Veröffentlicht am 01.08.2016 10:32

Untergetaucht im Mainstream?

Daniel Hörsch, Mitglied der Sinus Akademie: „Jugendliche müssen sich in einer facettenreichen Vielfalt an Lebenswelten zurechtfinden.” (Foto: iab)
Daniel Hörsch, Mitglied der Sinus Akademie: „Jugendliche müssen sich in einer facettenreichen Vielfalt an Lebenswelten zurechtfinden.” (Foto: iab)
Daniel Hörsch, Mitglied der Sinus Akademie: „Jugendliche müssen sich in einer facettenreichen Vielfalt an Lebenswelten zurechtfinden.” (Foto: iab)
Daniel Hörsch, Mitglied der Sinus Akademie: „Jugendliche müssen sich in einer facettenreichen Vielfalt an Lebenswelten zurechtfinden.” (Foto: iab)
Daniel Hörsch, Mitglied der Sinus Akademie: „Jugendliche müssen sich in einer facettenreichen Vielfalt an Lebenswelten zurechtfinden.” (Foto: iab)

Anpassung statt Rebellion, Angst abgehängt zu werden oder in der Gesellschaft nicht anzukommen. Derselbe Musikgeschmack wie die Eltern und Neo-Konventionalismus. Sind das die Charakteristika deutscher Teenager? 72 Jungen und Mädchen im Alter von 14 bis 17 Jahren haben für die Sinus-Jugendstudie 2016 in 90-minütigen Interviews Rede und Antwort gestanden. Nun wurden die Ergebnisse unter dem Titel „Wie ticken Jugendliche?“ vorgestellt: Was ist jungen Menschen wichtig im Leben? An welchen Werten orientieren sie sich? Wie blicken sie in die Zukunft? Welche Hoffnungen, Ängste und Sorgen gibt es? Wie wird Freizeit gestaltet, gibt es bestimmte – mitunter differierende – Vorlieben? Wer ist Vorbild?

Die Sinus-Studie ordnet die Jugendlichen in verschiedene Lebenswelten ein; ausgehend von geäußerten Vorstellungen über Wertvolles und Erstrebenswertes. Insgesamt werden sieben Lebenswelten mit unterschiedlicher Lebenseinstellung und -lage, sozialem Umfeld und Werten voneinander abgegrenzt. Dieses Modell ist weitgehend stabil, bereits 2008 und 2012 gab es ähnliche Ergebnisse.

Sieben Lebenswelten

Die Lebenswelten weichen mehr oder weniger stark voneinander ab: Konservativ-bürgerliche Jugendliche bilden ein verhältnismäßig großes Milieu; sie orientieren sich an Werten wie Heimat und Tradition. Familie, Routine und Sicherheit sind wichtig und werden gepflegt. Eine der Befragten – 14 Jahre alt – äußerte sich folgendermaßen: „Wenn mein Ehemann später genug verdient, um unserer Familie ein gutes Einkommen zu sichern, kann ich mir auch vorstellen, nicht arbeiten zu gehen. Lieber würde ich dann zuhause bleiben und unsere Kinder betreuen.”

Adaptiv-pragmatische junge Menschen sind ebenso familienverbunden, statt Heimat oder Tradition wird Leistung groß geschrieben; die Jugendlichen treffen meist sinnvolle, zukunftssichernde Entscheidungen. Bei aller Orientierung am Machbaren, wollen Adaptiv-Pragmatische gerne auch als Rebellen gesehen werden – in gewissem Rahmen. Daniel Hörsch, Mitglied der Sinus-Akademie: „Ziel ist es, auf brave Art ein bisschen wild zu sein – hier wird purer Mainstream gelebt.”

Einen großen Kontrast bildet die prekäre Lebenswelt: Zugehörige Jugendliche stammen aus unsicherem Umfeld, meist aus bildungsfernen Elternhäusern. Sie sind um Teilhabe und Orientierung bemüht; haben schwierigste Startvoraussetzungen und lassen sich stark von Freunden und dem engen Umfeld beeinflussen. Die jungen Menschen verfolgen unrealistische Ziele. Berufswünsche bei den Mädchen: Sängerin oder Model; bei den Jungen: Rapper oder Fußballprofi. Vorbilder entsprechen diesen Zielen: Fußballer Cristiano Ronaldo und die Boxer Mike Tyson und Muhammad Ali sind Personen, nach deren Lebensentwurf die Befragten streben.

Freiheit oder Sicherheit?

Materialistische Hedonisten stammen ebenfalls aus der bildungsfernen Unterschicht, sie verfügen aber – anders als die Jugendlichen der prekären Lebenswelt – über ein gewisses finanzielles Budget. Oberste Priorität ist attraktives Aussehen, Geld wird für Markenprodukte ausgegeben. Lebensziel ist nicht mehr Familie oder Heimat, sondern der Besitz von Statussymbolen.

Experimentalistische Hedonisten sind dagegen eher an Genuss und Abenteuer interessiert, sie streben nach Freiheit und Individualität, ganz nach dem Motto: Der Ernst des Lebens kommt früh genug. Diese Lebenswelt distanziert sich klar von der Masse, die Jugendlichen bewegen sich in einer eigenen Szene, sie haben einen individuellen Kleidungs- und Einrichtungsstil und verfolgen klare Zukunftsvorstellungen.

Sozial-ökologische Jugendliche sind die einzige Gruppe, die über den Tellerrand des eigenen Lebens und seiner sozialen Strukturen hinausblickt; es geht um gesellschaftliche, postmaterialistische Werte wie Demokratie und Gemeinwohl, Nachhaltigkeit oder Toleranz. Diese jungen Menschen haben ein starkes Sendungsbewusstsein, sie organisieren Bürgerproteste und scheuen nicht die Diskussion. Luxus ist in dieser Gruppierung verpönt, Musik wird als Katalysator eines positiven Lebensgefühls gesehen, Freundschaften sind extrem wichtig, an das eigene Umfeld werden sehr hohe Ansprüche gestellt.

Familie und Freunde

Die siebte Jugendgruppe wurde unter dem Namen „Expeditive“ zusammengefasst. Sie besteht aus gut ausgebildeten Networkern und Selbstverwirklichern; der eigene Lifestyle hat Priorität. Leistung und das Streben nach Erfolg sind oberste Gebote. Der expeditive Jugendliche sieht sich als urbaner Kosmopolit, er geht frei von Routine und Spießigkeit durch das Leben; Vorbilder sind Politiker wie Willy Brandt.

„Die Lebenswelten sind sehr eng zusammengerückt, „ erklärt Experte Hörsch. Es seien häufig Nuancen ausschlaggebend, um die Jugendlichen einer Gruppe zuzuordnen. Am ehesten ließe sich das durch die Metapher des Stand- und des Spielbeins erklären: mit ihrem Standbein seien die Jugendlichen in einer Lebenswelt verankert, mit ihrem Spielbein bewegten sie sich außerdem in anderen Lebenswelten.

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