Christian Rittinghaus mit dem Weihnachtsengel 2010 ausgezeichnet

Milbertshofen · »Lesefuchs« und Vorleser

Auch der kleine Constantin lauscht ganz gespannt der Weihnachtsgeschichte, die Christian Rittinghaus gerade vorliest. 	Foto: ws

Auch der kleine Constantin lauscht ganz gespannt der Weihnachtsgeschichte, die Christian Rittinghaus gerade vorliest. Foto: ws

Milbertshofen · Ein moderner Weihnachtsengel hat schulterlange Haare und verbringt seine Freizeit als »Lesefuchs«. Seit zehn Monaten liest Christian Rittinghaus ehrenamtlich sechs Erstklässlern der Grundschule an der Bad-Soden-Straße Geschichten vor. Für dieses Engagement wurde er nun von der Münchener Nord-Rundschau zum Weihnachtsengel 2010 gekürt. Er erhielt einen Engel von »Pflanzen Kölle« sowie einen Einkaufsgutschein im Wert von 100 Euro für das Olympia-Einkaufszentrum (OEZ).

Der Lesefuchs des gleichnamigen Vereins hat gerade das Buch aufgeschlagen und stärkt sich vor dem Vorlesen noch schnell mit einem kräftigen Schluck aus der mitgebrachten Wasserflasche, da bekommen die Kinder – ein Mädchen und fünf Buben – aus lauter Sympathie und Spannung ebenfalls Durst. Alle sechs gehen zum Waschbecken, beugen sich unter den Wasserhahn und trinken Leitungswasser. Endlich sitzen sie wieder auf ihren Stühlchen. Unruhig zappeln sie hin und her.

Christian Rittinghaus, der sich als Vorleser und Lesefuchs fühlt und in keinem Fall als Lehrer, muss die Kinder mehrmals zur Ruhe ermahnen. Zunächst dürfen sie erzählen, was ihnen der Nikolaus gebracht hat. Dann kommt der 41-jährige freiberufliche Fernseh-Journalist zur Sache. Auf seine Frage, was denn bald für ein Fest bevor stünde, rufen sie alle lautstark »Weihnachten«. Genau, und deshalb »habe ich euch heute ein Weihnachtsbuch mitgebracht.« 24 Kurzgeschichten von berühmten Kinderbuchautoren wie Kirsten Boie, James Krüss und Astrid Lindgren stehen darin, »Kerzenschein und Weihnachtszauber« lautet der Titel des Buches. Gleich die erste Geschichte pickt sich der Lesefuchs heraus, passt sie doch hervorragend zum Thema: »Bald ist Weihnachten«, heißt die Geschichte von Astrid Lindgren. Der Vorleser bittet die Kleinen um besondere Ruhe und Aufmerksamkeit, denn »da sind nicht viele Bilder drin, ihr müsst gut zuhören.«

Trotzdem sind die Kinder an diesem Mittag unkonzentriert, wohl auch wegen der anwesenden Reporterin. Der Lesefuchs ist gefordert und versucht es mit einem Trick: »Wer kann am besten zuhören?«, fragt Rittinghaus die Kinder. Prompt melden sich alle. »Dann könnt ihr das auch beweisen«, ruft er den Kindern zu und liest ein paar Sätze vor. Doch als die Erstklässler hören, dass in der Geschichte die Lehrerin für ihre Schülerinnen und Schüler Bücher bestellt hatte und diese nun kurz vor Weihnachten in die Klasse mitbringt, da sind die sechs jungen Milbertshofener nicht mehr zu halten: »Ich habe ganz viele Bücher zu Hause. Ich muss sie alle lesen. Ich kann schon ein bisschen lesen«, sagt die Erstklässlerin aus der Bad-Soden-Schule stolz. Der sechsjährige Constantin setzt noch eins drauf: »Ich habe ganz, ganz viele Bücher.« Der Lesefuchs, der dieses Ehrenamt übernahm, weil »ich mich gerne mit Kindern beschäftige«, braucht in Momenten wie diesen die Durchsetzungskraft eines Lehrers. »Das ist manchmal wie einen Sack Flöhe hüten. Man muss für Ruhe und Ordnung sorgen.«

Das Vorlesen geht weiter. In der Geschichte verteilt die Lehrerin den frisch gelieferten Lesestoff an die Klasse und lässt die Kinder an den Büchern riechen. Das ist für den Lesefuchs die Chance für eine willkommene Unterbrechung. »Wie riecht ein Buch?«, fragt er und bekommt von seinen Schützlingen unterschiedlichste Antworten. »Nach Karton«, »nach Wasser und Erdbeeren«, »nach Wasser mit Spray und Karton«, die Kleinen lassen ihrer Fantasie freien Lauf. Das ist auch gewollt, sind sie doch nicht im Unterricht, sondern in einer freiwilligen Vorlesestunde. Sie solle »Freude an der Literatur, aber auch persönliche Zuwendung vermitteln«, berichtet Rektorin Ilse Krimmel.

Derzeit sind allein elf Lesefüchse an der Milbertshofener Grundschule aktiv. Mehr als 280 ehrenamtliche Vorleserinnen und Vorleser sind es in München. »Wir suchen noch Lesefüchse für das ganze Stadtgebiet«, sagt Riccarda Boehm, Chefin des Vereins »Lesefüchse« (Telefon 72 01 61 41). Weihnachtsengel Rittinghaus liest weiter vor und so erfährt man des Rätsels Lösung: »Neue Bücher riechen gut«, steht in der Weihnachtsgeschichte von Astrid Lindgren, in der die Kinder von Bullerbü auch eine Schneelaterne bauen – endlich das erste Bild. Der Vorleser hält das Buch hoch.

Die Milbertshofener Kinder umringen ihren Lesefuchs, damit sie die abgebildete Schneelaterne auch ja gut sehen. Wie die Weihnachtsgeschichte ausgeht, bleibt offen. Denn die 45 Minuten Vorlesen sind vorbei. Nach den Weihnachtsferien trifft sich die Gruppe im Januar wieder. Dann liest Christian Rittinghaus den Kindern weiter aus dem Buch »Oh, Schreck, Mama ist weg« vor. Und natürlich den Artikel über ihren Weihnachtsengel. »Ich lese euch dann vor, was in der Zeitung über uns steht.«

Wally Schmidt

Artikel vom 21.12.2010
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