Mit der Traumnote 1,4 hat die 18 Jahre alte Afghanin Marzia A. ihr Berufsvorbereitungsjahr an der Berufsschule Starnberg abgeschlossen und dabei ganz nebenbei alle ihre Klassenkameraden und die aus der Parallelklasse weit hinter sich gelassen. Das Bildungszentrum Starnberg, zu dem nicht nur die Berufsschule und die neu gegründete FOS gehören, sondern auch etliche berufsbildende Schulen, bietet für Jugendliche jenseits der Schulpflicht, die aus verschiedenen Gründen keinen Schulabschluss haben, die Möglichkeit an den Mittelschulabschluss nachzuholen und somit ihre Chancen auf einen Ausbildungsplatz zu verbessern. Besonders für junge Asylbewerber und Flüchtlinge, deren Schulabschlüsse in Deutschland nicht anerkannt werden, ergibt sich eine Möglichkeit zum Neustart.
Für Marzia war Lernen auch in ihrer Heimat Afghanistan, eine willkommene Methode, die Welt um sich herum zu vergessen. In dem muslimisch geprägten Land, in dem es keine Schulpflicht gibt und Bildung besonders bei Mädchen keine Rolle spielt, besuchte sie freiwillig acht Jahre lang die Schule und brachte sich selbst etwas Englisch bei. Nach ihrer dramatischen Flucht vor zwei Jahren wurde das Lernen erst recht zu ihrem inneren Exil, zur Überlebensstrategie, um die traumatischen Erfahrungen, die sie und ihre Familie auf dem langen Weg von Afghanistan nach Deutschland überstehen mussten, zu verdrängen.
Ganz alleine wäre ihr das vermutlich nicht gelungen. Der Zufall wollte es, dass Marzia im Erstaufnahmelage Zell im Schwarzwald auf Dr. Peter Macher traf. Der Traumatherapeut gehörte dort zu den Ärzten und freiwilligen Helfern, die sich ehrenamtlich um die Nöte der Neuankömmlinge kümmerten. Als er seinen Lebensmittelpunkt nach Starnberg verlegte, setzt er Himmel und Hölle in Bewegung, um seine junge Patientin und ihre Familie mitnehmen zu können, damit die begonnene Behandlung gegen Marzias Angstzustände nicht abgebrochen werden musste. Seit gut einem Jahr wohnt Marzia nun mit ihren Eltern und ihrem jüngeren Bruder in Starnberg und hat die Zeit gut genutzt.
Sie hat nicht nur ihre Ängste besiegt, sondern auch ihr Deutsch auf ein erstaunliches Niveau verbessert, sodass sie die Schule als Jahrgangsbeste abschließen konnte. Seelische und praktische Unterstützung fand sie dabei nicht nur bei Dr. Peter Macher, sondern auch an der Schule selbst, wo speziell zwei Lehrerinnen Marzias Potenzial erkannten und förderten. Die schlimmen Erinnerungen an die Flucht und das Heimweh werden wohl immer ein Teil von ihr bleiben. Doch Marzia ist trotzdem fest entschlossen, ihr Leben in der neuen Heimat Deutschland beherzt selbst in die Hand zu nehmen. Im September beginnt Marzia mit einer einjährigen Ausbildung zur Altenpflegehelferin. Aber ihr eigentliches Ziel ist es, Lehrerin zu werden. Darum will sie nach der vorgeschriebenen Zeit im Beruf über die BOS das Abitur nachholen und dann studieren. Beispielhafte Zielstrebigkeit und Fleiß hat sie ja bereits eindrucksvoll bewiesen.