Er kommt einfach so, stürmt zur Tür herein ohne anzuklopfen und macht sich sofort breit: Krebs. Die Diagnose ist ein Schock. Plötzlich ist alles anders, plötzlich ist eine ganze Familie auf den Kopf gestellt. Was jetzt?
So war es auch bei den Gottschalks aus Olching. Vor knapp vier Jahren bekam ihr Sohn die Diagnose „Gehirntumor”. Zwölf Jahre war Christoph damals alt und besuchte die sechste Klasse einer Realschule. „Er gehörte außerdem zu den besten Eishockeyspielern seiner Altersklasse”, erzählt seine Mutter Sabine Gottschalk. Die 44-Jährige sitzt am Esstisch ihrer Olchinger Wohnung und fährt ihrem Sohn liebevoll über den Kopf. Christoph lebt. Es sei laut Ärzten ein Wunder, dass der Junge heute so dastehe, so Sabine Gottschalk.
Angefangen hatte alles ... Ja wie eigentlich? „Rückblickend kann man vielleicht sagen, dass es mit diesen gelegentlichen Kopfschmerzen losging, die aber auch wieder verschwanden”, sagt die Mutter. An Schulstress habe man gedacht, aber doch nicht an sowas. Im Februar 2013 plagen das Kind heftige Kopfschmerzen, Christoph weiß die Namen seiner Eltern nicht mehr. Und plötzlich hat die Familie die Diagnose „Gehirntumor”. Im Klinikum Großhadern wird Christoph operiert. Stundenlang. Die Eltern wissen nicht, ob ihr Kind aus dieser Operation wieder erwachen wird.
Christoph erwacht. Doch es ist nichts wie vorher. Er kann nicht mehr sprechen, er kann nicht mehr gehen, er kann nicht mehr schlucken. „Mein Sohn war ein kompletter Pflegefall”, sagt Sabine Gottschalk. Es folgen Monate der Intensiv-Chemotherapie, ab November 2013 erhält Christoph zweimal täglich eine Bestrahlung. Sechs Wochen lang. Dann bis Mai 2014 wieder Chemotherapie. Im Juni ist die Behandlung abgeschlossen und die Nachsorge beginnt. Der Tumor ist weg, aber Christoph muss alles wieder lernen. „Unser Wohnzimmer war eine Krankenstation, hier stand sein Bett”, sagt die Mutter und deutet neben sich.
In dieser schwierigen Zeit steht den Gottschalks vor allem eine Einrichtung bei: KONA - die Koordinationsstelle psychosoziale Nachsorge für Familien mit an Krebs erkrankten Kindern. „Wir haben pro Jahr zu rund 400 Familien Kontakt”, sagt Petra Waibel, Diplom-Sozialpädagogin und Kunsttherapeutin bei KONA. „Die Familien haben irgendwann ihren Tag x, an dem die Intensivbehandlung in der Klinik beendet ist. Dann heißt es: 'Gehen Sie und leben Sie Ihr Leben. Dabei helfen wir ihnen.'”
Bei Christoph geht es in dieser schwierigen Zeit um die Wiedereingliederung in die Schule. Er möchte wieder in seine Realschule und bekommt für seinen Start in der siebten Klasse einen Begleiter zur Seite gestellt. „Wir haben vorab mit den Kindern gesprochen und ihnen alles erklärt”, sagt Petra Waibel. Die Kinder seien super gewesen und hätten verständnisvoll reagiert, erinnert sich die Sozialpädagogin. Dennoch ist es schwierig für Christoph. „Es ging sehr schnell nur noch um Leistung”, erinnert sich Sabine Gottschalk. Es ist zu viel für Christoph. Gemeinsam mit KONA bemüht sich die Familie schließlich um einen Platz an der Ernst-Barlach-Schule der Pfennigparade in München. Nach einer Woche Probeunterricht wird Christoph genommen. Seit Pfingsten 2015 besucht er inzwischen die Schule und fühlt sich dort wohl. „Die Schule ist super. Die machen tolle Veranstaltungen und man kann immer mit den Lehrern reden”, freut sich seine Mutter.
KONA steht unter der Trägerschaft der Initiative krebskranke Kinder München e.V. und wird auch von dieser finanziert. Gegründet wurde die Initiative im Jahr 1985 von einer Gruppe betroffener Eltern. „Damals sind in Deutschland etwa gleichzeitig viele Elterninitiativen entstanden”, sagt Angelika Andrae-Kiel, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins. „Grund dafür war, dass es keine psychosoziale Betreuung für die Kinder und ihre Familien gab und die Eltern ihre schwerkranken Kinder nur zu festen Zeiten besuchen durften”, so Andrae-Kiel. „Die Heilungschancen waren deutlich geringer und die Therapien schwer verträglich. Die Kinder mussten oft monatelang ohne Unterbrechung in der Klinik bleiben. Es waren wirklich Zustände, die man schwer ertragen hat.” Heute sei das zum Glück ganz anders. „Die Überlebenschancen liegen bei 80 Prozent, die Eltern können bei ihren Kindern bleiben und auch in der Klinik übernachten, und die Nebenwirkungen der Therapien sind, wenn auch immer noch heftig, doch erträglicher.”
Die Initiative krebskranke Kinder München e.V. ist dabei eine unentbehrliche Stütze für die Betroffenen. „Sie finanziert zum Beispiel zusätzliches Personal wie Psychologen, Sozialpädagogen, Musik- und Kunstpädagogen auf der Kinderonkologie im Schwabinger Krankenhaus”, erklärt Angelika Andrae-Kiel. „Wir haben außerdem zwei Wohnungen gleich ums Eck bei der Klinik, in denen Eltern übernachten können.” Darüber hinaus trägt die Initiative zur Ausstattung der Station bei und sorgt mit Dingen wie Spielen, Laptops oder Filmen für ein bisschen Abwechslung im harten Alltag der jungen Patienten. Erholsame Auszeiten für Kinder und Eltern sowie viele Nachsorgeangebote, wie Reittherapien oder Klettern, gehören außerdem zum umfangreichen Angebot des Vereins. Der Vorstand der Initiative arbeitet ehrenamtlich, die Hilfsmaßnahmen finanzieren sich durch Spendengelder.
Sabine Gottschalk ist froh, dass sie die Unterstützung von KONA hat. Vor ihr auf dem Tisch liegen zwei Mappen. Es geht um die Verlängerung für Christophs Behindertenausweis. „Das ist immer ein Papierwust”, sagt die 44-Jährige. Petra Waibel greift nach einer Mappe. „Wir schauen uns das zusammen an. Ich helfe Ihnen”, sagt sie.
Christoph hat den Krebs, diesen brutalen Eindringling, aus seinem Körper vertrieben. Mit den Spätfolgen der Erkrankung kämpft er jeden Tag. Manchmal blickt er zurück. Dann kommen ihm die Tränen. „Seit meiner Diagnose hat sich kein einziger meiner alten Freunde bei mir gemeldet”, sagt er. Was ihn dann aufbaut, ist der Blick nach vorne. Im kommenden Jahr hat er viel vor: Zweimal wird er mit einer Gruppe Jugendlicher verreisen, alleine, ohne Eltern. Einmal geht es ins Waldpiratencamp der Deutschen Kinderkrebsstiftung nach Heidelberg. Der Schulabschluss steht an und vorher noch ein Praktikum. Christoph verdreht die Augen. „Hoffentlich ist das nicht so wie beim letzten Mal. Da musste ich nur Handtücher falten”, sagt er. Und lächelt.
Wer die Initiative krebskranke Kinder München e.V. unterstützen möchte, kann dies unter dem Konto:
Hypo-Vereinsbank München, IBAN DE83 7002 0270 0002 4400 40.
Weitere Infos gibt es unter www.krebs-bei-kindern.de sowie unter www.krebskindernachsorge.de im Internet.
Für betroffene Familien ist die Initiative krebskranke Kinder in München wichtig: Eine Mutter, eine Erzieherin auf der Kinderkrebsstation und zwei Spender schildern, was ihnen die Arbeit der Initiative bedeutet:
Eva Amedick, Mutter einer jungen Patientin:
„Die Initiative war und ist für mich ein sehr wichtiger Pfeiler in der Krankheitsgeschichte unserer Tochter. In der akuten Phase erfuhren wir durch die Initiative Gemeinschaft und Unterstützung – in dem Sinne nicht alleine zu sein, sondern im Kreise vieler betroffener und erfahrener Eltern. In der jetzigen Nachbehandlungsphase half die Reittherapie, an der unsere Tochter dank der Elterninitiative teilnehmen konnte, die Krankheit zu verarbeiten. Die Elterninitiative ist für mich mit ihren vielfältigen Ansatzpunkten und Aktionen für die betroffenen Kinder und Eltern und auch für die Geschwisterkinder eine Initiative, die es zu unterstützen gilt, damit sie weiterhin so viel Gutes vermitteln und Hoffnung in schwerer Zeit geben kann.“
Lisa Stritzl-Goreczko ist seit 34 Jahren leitende Erzieherin auf der Kinderkrebsstation der Schwabinger Klinik:
„Lebenszeit gestalten – so sehe ich meine Aufgabe. Trotz aller Last auch gute Erinnerungen für die Familie zu ermöglichen, ein Stück Normalität in den Klinikalltag zu bringen. Auch nach 34 Jahren Höhen und Tiefen arbeite ich immer noch gerne hier! Die Kinder zeigen mir unendlich viel und geben mir die Kraft, hier zu arbeiten. Wenn einer reinkommt und sagt ‚Lisa, kennst du mich nicht mehr? Ich bin der Maxi‘, dann bin ich einfach glücklich. Mein ältester Patient ist jetzt 44 Jahre alt und lebt in Berlin.“ Und: ,Wir sehen uns als Geländer, aber laufen müssen die Patienten allein'.“
Michael Blaschek und Simone Schnabrich von der Business Campus Management GmbH, die die Initiative finanziell unterstützt:
„Wir laufen für Kinder“ – unter diesem Motto starten wir jährlich unseren Rückenwindlauf. Der Rückenwindlauf richtet sich an alle Laufbegeisterte, die gemeinsam für einen guten Zweck laufen möchten. Der Reinerlös geht zugunsten der Initiative krebskranke Kinder München e.V. Wir haben die wertvolle Arbeit der Initiative vor etwa 10 Jahren kennen gelernt und sind seitdem zutiefst beeindruckt, mit welch unermüdlichem Einsatz die aktiven Mitglieder daran arbeiten, krebskranke Kinder und ihre Familien in dieser schweren Zeit zu unterstützen. Die Initiative leistet eine bemerkenswerte und wertvolle Arbeit. Wir sind dankbar, uns engagieren zu können und so einen kleinen Beitrag hierzu leisten zu dürfen.”