Verdient um die Stadt

Grafings »Gesamtkunstwerk« Mischlewski ist nun Ehrenbürger

Adalbert Mischlewski wurde jüngst zum Ehrenbürger Grafings ernannt. Bürgermeister Rudolf Heiler bezeichnete den 93-Jährigen liebevoll als »Gesamtkunstwerk«. 	Foto: Sybille Föll

Adalbert Mischlewski wurde jüngst zum Ehrenbürger Grafings ernannt. Bürgermeister Rudolf Heiler bezeichnete den 93-Jährigen liebevoll als »Gesamtkunstwerk«. Foto: Sybille Föll

Grafing · Die Stadt Grafing hat einen neuen Ehrenbürger: Adalbert Mischlewski, Begründer der Städtepartnerschaft mit St. Marcellin in Frankreich, Leiter der Ökumene-Abende in der katholischen Pfarrei St. Ägidius und leidenschaftlicher Historiker.

Drei Eckpfeiler im Leben des 93-Jährigen, die eng miteinander verwoben sind, was Grafings Bürgermeister Rudolf Heiler bei der Verleihung der Urkunde im Rathaussaal dazu bewog, die Person Mischlewski als »Gesamtkunstwerk« zu bezeichnen. Wenn der Geehrte erzählt, wie es dazu kam, unspektakulär und sachlich, besonnen und feingeistig, klingt es wie eine Bootsreise, bei der er sich einfach treiben ließ: Geboren und aufgewachsen in Berlin, wurde er während des Zweiten Weltkriegs von 1940 bis 1944 als Funker beim Flugmeldedienst an der französischen Küste eingesetzt. Er hatte zuvor schon acht Jahre Französisch in der Schule gelernt, aber dort im Land konnte er seine Sprachkenntnisse noch vertiefen.

Das sollte ihm später bei seinen Forschungen über den Antoniterorden helfen, dessen Hauptsitz im 14. und 15. Jahrhundert die Abtei Saint-Antoine l’Abbaye in der Nähe von Saint-Marcellin war, was wiederum zur Städtepartnerschaft führte – doch das war rund 50 Jahre später. Zurück ins Jahr 1945: Kurz vor Kriegsende kam Mischlewski ins Protektorat Böhmen-Mähren, wo die Luftwaffe noch auf Artillerie umgeschult wurde. Er hatte sich mit einem Flak-Offizier aus Memmingen angefreundet. Die beiden wussten, dass der Krieg nicht mehr lange dauern würde und Mischlewski wollte zurück nach Berlin. »Doch da waren die Russen und uns war klar, dass das nicht gehen würde«, erinnert er sich. Dann, am 5. Mai, wurden sie von den Amerikanern gefangen genommen. Doch sie hatten Glück: Nach drei Wochen sagten die Amerikaner, jeder, der aus von den West-Alliierten besetzten Gebieten stamme, könne dorthin zurückgehen. »Natürlich stammten plötzlich alle daher«, erzählt Mischlewski und schmunzelt. Und so folgte er seinem Freund nach Memmingen. Die christliche Geste der Amerikaner hat ihn tief beeindruckt. »Viele von den Gefangenen der Russen wurden nie wieder gesehen.«

Beeindruckt und seinen Lebensweg geprägt haben ihn auch zwei Vorträge: Der erste, 1946 von dem Jesuiten Ludwig Esch gehalten, inspirierte ihn zu Ökumenischem Denken. In einem zweiten, schon während seiner Studienzeit, erfuhr er erstmals vom Antoniterorden. Dieser war im frühen Mittelalter aus einer Laienbruderschaft entstanden und hatte es sich zur Aufgabe gemacht, am sogenannten Antoniusfeuer Erkrankte zu pflegen und zu behandeln.

Im 14. und 15. Jahrhundert waren die Mönche in ganz Europa tätig – »das war für französische Geistliche dort sehr ungewöhnlich«, erklärt Mischlewski. Er war fasziniert – und begann, den Orden zu erforschen. Im Februar 1946 hatte er Memmingen wieder verlassen, um in München Geschichte und Neuphilologie zu studieren, anschließend hängte er noch ein Theologiestudium dran und ließ sich 1954 zum Priester weihen, arbeitete von 1955 bis 1963 als Seelsorger im Allgäu, und beschloss dann, in Kirchengeschichte zu promovieren.

Recherche im Vatikan

Für seine Doktorarbeit lebte er sogar von 1964 bis 1966 in Rom, wo er in den vatikanischen Archiven recherchieren durfte. Ohne diese Quellen wäre sein Buch »Grundzüge der Geschichte des Antoniterordens bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts«, das 1976 veröffentlicht wurde, niemals entstanden, sagt der Historiker dankbar. Und ohne seine Faszination für diesen Orden wäre es sicher auch nie zur Städtepartnerschaft zwischen Grafing und Saint-Marcellin gekommen. Im Nachbarort von Saint-Antoine hat der Historiker bei seinen Reisen zur Abtei oft übernachtet. Eines Tages fragte ihn eine Mitarbeiterin des Fremdenverkehrsamtes, ob Mischlewski nicht eine Stadt wüsste, mit der Saint-Marcellin eine Partnerschaft pflegen könne. Nicht zu groß sollte sie sein und innerhalb eines Tages erreichbar. »Ja«, sagte Mischlewski, »Grafing. Dort wohne ich«.

1971 war er mit seiner Frau Johanna dorthin gezogen. Er unterrichtete am Gymnasium Geschichte, Religion, Französisch und Englisch und übernahm bereits im darauffolgenden Jahr auf die Bitte des damaligen Pfarrers Norbert Klug den Ökumene-Kreis. Dank seiner vielen Kontakte gelang es ihm immer wieder, hochkarätige Referenten für diese Abende zu gewinnen. Nicht nur zu kirchlichen Themen, sondern auch politischen und gesellschaftlichen – aber immer unter der Fragestellung: Wie können wir Christen zur Lösung solcher Probleme beitragen? Christlich zeigte sich nach Ansicht des Historikers auch die Stadt Grafing selbst: Er fühlte sich gut und offenherzig aufgenommen. »Sie hat eine eigene Prägung, ist kein erweiterter Vorort von München wie viele andere Gemeinden«, lobt er. Die Einwohner wiederum schätzten ihren Neubürger, wie der Bürgermeister in seiner Rede sagte: »Immer freundlich, verbindlich im Ton, abwägend, nachdenkend, brillant formulierend, konservativ, aber den Neuerungen stets aufgeschlossen, zur rechten Zeit treffend Kritik übend, aber nie verletzend.«

Erst »Kurier«, dann Vorsitzender

Und so kam es, dass Mischlewski zunächst »Kurier« zwischen St.-Marcellin und Grafing spielte. 1993 wurde die Partnerschaft endgültig besiegelt und Mischlewski übernahm den Vorsitz des Komitees, den er später an Udo Helmholtz abgab. Als Ehrenvorsitzender steht er jedoch nach wie vor mit Rat und Tat zur Seite.

Wie ein roter Faden ziehen sich Glauben und Ökumene, das Streben nach einem Miteinander in Europa, Historie und Wissenschaft durch sein Leben, ergab eines das andere und schloss sich zum Kreis – eben ein in 93 Jahren geschaffenes Gesamtkunstwerk, das noch nicht vollendet ist. »So Gott will, fahre ich 2014 mit nach St. Marcellin, wenn dort das 20-jährige Jubiläum der Städtepartnerschaft gefeiert wird«, sagt der 93-Jährige schmunzelnd. Sybille Föll

Artikel vom 10.09.2013
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...