Alzheimer Gesellschaft: Vorträge über Umgang mit Betroffenen und Projekt „Wohnsinn“

Kirchseeon · Leben mit Demenz lässt sich meistern

Patrizia Laaf bringt im Projekt „Wohnsinn“ Haus- und Wohnungsbesitzer sowie Wohnraumsuchende zusammen. Foto: Berwanger

Patrizia Laaf bringt im Projekt „Wohnsinn“ Haus- und Wohnungsbesitzer sowie Wohnraumsuchende zusammen. Foto: Berwanger

Kirchseeon · Eine Demenz ändert nicht nur den Alltag der Betroffenen, sondern auch jenen ihrer Angehörigen. Dass sie „Demenz akzeptieren und verstehen“ wollen, bewies der sehr gut besuchte gleichnamige Vortrag der Neurologin Dr. Julia Hartmann beim jüngsten Treffen der Alzheimer Gesellschaft Landkreis Ebersberg.

Ebenso interessiert verfolgten die Gäste auch die Ausführungen von Patrizia Laaf aus der Transition Town Initiative Grafing. Deren Projekt „Wohnsinn“ passe perfekt zum Einsatz Alzheimergesellschaft für bezahlbaren Wohnraum für Pflegekräfte, so 1. Vorsitzender Dr. Hans Gnahn.

Bis auf den letzten Platz besetzt war der Veranstaltungsraum des AWO-Seniorenzentrums „Gertrud-Breyer-Haus“ an diesem Abend, der rein zufällig auf den Auftakt der 1. Bayerischen Demenzwoche im Landkreis fiel.

Er machte deutlich, dass bei den Angehörigen von Menschen mit einer Demenz ein großer Informationsbedarf über die Erkrankung, insbesondere aber über den Umgang mit den von ihr Betroffenen besteht. Denn dieser erfordert neben Zeit, Fingerspitzengefühl und gesundem Menschenverstand auch ein wenig Hintergrundwissen.

Das zeigte Dr. Julia Hartmann in ihrem Vortrag über die „chronisch fortschreitende Erkrankung“ auf. Eine Demenz sei „eine Erkrankung des Gehirns, die zur Minderung geistiger Fähigkeiten“ etwa bei Konzentration oder Sprache führe, so die in Zorneding niedergelassene Ärztin. „Ein eigenständiges Leben ist im Verlauf der Erkrankung oft nicht mehr möglich“, erklärte sie. Unsicherheit oder Ruhelosigkeit in Folge der zunehmenden Orientierungslosigkeit seien nur einige der möglichen Verhaltensänderungen.

Es lohne sich, darüber nachzudenken, woher ein auffälliges Verhalten rühren könne. „Menschen mit einer Demenz haben eine veränderte Wahrnehmung“, so die Referentin. Sie berichtete von einer Patientin, welche die in ihren Teppich als Muster eingewebten Blumen pflücken wollte.

Auch die Selbstwahrnehmung unterliege einem Wandel: Weil das Langzeitgedächtnis am längsten erhalten bliebe, würden die Betroffenen immer mehr in der Vergangenheit leben. Tauchten traumatische Erinnerungen auf, die sie aber womöglich schon gar nicht mehr artikulieren könnten, sei dies gravierend. Auch wenn jedem Menschen mit Demenz individuell begegnet werden müsse, seien grundsätzlich Zeit und gesunder Menschenverstand gefragt, sagte Dr. Hartmann.

„Wichtig ist, dass Sie die Kranken nicht auf ihre Defizite hinweisen, sondern sich in sie hineinversetzen“, betonte sie. Und riet dazu, „auch mal alle Fünfe grade sein zu lassen.“

Betreuende sollte nicht darauf beharren, dass etwas sofort nach ihren Vorstellungen umgesetzt werde. „Wenn eine Situation schwierig ist, sprechen Sie Ihren Angehörigen auf etwas Vertrautes oder ein Haustier an“, das lenke ab.

Bei der Kommunikation solle auf einfache, kurze Sätze geachtet und Zeit zum Zuhören genommen werden. Ebenso wichtig sei die nicht-verbale Verständigung.

„Achten Sie auf Mimik und Gestik.“ Die Fähigkeit zum Wahrnehmen von Emotionen bliebe bemerkenswert erhalten, „eine Gereiztheit der Angehörigen kann zu Rückzug oder Aggressivität führen.“

Im Umgang mit Demenzkranken ruhig und gelassen zu bleiben, Überstimulation zum Beispiel durch einen zu lauten Fernseher und viele andere Eindrücke zu vermeiden, keine Diskussionen zu führen und nachzugeben, lauteten die Tipps der Neurologin, die auf Wunsch auch Hausbesuche macht.

„Bei übergriffiger, tätlicher Aggressivität darf man sich selber schützen und den Raum verlassen“, legte sie dem Publikum ans Herz. Sie empfahl ihm die auch im Internet herunterladbare zwanzig Seiten starke Broschüre der Deutschen Alzheimer Gesellschaft „Herausforderung Demenz.“

Allein im Landkreis Ebersberg würden derzeit rund 3.000 Menschen mit Demenz leben, in zehn Jahre werde deren Zahl Schätzungen zufolge bei 4.000 liegen, erklärte Dr. Gnahn. Sie seien auch auf Pflegekräfte angewiesen, doch diese würden immer weniger. Dazu trage auch der „Immobilienwahnsinn im Großraum München“ ein großes Stück weit bei.

„Neue Ideen und Denkansätze für bezahlbaren Wohnraum sind also gefragt, eine davon ist „Wohnsinn“, so Dr. Gnahn. Das von der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Grafing und einigen Grafinger Unternehmen unterstützte Projekt bringe Menschen zusammen. Patrizia Laaf hat es ins Leben gerufen, nachdem ihr und einer Freundin der Wohnungsleerstand in Grafing auf der einen Seite und die wachsende Zahl Wohnungssuchender auf der anderen Seite ins Auge gefallen waren.

„Seit September 2018 bieten wir monatliche Treffen für Haus- und Wohnungsbesitzer sowie Wohnraumsuchende an“, berichtete die ehrenamtlich engagierte Laaf. Menschen jeden Alters würden diese analoge Plattform des Kennenlernens schätzen - ob neue Mitbewohner oder einfach nur interessante neue Kontakte - so die Erfahrung der Initiatorin.

„Ich möchte noch mehr Menschen ermuntern, Gestalter Ihres Lebens zu sein und könnte mir zum Beispiel auch gut einen „Wohnsinn Kirchseeon“ vorstellen, ermunterte Patrizia Laaf das Publikum zum Ende ihrer Ausführungen. Ina Berwanger

Artikel vom 08.10.2019
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