Folgende Geschichte schickte uns unser Leser Georg Ringmayr aus Aubing. Er hatte sie für seine mittlerweile großen Söhne geschrieben:
Ermattet ließ er sich auf das Sofa fallen – mitsamt seinem dicken roten Mantel und seinem nunmehr leeren Sack. Ja, auch Weihnachtsmänner dürfen mal müde sein – und ratlos! Überall hatte er gesucht – jetzt, wo er doch eigentlich schon fast fertig war. Doch nirgends konnte er das letzte Geschenk des diesjährigen Weihnachtens finden. Weder in den vielen leeren Säcken auf seinem Schlitten, noch am Boden noch beim Heuvorrat für seine Rentiere. Nirgendwo! Es war zum Verzweifeln. Ohne Geschenk brauchte er sich gar nicht mehr auf den Weg machen – auf den Weg zu Lukas, dem letzten Kind seiner diesjährigen Tour. Sollte wirklich dieses Weihnachten das erste sein, an dem er einem Kind seinen Wunsch nicht erfüllen würde können? Was würde wohl seine Chefin, das Christkind sagen? War er zu alt geworden – in all den Jahrhunderten? Zu alt zum Geschenkeverteilen? Er sah nochmals auf seiner Liste nach. Ja, da stand es ganz deutlich: Ein Fußball mit den Unterschriften der Nationalmannschaft für Lukas. Also hätte der Ball dabei sein müssen. Aber er fand ihn nicht.
Über eine halbe Stunde hatte er schon gesucht, sogar seine Rentiere abgespannt, damit sie ihm suchen helfen konnten. Ganz rote Nasen hatten alle schon bekommen – von der Kälte und von der Aufregung. Aber alles umsonst. Und jetzt saß er da - im Wohnzimmer des vorletzten Kindes, hatte soeben die Rennbahn unter den Weihnachtsbaum gelegt und nochmals alle Taschen seines weiten Mantels durchsucht. Er blickte die Lichter des Baumes hoch: Er war wunderschön anzusehen mit den vielen Kugeln, Sternen und Kerzen. Und unter dem Baum lagen die Geschenke – dieses Kind würde sich freuen. Doch was würde Lukas sagen? War er nicht brav gewesen das ganze Jahr über? Hatte er sich den Ball nicht verdient gehabt? Der Weihnachtsmann vergrub sein Gesicht und seinen dicken weißen Bart erneut in seinen Händen. Das durfte, das konnte doch nicht wahr sein. „Der Weihnachtsmann!“, plötzlich kam Leben in den alten Mann. Die Stimme und der Ausruf gehörten Stefan, dem Jungen aus dem Haus in dem der Weihnachtsmann so ratlos vor sich hin sinnierte. Bei aller Ratlosigkeit hatte er die sonst so übliche Vorsicht vergessen lassen und war nun entdeckt worden. Das erste Mal, das allererste Mal. Auch das noch!
„Bist Du der echte Weihnachtsmann?“ entfuhr es dem kleinen Jungen, der sich vorsichtig von der Tür ins Wohnzimmer traute. Der Weihnachtsmann blickte erschrocken hoch, nickte dann aber nur – so verblüfft war er selbst, was ihm in dieser Nacht alles widerfuhr. Ja, der Weihnachtsmann – das war er, aber was für ein trauriges Exemplar – hoffnungslos und selbst enttäuscht, dass er dieses Weihnachten nicht würde zu Ende bringen können. „Du siehst sehr traurig aus“, entfuhr es dem Jungen, der sich nun immer näher an den großen alten Mann mit dem großen weiten roten Mantel herantraute. Aber was sollte er auch befürchten, immerhin war es Weihnachten und der Weihnachtsmann saß nun ja mal in seinem Wohnzimmer. So was erlebt man schließlich nicht jeden Tag.
„Ich habe ein Geschenk verloren“, erwiderte der Alte, während der Junge sich neben ihn auf das Sofa setzte. „Irgendwo unterwegs muss es aus meinem Schlitten gefallen sein und ich kann es nicht mehr finden.“ „War….., war es mein Geschenk“, fragte der Junge und der Weihnachtsmann merkte, wie die Stimme des Jungen zitterte. „Nein, mein Kleiner.“ Der Mann nahm den Jungen in seinen Arm. „Dein Geschenk liegt dort unter dem Baum.“ „Aber wessen Geschenk fehlt denn dann?“ Der Weihnachtsmann kramte erneut seine Liste heraus und deutete auf die letzte Position. Dort stand: „Fußball mit den Unterschriften der Nationalmannschaft für Lukas“. „Und warum holst Du keinen Ersatzball?“ Der Weihnachtsmann sah den Jungen müde an. „Weil meine Wichtel alle schon schlafen, die Himmelspforte in Kürze schließt und dann für alle Kinder auf dieser Welt Weihnachten ist. Verstehst Du: Ich kann kein Geschenk mehr holen. Es ist vorbei – vorbei für dieses Weihnachten!“ Die Stimme des alten Mannes klang schon sehr verzweifelt. So verzweifelt, dass der Junge nun seinerseits den alten Mann in seinen Arm nahm. „Aber vielleicht gibt es doch noch eine Möglichkeit; vielleicht kann ich Dir ja helfen?“
Der Weihnachtsmann sah den Jungen müde und verständnislos an. Wie sollte er ihm helfen, wo ihm doch von nichts und niemanden mehr auf dieser Welt zu helfen war. „Wie willst Du das denn machen?“ entfuhr es deshalb dem Mann schon fast vorwurfsvoll. „Das wirst Du gleich sehen“, entgegnete der Junge und flugs entschwand er durch die Tür. Erneut fiel der Blick des Weihnachtsmanns auf den Christbaum. Und irgendwie schienen ihn die Sterne und die Engel noch leuchtender als zuvor. Gleich darauf kam der Junge wieder ins Wohnzimmer und unter seinem Arm hielt er einen Fußball.
„Den habe ich vor ein paar Wochen zu meinem Geburtstag geschenkt bekommen.“ Er hielt fast schon triumphierend dem Weihnachtsmann den Ball vor die Nase. „Und wie Du siehst, sind alle Unterschriften der Nationalmannschaft drauf. Und schmutzig ist er auch noch nicht. Habe ihn noch kein einziges Mal draußen gehabt.“ Ungläubig nahm der Alte den Ball. Tatsächlich! Das war genau der Ball, den er als Geschenk dem Lukas bringen hätte müssen, und den er nun verloren hatte. „Aber ich kann doch nicht Deinen Ball verschenken“, entfuhr es dem Weihnachtsmann. „So was habe ich noch nie gemacht!“. „Du hast ja auch noch nie ein Geschenk verloren“, erwiderte der Junge. Diese Logik war erdrückend einfach – nur Kinder können so denken. „Ja, da kannst Du leider recht haben. Aber ich glaube nicht…“ „Natürlich kannst Du das machen. Schau, ich habe so viele Geschenke zu Weihnachten bekommen. Da kann ich Dir doch auch mal etwas schenken.“ Und kaum hatte der Junge das gesagt, war der Ball auch schon in die Hände des Weihnachtsmanns gewandert. „Und Du glaubst wirklich,…“ „Aber klar: Ich werde so einen Ball schon wieder einmal bekommen. Aber Lukas wäre sehr unglücklich, wenn er dieses Weihnachten nichts bekommen würde.“ Der Weihnachtsmann wog noch ein paar Mal mit seinem Kopf hin und her und murmelte Unverständliches. Aber schließlich umschloss er doch den Ball, als wäre er das Kostbarste auf der Welt. „Du bist doch der Stefan, nicht wahr?“, meinte der Alte. Der Junge nickte. „Also hör zu, Stefan: Wenn ich nächstes Weihnachten wiederkomme, werde ich Dir den Ball auf jeden Fall zurückbringen. Kannst Du so lange drauf warten?“ „Na klar!“ entgegnete Stefan und seine Stimme war fest und stolz, dem Weihnachtsmann helfen zu können. „Aber Du darfst das niemandem weiter erzählen, versprichst Du mir das?“ Auch da nickte der Junge wieder und irgendwie schien er nochmals ein paar Zentimeter gewachsen zu sein. „Jetzt musst Du aber los. Sonst schließt sich die Himmelspforte und Weihnachten ist vorbei“, zitierte der Junge den Alten. „Ja, da hast Du recht!“ Mit einem Male schien in den Weihnachtsmann neues Leben gekehrt zu sein. Er sprang auf, nahm den Jungen nochmals kurz und kräftig in den Arm und entschwand dann durch die Wand – so wie er immer in die Wohnzimmer der Kinder gekommen war.
Draußen spannte er flugs noch seine Rentiere an und ließ die Zügel schnalzen. „Hoho!“ entfuhr es ihm, während der Schlitten abhob. Sein letzter Blick galt noch dem Haus, in dem er gerade gewesen war und an dessen Fenster ein kleiner Junge ihm nachsah und winkte. Auch er winkte zurück, ehe er mit einer weiten Schleife über das Haus drehte und dann zur nächsten Stadt aufbrach.
Unter ihm lag tief verschneit und dunkel die Welt und am Himmel strahlte der Mond und die Sterne glitzerten um die Wette. Diese Nacht war noch ein gutes Stück geheimnisvoller geworden. Und der kleine Junge, ja der kleine Junge hatte mit seinem Geschenk die Weihnachtsgeschichte um ein weiteres Kapitel reicher gemacht.