Wann ist Weihnachten?

Gedanken zum Wunder der Weihnacht von Dekan Mathis Steinbauer

Dekan Mathis Steinbauer hat für die Leser des Südost-Kuriers seine Gedanken zum Fest niedergeschrieben. Er lädt alle ein, sich vom Wesen der Weihnacht berühren zu lassen. Foto: hw

Dekan Mathis Steinbauer hat für die Leser des Südost-Kuriers seine Gedanken zum Fest niedergeschrieben. Er lädt alle ein, sich vom Wesen der Weihnacht berühren zu lassen. Foto: hw

Ottobrunn · Vor einiger Zeit habe ich ein ungewöhnliches Weihnachtsbild, einen Linolschnitt, in die Hand bekommen. Darauf ist alles abgebildet, was traditionell zu einem Weihnachtsbild gehört: Die Krippe mit dem Jesuskind, Maria und Josef, Ochs und Esel, der Stern über dem Stall.

Allerdings ist da noch die linke Bildhälfte und die überrascht den Betrachter zunächst sehr. Da sitzt nämlich ein reichlich korpulenter Mann und trinkt. Genauer: Der Mann säuft. Es ist anzunehmen, dass er keine Limonade trinkt. Gerade leert er ein Glas bis auf den letzten Tropfen. In der anderen Hand hält er einen Krug, bereit zum Nachschenken.

Offenbar hat dieser Mann nichts im Sinn mit Weihnachten. Er hat dem Geschehen im Stall den Rücken zugewandt. Seine Augen sind blind für den großen Stern am Himmel und das Wunder der Heiligen Nacht. Ein wenig weihnachtlicher Mensch. Aber vor einer vorschnellen Verurteilung sollten wir uns in Acht nehmen. Wer weiß, warum er trinkt. Vielleicht ist er einsam. Vielleicht hat er Kummer und Sorgen.

Vielleicht hat ihm das Leben übel mitgespielt und er sieht keine andere Möglichkeit als seine Probleme im Alkohol zu ertränken. Vielleicht hat er noch nie in seinem Leben ein wirkliches Zuhause gehabt, einen Menschen, der ihn spüren lässt, dass er geliebt ist. Wer weiß. Es gibt so viele Gründe, warum Menschen zur Flasche greifen oder einer anderen Sucht verfallen.

Doch Weihnachten geschieht. Der Mann säuft. Aber Gott hat beschlossen Mensch zu werden, uns durch Jesus Christus als seine Söhne und Töchter anzunehmen. Der Mann kann diesem Beschluss den Rücken kehren. Aufheben kann er ihn nicht. Der Mann kann die Augen schließen. Der Stern verblasst deshalb nicht. Er kann Trinklieder grölen. Deshalb unterbrechen die Engel ihren Gesang nicht.

So ist unsere Welt. So ist unser Leben. Da stehen sich ständig scheinbar Unweihnachtliches und Weihnachtliches gegenüber. Wenn Weihnachten davon abhängen würde, wie wir uns verhalten, wie wir miteinander auskommen und ob wir die richtige Stimmung schaffen, dann wäre das Projekt Weihnachten von Anfang an gescheitert. Denn unsere menschlichen Bemühungen sind immer Stückwerk.

Das ist der Trost dieser Szene: Weihnachten geschieht allein, weil Gott es will. Gott lässt es Weihnachten werden, ob wir dafür in Stimmung sind oder nicht. Gott sagt. „Du Mensch, mit deinen Ängsten und Freuden, mit deinen Fragen nach dem Sinn des Lebens und deiner Sehnsucht nach Liebe, bist nicht mehr allein. Ich bin ein Mensch wie du geworden. Ich teile dein Leben und kenne deine Not. Ich bin dir ganz nahe, auch wenn du mich vielleicht lange nicht bemerkst. Ich will Dir Geborgenheit und Leben schenken. Keine Macht der Welt kann dich aus meiner Hand reißen. Du bist keine Nummer. Du bist, so entstellt und schuldbeladen du auch bist, unendlich kostbar, einzigartig.“

Jedes Kind lernt in unseren Breiten: Zu Weihnachten gehört weihnachtliche Stimmung. Am Besten, es liegt Schnee. Plätzchen müssen gebacken werden und der Christbaum geschmückt. Auf jeden Fall sollte Harmonie herrschen in der Familie, wenigstens für einen Tag.

Was geschieht aber, wenn Weihnachten kommt, und einer wie der Mann auf dem beschriebenen Bild, ist nicht in Stimmung dafür? Da kann unser Bild mit seinen Gegensätzen wertvolle Hilfestellung geben.

Wenn du deinen Christbaum aufgestellt und geschmückt hast, dann ist das in Ordnung. Warst du nicht in der Stimmung zum Christbaumschmücken, bist du deswegen kein schlechterer Mensch. Herrscht in deiner Familie Harmonie, gut. Ist gerade in dieser Zeit Streit in deinem Haus, dann ist Gott euch trotzdem nahe und hofft, dass ihr euch in seinem Frieden bergt und euch versöhnen lasst.

Weihnachten kommt nicht, weil in unseren Häusern alle ihr Festtagsgewand anziehen und Gänsebraten essen. Weihnachten kommt, weil Gott es will, unumstößlich, uns zuliebe.

Die jüdische Schriftstellerin Nelly Sachs hat einmal geschrieben: „Klagemauer Nacht von den Blitzen eines Gebets kannst du zertrümmert werden. Und alle, die Gott verschlafen haben, wachen hinter deinen stürzenden Mauern auf.“ Es braucht nicht viel, dann stürzen die Mauern in deinem Leben. Es braucht nicht viel, dann wendet sich der Verzweifelte zum Wunder der Heiligen Nacht. Dann kommen Gottes Kinder, schweren oder leichten Herzens, zur Krippe. Dann wachen wir Schläfer auf zu Gott. Es braucht nicht viel- ein Gebet wie ein Blitz, ein Stoßgebet, und das Licht der Heiligen Nacht dringt in unser Herz, das Leben wird hell, Hoffnung keimt auf, Sinn wird sichtbar und wir spüren die Liebe Gottes, die uns und unseren Nächsten umhüllen will wie ein warmer Mantel, an Weihnachten und alle Tage unseres Lebens.

Mathis Steinbauer
(Dekan des Prodekanatsbezirks München-Südost und Pfarrer der evang. Michaelskirchengemeinde Ottobrunn- Neubiberg-Hohenbrunn)

Artikel vom 24.12.2019
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