In der Montessori-Schule in der Heiglhofstraße ertönt am Ende der Stunde kein Gong, es gibt keine Verweisformulare und es werden keine Noten verteilt – das heißt aber nicht, dass es keine Disziplin gibt. Die Schüler lernen von Anfang an, aufeinander Rücksicht zu nehmen, Schwächeren zu helfen und sich im Unterricht einzubringen. Disziplin werde hier nur anders gelebt, konstatiert Annekatrin Rittmeyer-Breu. Die Sonderschulpädagogin ist seit sieben Jahren als Konrektorin für den Grundschulbereich der Montessori-Schule zuständig. Als Lehrkraft ist sie bereits seit 1991 in der Heiglhofstraße tätig.
Davor hatte sie während ihres Studiums ein Praktikum in der Einrichtung gemacht. „Ich habe erlebt, dass die Schule total anders aufgebaut ist. Die Atmosphäre zwischen Lehrern und Schülern hat mich von Anfang an begeistert”, erzählt die Pädagogin. Nach dem Praktikum habe sie ihr Studium mit der Motivation beendet, eine Stelle in der Montessori-Schule anzutreten. Dafür habe sie nach der Referendarzeit gerne ihren Beamtenstatus aufgegeben.
Im Grundschulbereich lernen hier pro Jahrgangsstufe 56 Kinder in vier Klassen. Die Hälfte der Schüler hat sonderpädagogischen Förderbedarf. Sie verteilen sich auf drei Integrationsklassen mit einer Klassenstärke von 14 bis 17 Schülern sowie eine kleine, aus nur acht Kindern bestehende sogenannte A-Klasse, die als eigenes, beschützendes Nest für Kinder mit geistiger Behinderung konzipiert ist. Durch das spezielle Konzept der Montessori-Schule, das sogenannte Bildungsdorf, entsteht ein besonderes Miteinander. Es wird auch durch die bauliche Gestaltung unterstützt. Alle vier Klassen einer Jahrgangsstufe sind nämlich jeweils um einen kleinen Platz – meist mit einem großen Tisch in der Mitte – angeordnet, der Raum schafft für Begegnung und klassenübergreifende Aktivitäten.
„Wir lassen uns bei der Zusammensetzung der ersten Klassen Zeit und nehmen vor Schulbeginn Kontakt zum Kindergarten und gegebenenfalls zu Therapeuten und Psychologen auf”, erläutert Annekatrin Rittmeyer-Breu. Eine genaue Betrachtung des Kindes sei von größter Bedeutung. Es sei immer wieder eine Herausforderung, die Kinder so zu mischen, dass sie nicht isoliert sind, dass sie Freunde finden und dass die Förderung greift. „Wir denken in vier Jahren, die die Kinder zusammenschweißen, in denen sie eine wirkliche Gemeinschaft werden, in der der Wir-Gedanke gelebt werden kann.”
Das Schul-Konzept begreift die Klasse als eine Art Familie, die Jahrgangsstufe als etwas weitergefasste „Dorfgemeinschaft”. Jeweils sechs Lehrkräfte gehören zu einem Bildungsdorf. Sie begleiten die Schulklassen von der 1. bis zur 4. Klasse durch die gesamte Grundschulzeit. Das Bildungsdorf unternimmt viel gemeinsam und verbringt auch die Pausen zusammen. Vor allem die musischen Unterrichtsstunden werden klassenübergreifend angeboten, oder auch der Schulsport und die verschiedenen Neigungsgruppen am sogenannten langen Donnerstag.
Die „kosmische Erziehung“, die in der Montessori-Pädagogik eine zentrale Rolle spielt, beinhaltet Elemente aus Natur- und Gesellschaftswissenschaften, Sprache, Mathematik, Kunst, Musik und Religion. Kinder zwischen sechs und zehn Jahren interessieren sich für all diese Themenbereiche und betrachten diese nicht isoliert sondern als Ganzes. „Das ist ein ganz anderer Ansatz”, betont Annekatrin Rittmeyer-Breu. „Die Kinder interessieren sich dafür, wie die Erde entstanden ist, warum es Tag und Nacht gibt, warum die Sterne scheinen, sie interessieren sich für Lichtjahre, für die Umwelt und für die Erdzeitalter”, gibt sie Beispiele. „ Alle Kinder begeistern sich dafür, und wirklich jedes Kind kann seinen Beitrag dazu leisten.”
In den zweiten Klassen ist man augenblicklich beim großen Thema Zeit und Astronomie. Gerade ist man vom Jahreskreis über das Monat auf den Tageskreis übergegangen. Auf dem Boden sind die Montessori-Materialien ausgebreitet. 24 Kärtchen in verschiedenen Farben sind rundherum ausgelegt. Sie bilden die hellen und dunklen Stunden ab. Kleine Utensilien wie Puppenbett, Zahnbürste, Puppenschulranzen und Brotzeitbrettchen können darauf gestellt werden. Den Kindern wird so bewusst, wie lange ein Tag ist und wie er sich gliedert. Anhand der Beispiele aus dem Alltag der Kinder wird die Imaginationskraft zusätzlich verstärkt. „Jeder kann da etwas beitragen und beispielsweise auch Gegenstände von daheim mitbringen”, erklärt die Sonderpädagogin.
Sie werde immer wieder gefragt, wie viele Kinder den Übertritt von der Montessori-Schule aufs Gymnasium schaffen würden, meint Annekatrin Rittmeyer-Breu und signalisiert schon durch ein leichtes Kopfschütteln, dass ihr diese Fragestellung nicht gefällt. „Es kommt immer darauf an, was die Kinder an Potential mitbringen und dass sie dieses entfalten können”, sagt sie. „Dann ist es für all diese Kinder kein Problem die dreitägige Übertrittsprüfung an einer öffentlichen Schule zu meistern und dauerhaft dem Leistungsstress standzuhalten. Von den Lehrern auf den Gymnasien ist immer wieder zu hören, dass sie unsere Kinder mit Kusshand nehmen, weil sie vielseitig interessiert sind, Sozialkompetenz mitbringen und schon früh gelernt haben, Verantwortung zu übernehmen. Dass wir keine Noten haben, wird durch das Pensenbuch, mit dem wir die Kinder viel individuelller betrachten können, mehr als aufgewogen.”