Ein besonderer Fußballer

Laszlo lässt sich trotz Hörverlust einfach nicht unterkriegen

Laszlo Nagy hats fußballerisch einfach drauf - trotz Handicap spielt der Zwölfjährige begeistert Fußball beim TSV Grünwald. Foto: RedHe

Laszlo Nagy hats fußballerisch einfach drauf - trotz Handicap spielt der Zwölfjährige begeistert Fußball beim TSV Grünwald. Foto: RedHe

Grünwald · Die „Gegner“ im Garten des elterlichen Anwesens haben keine Chance. Laszlo kriegt sie alle mit der engen Ballführung eines talentierten Mittelfeldspielers. Bäume und Sträucher, ein abgestellter Rasenmäher, ein Wäschepilz und am Ende noch vorbei an Familien-Hündin Mathilda, die verwundert dreinblickt und das Geschehen bellend wie schnaubend kommentiert.

Am Ende seines Sturmlaufs hat der Zwölfjähige sein Ziel kurz anvisiert – um dann mit einem trockenen Spannschlag das runde Leder punktgenau in die Maschen zu jagen. Heute allerdings nicht ins Tor, sondern mitten in die Thujenhecke. Mama Katalin Dömötör schmunzelt kopfschüttelnd. Sie kennt ihren kleinen, fußballverrückten Racker.

Normalerweise lebt sich der Energie geladene Teenager in der D-Jugend des TSV Grünwald sportlich so richtig aus. „Aber heute haben wir kein Training“, bekennt Laszlo wehmütig. Am liebsten würde der Kleine jeden Tag das Runde in Richtung des Eckigen schlagen. „Die Mannschaft aus Bayerisch-Zell haben wir sogar 22:0 geschlagen“, erzählt er strahlend, während sich der kleine Mann den Schweiß von der Stirn reibt. An sich ist das alles nur eine nette Randnotiz. Doch bei Laszlo liegen die Dinge anders. Denn der Gymnasiast hat seit seiner Geburt ein Handicap.

Von Beginn seines jungen Lebens an begleitet den jungen Sportler eine Hörschwäche mit schleichendem Hörverlust. „Es wurde schlechter und schlechter“, betont die Mama. Während sie ihrem Sprössling liebevoll durch das schweißnasse Haar fährt, erzählt sie im Wohnzimmer von den schwierigen Anfängen. In Budapest als Sohn ungarischer Eltern geboren, kam Laszlos Familie mit Papa, Mama und den beiden Schwestern nach Bayern, als der Junge ein Jahr alt war. „Mit zwei Jahren musste Laszlo bereits ein Hörgerät bekommen – heute geht es längst nicht mehr ohne“, betont die Mutter. Doch der Junge begegnet seinem schweren Schicksal tapfer. Hier im Wohnzimmer ist der Ball tabu.

„Kunst, Mathe, Physik und Sport sind meine Lieblingsfächer“, leitet der begeisterte Anhänger von Ajax Amsterdam und dem FC Bayern München auf das Thema Schule über. „Er ist ein guter Schüler“, lobt die Mama. Laszlo hat sich währenddessen an dem kleinen, aber unübersehbaren Technikteil hinter seinem Ohr zu schaffen gemacht. „Tiefe Töne verstehe ich besser, höhere schlechter“, erklärt er.

In seiner Schule, dem Grünwalder Gymnasium, hat sich die Tonlage längst eingependelt. Laszlo sitzt ganz vorne in Reihe eins. Sein Hörgerät ist auf direktem Technik-Draht gegengekoppelt mit seinen Lehrkräften, die eigens für Laszlo ein Mikrofon am Revers tragen. „Das klappt toll“, kommentiert er knapp.

„Architekt“ nennt Laszlo als Traumberuf. Die Mechanismen mit dem leidigen Hörgerät hat er längst verinnerlicht. „Gerät aufsetzen und runternehmen, abends putzen und Batterien tauschen – das mache ich natürlich alles selber.“ Während der Junge sich umzieht, erklärt die Mutter die weiteren Zusammenhänge. „Laszlo musste erst einmal in die Grundschule für Hörgeschädigte in Johanneskirchen – das war frühmorgens und nachmittags ein ziemlicher Aufwand“. Heute zum Gymnasium in Grünwald ist es nur noch ein Katzensprung. „Lange war aber gar nicht klar, ob mein Sohn überhaupt ans Gymnasium kann.“ Einen großen Anteil an dieser Erfolgsgeschichte und der insgesamt so starken Entwicklung ihres Sprösslings schreibt die Mutter auch einer weiteren Person zu.

„Brigitte Luber aus Solln muss man einfach erwähnen – sie ist die beste Hörgeräte-Akustikerin überhaupt!“ Katalin Dömötör ist gefasst. Seit der Kleinkind-Zeit habe die Dame Laszlo intensiv, umfassend und sehr kompetent betreut. „Erst konnte er wegen der ungewohnten Situation mit dem Hörgerät gar nicht richtig sprechen. „Frau Luber hat sich alle Zeit für ihn genommen. Dafür sind wir ihr unendlich dankbar.“ Noch heute ist der Kleine jährlich vier- bis fünfmal zur intensiven Behandlung vor Ort. Denn eines hat auch Mutter Dömötör längst verinnerlicht. „Der Hörverlust ist unwiederbringlich und nicht heilbar.“

Doch all die Mühen haben sich offenbar gelohnt. Als Laszlo frisch eingekleidet zurück ins Wohnzimmer stürmt, ist alle Tristesse verflogen und König Fußball übernimmt wieder das Regiment. „Fan von Ajax Amsterdam bin ich, weil mein Papa in Amsterdam arbeitet“, klärt Laszlo eine bislang noch offene Frage. „Wir waren auch schon beim Live-Spiel gegen Den Haag“, strahlt der Junge. Die Torschützen zum 3:0 Sieg von Ajax kann er spielend herunterbeten. Doch noch wichtiger sind die eigenen, intensiven Fußballmomente.

Beim TSV Grünwald gibt Laszlo den „Sechser“ – sichert vor der Abwehr ab. Besonders hängen geblieben ist beim Teenager aber ein besonderes Ereignis im vergangenen Sommer. „Das Fußballcamp mit Simon Ollert war eine tolle Sache. Simon ist mein Vorbild“, bekennt Laszlo wie beim Dribbling ohne jede Umschweife. Der 22-jährige, einstige Profi-Kicker taugt auch zum veritablen Idol. Selbst seit der Geburt schwerhörig, spielt der talentierte Mittelfeld-Mann doch heute in der 3. Bundesliga bei der SpVgg Unterhaching. In diesem Jahr gründete der Vorzeige-Sportler aus Bad Kohlgrub in München den deutschlandweit ersten inklusiven Fußballclub IFC Munich United.

Im Camp, das Ollert als Chefcoach maßgeblich und im Team mit anderen Betreuern und Trainern durchführte, tummelten sich 30 Mädchen und Jungs aus ganz Deutschland beim mehrtägigen Programm. Ollert war es auch, der zusammen mit dem Hörgeräte-Hersteller Sonovia 2016 die international besuchte Ferien-Fußball-Veranstaltung mit besonderem Zuschnitt für hörgeschädigte Kinder und Jugendliche ins Leben gerufen hatte. „Das war toll“, so Laszlo. „Viel Fußball, Grillabende und Spiele“, fasst er schnörkellos zusammen. Auch pädagogisch sei das Projekt sehr gut betreut. „Ich will unbedingt wieder hin“, bekennt Laszlo. Seither habe er Brieffreundschaften „auch mit Jungs von ganz weit weg“. Die Mama nickt.

Katalin Dömötör hat offenkundig nichts dagegen. Fußball hält sie zwar „durchaus für eine harte und auch gefährliche Sportart“. Doch Ollerts Konzept hat auch sie überzeugt. Laszlo hofft auch aus weiterem Grund auf ein Wiedersehen mit den anderen Kids aus dem Camp. „Hier in Grünwald fragen die Kinder zwar immer viel zu meinem Problem – aber richtig verstehen sie es nicht.“ Dann der doch etwas traurige Nachsatz: „Richtig verstehen kann man das nur, wenn man selbst nichts hört.“

Doch Laszlo ist nicht lange traurig. Der Junge hat ein sonniges Gemüt und ist voller Pläne für die Zukunft. „Mich nervt das nicht mehr“ bekundet er im Stile des abgeklärten „Ausputzers“ vor der Abwehr. Was ihn „nervt“, das sind manchmal aber seine beiden älteren Schwestern. Der Grund liegt auf der Hand. „Die haben gar keine Ahnung vom Fußball“. Er dagegen hat neben anderen Wünschen vor allem auch ein klares fußballerisches Ziel. „Endlich ein Tor in der Liga“, wünscht er sich sehnlichst. Wer Laszlo beim zielsicheren Spannschuss in die Thujen-Hecke beobachten durfte, der hat keinen Zweifel: Dieser Wunsch wird in Erfüllung gehen. RedHe

Artikel vom 11.12.2019
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