Gerda Stangl quatscht gerne. Im besten Sinne. Und am liebsten tut sie das mit den „Quatschbären”. Gerda Stangl ist Sprachfachkraft, die „Quatschbären” sind Mädchen und Buben aus der AWO-Kindertagesstätte im Hochstiftsweg in Oberföhring. Warum sie gerne quatschen? Weil über die Sprache schließlich alles läuft – Kontaktaufnahme, Wissen, kurz: „Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist”. So nennt sich auch das neue Programm des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das im Januar dieses Jahres gestartet ist.
Um es gleich vorwegzunehmen: Beim Bundesprogramm „Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist” handelt es sich nicht um ein Angebot für Kinder mit besonderem Förderbedarf. „Dieses Programm hat keinen defizitorientierten Ansatz. Es kommt allen Kindern der Einrichtung zugute”, sagt Regina Moosrainer, Leiterin der Kita im Hochstiftsweg. Intention des Angebots sei es, die Sprache verstärkt in den Mittelpunkt zu stellen. Besonders profitieren würden davon natürlich Kinder, die zwei- oder sogar dreisprachig aufwachsen.
In dem Programm erhalten die Sprach-Kitas gleich doppelte Unterstützung. Zum einen werden sie durch zusätzliche Fachkräfte im Bereich sprachliche Bildung verstärkt, die in der Einrichtung tätig sind. Zum anderen unterstützen weitere Fachberatungen die Qualitätsentwicklung in den Sprach-Kitas. Von 2016 bis 2019 stellt der Bund dafür jährlich bis zu 100 Millionen Euro für die Umsetzung des Programms zur Verfügung. In München beteiligen sich 18 Einrichtungen der AWO München-Stadt an dem Programm, unter anderem die Kitas in der Landsberger Straße (Schwanthalerhöhe) und in der Neunkirchner Straße (Thalkirchen).
Neben der Integration der sprachlichen Bildung in den Alltag, setzt das Angebot auf zwei weitere Schwerpunkte. Da ist zunächst die inklusive Pädagogik, die Kinder und Erwachsene gleichermaßen ermutigen soll, Vorurteile, Benachteiligung und Diskriminierung kritisch zu hinterfragen und eigene Gedanken zu artikulieren. Dies bedeutet, den Gemeinsamkeiten und Stärken von Kindern Aufmerksamkeit zu schenken und aufeinander zu achten. Die Zusammenarbeit mit den Familien bildet eine weitere wichtige Säule in dem Programm. Sprache und Sprachentwicklung findet zuerst durch die Eltern und zu Hause statt. Die Sprach-Kitas beraten Eltern, wie sie ein sprachanregendes Umfeld schaffen können. Aus diesem Grund laden die Fachkräfte regelmäßig zu Gesprächen ein, in denen die Eltern über die Sprachentwicklung ihrer Kinder informiert werden.
Doch wie sieht das nun in der Praxis aus? Gerda Stangl kommt als zusätzliche Fachkraft (19,5 Wochenstunden) in die Kita. Sie begleitet sowohl die beiden Krippen- als auch die beiden Kindergartengruppen sprachlich. „Wir haben unsere festen sprachlichen Rituale und erzählen zum Beispiel, was wir heute erlebt haben”, sagt sie. Bei den „Quatschbären” stellt sie ein bis zwei Bücher vor. Doch als Vorlesestunde läuft das nicht ab. „Die Kinder liegen entspannt auf dem Boden, Kopf an Kopf auf einem Kissen. Dann zeige ich ihnen von oben das Buch und lasse sie erzählen, was sie sehen. Ich rege sie zum Sprechen an”, erklärt Gerda Stangl. „Natürlich lese ich ein Buch auch vor, wenn die Kinder das möchten.” Das hätten sie bisher aber erst einmal gewünscht. „Sie reden lieber darüber.” Gerda Stangl lässt Sprache geschult in den Alltag einfließen und achtet dabei auch darauf, wie den Kollegen das gelingt. „Wir benennen die Dinge ganz bewusst, etwa beim Händewaschen”, ergänzt Regina Moosrainer. „Es ist sehr hilfreich, wenn da jemand von außen draufschaut und uns sagt, was wir noch besser machen können.” Regelmäßig geht Gerda Stangl auch in die Gruppen und filmt einzelne Szenen, um zu dokumentieren, wie die Kinder und Erzieher miteinander, aber auch untereinander auskommen.
Als zusätzliche Fachberaterin begleitet Christa Tolksdorf die AWO-Einrichtung. Alle acht bis zehn Wochen ist sie vor Ort zu einem Gespräch mit Regina Moosrainer und Gerda Stangl. „Wir besprechen, wie wir unsere Ideen weiterentwickeln wollen und wie sich das Programm umsetzen lässt”, sagt Christa Tolksdorf. „Ich habe dabei eine übergeordnete Funktion und versuche, fachliche Impulse zu geben.” Zudem gebe es einen kollegialen Austausch mit den Teams anderer teilnehmender Einrichtungen. Auch das schärfe den Blick nochmals und helfe, die eigene Situation zu hinterfragen. „Die Sprach-Kita ist ein Qualitätsmerkmal der AWO”, betont Christa Tolksdorf. „Wir stellen fest, dass die Eltern bei der Wahl der passenden Kindertagesstätte ein Auge darauf haben, denn Bildung funktioniert über Sprache.” Ziel der AWO sei es, die pädagogische Qualität weiterzuentwickeln.
„Wir sehen dieses Programm als große Bereicherung sowohl für die Kinder als auch für das Team”, fasst Regina Moosrainer zusammen. Und Gerda Stangl ergänzt: „Bewusst auf die Sprache zu achten, hilft auch dabei, den Alltag zu entschleunigen, sich bewusst Zeit zu nehmen.” So wie es Gerda Stangl macht. Mit den „Quatschbären”.
Weitere Informationen gibt es unter www.awo-muenchen.de im Internet. Die Telefonnummer der AWO-Geschäftsstelle lautet (089) 45832-0. Hier werden Interessenten aller Bereiche weitervermittelt.