Champions-League-Finale in der Allianz Arena über 40 Millionen Euro an Steuergeldern bereit gestellt. Wohlgemerkt, für die Austragung von fünf Spielen! Daneben wirkt der in der Presse beschriebene Finanzrahmen für einen langfristigen Umbau des Grünwalder Stadions, in dem anschließend hunderte von Spielen vor Publikum stattfinden werden, doch fast günstig.

Das war aber vor der Corona-Pandemie, heute würde das Geld wegen eingebrochener Steuereinnahmen nicht mehr so locker sitzen.

Möglich. Aber auch im Herbst 2019 ist der Münchner Stadtrat sicher nicht locker mit Steuergeldern umgegangen. Ich denke, das war eine bewusste strategische Entscheidung, die Europameisterschaft und das Champions-League-Finale nach München zu holen. Irgendwann ist die Corona-Pandemie auch vorbei und dann wird die Wirtschaft einen ziemlichen Boom erleben. Das ist immer so nach Krisen. Eine Ertüchtigung des Grünwalder Stadions wäre ebenfalls eine strategische Entscheidung. Sogar eine mit überaus positiven Auswirkungen für den heimischen Spitzensport.

Sie müssten sich das Grünwalder Stadion aber nach wie vor mit anderen Vereinen teilen?

An wie viele Parteien die Stadt München ihre Immobilie letztlich zu vermieten gedenkt, ist nichts, was ich zu entscheiden habe.

DFB/DFL erlauben in ihren Statuten keine drei Klubs in einem Stadion. Mit dem TSV 1860, Türkgücü und dem FC Bayern II ist also mindestens einer zu viel an Bord.

Das ist auch zu viel. Wir sehen das jetzt schon, selbst ohne Zuschauer.

Wer soll dann weichen?

Das kommentiere ich sicher nicht. Die Stadt München wird anhand nachvollziehbarer Kriterien eine Entscheidung treffen.

Ein Stadion in einer Umlandgemeinde mit günstigeren Baubedingungen wäre für den TSV 1860 keine Option?

Spielen die Münchner Philharmoniker in Allershausen? Ist das Münchner Volkstheater in ein Gewerbegebiet nach Unterhaching gezogen? Der TSV 1860 München gehört, wie sein Name schon sagt, nach München und nirgendwohin sonst. Im Idealfall nach Giesing. Ich sage immer wieder: Eine unbedachte Versetzung in die Peripherie würde das Herz und die Seele dieses Klubs zerstören.

Das Münchner Olympiastadion?

Ist ein Leichtathletikstadion und für Fußball nur bedingt geeignet. Für Open-Air-Großkonzerte ist es dagegen wunderbar. Ich liebe das Olympiastadion als architektonisches Wahrzeichen Münchens. Eine phantastische Architektur. In seiner unveränderbaren Form und Größe ist es aber nichts für uns. Seit 1997 steht das Olympiastadion unter Denkmalschutz. Bis einschließlich 2080, dann ist der Tod des Architekten 70 Jahre her, können aus urheberrechtlichen Gründen keine baulichen Veränderungen durchgeführt werden. Das muss man wissen, wenn man über das Olympiastadion als möglichen Spielort für den TSV 1860 spricht.

Ein Neubau im Stadtgebiet, vorausgesetzt ein Bauplatz würde gefunden?

Das halte ich zum jetzigen Zeitpunkt für illusorisch. Investoren zu finden, die ein solches Projekt finanzieren wollen, wäre dabei noch das geringste Problem. Das Objekt muss sich amortisieren. Die Renditeerwartung der Investoren würde automatisch zu Konditionen führen, die für einen Dritt- und Zweitligisten nicht zu machen sind. Der TSV 1860 ist ein gebranntes Kind was solche Projekte angeht. Wir haben als Klub erst noch andere Aufgaben zu lösen, bevor wir uns darüber Gedanken machen können.

Also doch Giesing?

Über die Qualität des Standorts in Giesing bin ich mir bewusst. Der TSV 1860 München hat hier eine emotionale Heimat, die durch nichts zu ersetzen ist. Wir hätten nach dem Sommer 2017 in keinem anderen Stadion in München auch nur annähernd so viele Dauerkarten verkaufen können. Auch nicht nach dem Aufstieg in die 3. Liga. Das war und ist für den TSV 1860 nur in Giesing möglich und hat zum wirtschaftlichen Überleben des Profifußballs beigetragen. Der Mythos Sechzger-Stadion bewegt Menschen und ist für den Klub ein Rettungsanker.

Trotz geringer Zuschauerplätze?

Auch dann. Für die 3. und für die 2. Liga ist das Grünwalder Stadion selbst mit einem verminderten Fassungsvermögen von 18.100 Zuschauern ein geeignetes Stadion. Die Hälfte der aktuellen Zweitliga-Klubs spielt in Stadien mit geringerer Kapazität. Wichtig sind ein wirtschaftlich zu betreibender VIP- und Business-Bereich und Einnahmen aus dem Catering im Stadion, ohne die geht es nicht. Wenn der TSV 1860 München eines Tages sportlich wieder so erfolgreich ist, dass er dauerhaft in der Bundesliga spielt, wird die Frage des Spielorts möglicherweise neu zu bewerten sein.

Interview: Alfons Seeler

Artikel vom 15.04.2021
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