Eine Frage der Identität

Ausstellung über Sportlerschicksale im Dritten Reich

Ernst Emanuel Simon beim Zieleinlauf, um 1919. Das Foto ist die Grundlage für das Titelbild der Ausstellung (links).	Foto: Familie Simon, Israel

Ernst Emanuel Simon beim Zieleinlauf, um 1919. Das Foto ist die Grundlage für das Titelbild der Ausstellung (links). Foto: Familie Simon, Israel

München · Es war im Sommer 1972, als das begeisterte Münchner Publikum dem Überflieger der heiteren Spiele zujubelte. Der US-Amerikaner Mark Spitz errang sieben Goldmedaillen, allesamt mit Weltrekordzeiten.

Es war im Sommer 1936, als das Berliner Publikum die Hochspringerin Gretel Bergmann nicht am Start ­erlebte, weil die damaligen deutschen Machthaber eine Nominierung der Sportlerin verhindert hatten. Beide Sportler haben etwas gemeinsam: Sie wurden beide in die International Jewish Hall of Fame aufgenommen. Während der Schwimmer 1972 für seine sportlichen Leistungen gefeiert wurde, wurde die Hochspringerin 1936 aufgrund ihrer jüdischen Herkunft diskriminiert und schikaniert. Es ist die bittere Ironie der Geschichte, dass es immer auch darauf ankommt, wann und wo man lebt. Gretel Bergmann war beileibe nicht die einzige jüdische Sportlerin, die unter dem entfesselten Antisemitismus und unter der Judenverfolgung im Dritten Reich leiden musste. Sie hatte das Glück, in die Vereinigten Staaten auswandern zu können, wo sie noch heute lebt. Andere jüdische Sportler hatten dieses Glück nicht.

Das Jüdische Museum München erzählt die Geschichten von »Jüdischen Identitäten im Sport«, so der Untertitel der Ausstellung »Never Walk Alone«, die am 22. Februar eröffnet wird.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts nahm die Sportbegeisterung in den damaligen deutschen Ländern unaufhaltsam zu. Die Vorstellungen vom modernen, gesunden und wohlgeformten Körper waren eng mit sportlicher Ertüchtigung und Disziplin verbunden. Wer genug trainierte, konnte durch körperliche Leistungen Anerkennung erlangen. Diese Entwicklung bot auch Deutschen jüdischer Herkunft viele Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Inte­gration und zum sozialen Aufstieg. Im Turnen, Fechten, Schwimmen, Bergsteigen, Tennis, Fußball und Boxen ­taten sich Athletinnen und Athleten jüdischer Herkunft hervor – auch solche, von denen die Öffentlichkeit den Hintergrund gar nicht kannten. So war die »blonde He«, die Weltklasse-Fechterin Helene Mayer, zunächst die Verkörperung sogenannter arischer Rassemerkmale, bis bekannt wurde, dass ihr Vater ein jüdischer Arzt war. Trotzdem nahm sie 1936 für das Deutsche Reich an den Olympischen Spielen in Berlin teil, was ihr einige Kritik eingebracht hatte.

Helene Mayer, die vor allem dadurch eine Beziehung zu München hat, da sie 1953 nach ihrem frühen Krebstod auf dem Waldfriedhof beigesetzt wurde, gehört zu den Sportlern, deren Lebensgeschichte in der Ausstellung beleuchtet werden. Auch Funktionäre wie Walther Bensemann, der an der Etablierung des Fußballs in Deutschland maßgeblich beteiligt war, und Kurt Lan­dauer, unter dessen Präsidentschaft der FC Bayern München 1932 erstmals Deutscher Meister wurde, rücken in den Fokus. Beide hatten unter dem Antisemitismus im Deutschen Reich schwer zu leiden, noch schlimmer traf es die Cousins Alfred und Gustav Felix Flatow aus Danzig. Beide gehörten 1896 zu den ersten deutschen Olympiasiegern überhaupt. Sie starben während des Zweiten Weltkriegs im KZ Theresienstadt. Auch ihre Biographien werden in der Ausstellung genauer betrachtet.

Das markante Eröffnungsbild der Ausstellung zeigt Ernst Emanuel Simon. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er für Deutschland, 1924 wanderte er nach Palästina aus und entzog sich so dem Antisemitismus in Deutschland. Anders als zum Beispiel Helene Mayer legte Simon Wert auf seine jüdische Herkunft. Schon als Student erreichte er mehrere regionale Meisterschaften im 800-Meter-Lauf, darunter 1921 die bayerische Meisterschaft. Dabei ging er jeweils für den Jüdischen TV Bar Kochba an den Start.

In der ersten Ausstellungsebene im Jüdischen Museum positionieren sich Sportler auf der Spielfläche. Die Konzentration auf einzelne Biografien erlaubt es, die Selbstwahrnehmung der Sportler zu betrachten und auch Zuschreibungen von außen offenzulegen. Deutsch­nationale Turner betreten ebenso die Spielfläche wie zionistische Läufer. Dass bestimmte Zuschreibungen von existenzieller Bedeutung sein konnten, zeigt ebenfalls die Geschichte von Helene Mayer. Sie durfte als »Jüdin« an den Olympischen Spielen 1936 teilnehmen. Aber sie war weder nach der Halacha (Religionsgesetz) jüdisch, noch ihrer Selbstwahrnehmung nach. Zur Jüdin wurde sie einzig durch die antisemitische Konstruktion der Nürnberger Rassengesetze.

Die Ausstellung »Never Walk Alone« zeigt anhand eines gesellschaftlichen Bereichs die Widersprüchlichkeit und Unsinnigkeit, auf der ein ganzes politisches System aufgebaut war. cr/red

Hintergrundinfo:
»Never Walk Alone. Jüdische Identitäten im Sport«
Jüdisches Museum München, St.-Jakobs-Platz 12
Dauer: 22. Februar 2017 bis 7. Januar 2018
Kuratorin: Jutta Fleckenstein in Zusammenarbeit mit Lisa-Maria Tillian-Fink und Lilian Harlander. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen (24,90 Euro).
Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr.
Eintritt: 6 Euro für Erwachsene (ermäßigt: 3 Euro).
Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren haben freien Eintritt.

Artikel vom 10.02.2017
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