Wenn Vermieter eine Wohnung kündigen, dann begründen sie das in den meisten Fällen mit Eigenbedarf. Rechtsanwältin Marianne Remsperger, Anja Franz vom Mieterverein München und Rudolf Stürzer (Haus + Grund München) beantworten die wichtigsten Fragen.
Für welche Familienmitglieder darf ein Vermieter Eigenbedarf anmelden? Gilt das beispielsweise auch für Großeltern, Neffen oder Stiefkinder?
Rechtsanwältin Marianne Remsperger: Eigenbedarf gilt vor allem für Familienangehörige, die in gerader Linie verwandt sind – wie Kinder und Ehepartner. Auch für verschwägerte Verwandte und damit für Nichten und Neffen ist er möglich. Bei Stiefkindern geht das nur, wenn eine enge Bindung zum Vermieter besteht. Eigenbedarf gilt nicht, wenn es sich beispielsweise um den geschiedenen Ehepartner oder das Kind des Lebenspartners handelt.
Wann darf ein Vermieter auf Eigenbedarf kündigen? Muss er sich dazu in einer „Notlage” befinden?
Rechtsanwältin Marianne Remsperger: Es gibt verschiedene Fälle, bei denen ein Vermieter wegen Eigenbedarfs kündigen darf. Zum Beispiel wenn ihm selbst die Wohnung gekündigt wurde, wenn sein Wohnraum unzureichend ist, aber auch wenn sich seine Familie vergrößert; vielleicht weil er geheiratet hat, Familienangehörige einziehen möchten oder er eine Pflegeperson aufnehmen muss.
Oft werden gesundheitliche Gründe aufgeführt. Eine Erdgeschosswohnung kann zum Beispiel wegen einer Gehbehinderung benötigt werden. Eigenbedarf kann angeführt werden, wenn der Vermieter aus wirtschaftlichen Gründen aus einer teuren Mietwohnung ausziehen möchte oder einen kürzeren Arbeitsweg von seiner Eigentumswohnung aus hätte.
Problematisch sind Fälle, bei denen es um Abriss, Neubau, Sanierung, Umbau oder Ausbau geht. Ob hier ein Grund für eine Eigenbedarfskündigung vorliegt, das wird von den Gerichten sehr genau geprüft.
Ist eine Eigenbedarfskündigung zulässig, wenn der Vermieter seinen Bedarf bereits bei Abschluss des Mietvertrags absehen konnte?
Rechtsanwältin Marianne Remsperger: Inwieweit der Vermieter seinen Bedarf vorhersehen kann, ist umstritten. Hier kommt es immer auf den Einzelfall an. Beim Landgericht München wurde in einem solchen Fall einer Eigenbedarfskündigung stattgegeben. Hier wohnte der Mieter seit dreieinhalb Jahren in der Wohnung (Az: 14 S 2367/14 ).
Hat ein Vermieter das Recht auf eine Eigenbedarfskündigung, wenn er über eine andere freie Wohnung verfügt?
Rechtsanwältin Marianne Remsperger: Nein. Das Kündigungsrecht kann entfallen, wenn dem Vermieter eine andere frei werdende Wohnung zur Verfügung steht. Der Vermieter hat die Pflicht, Wohnungen im gleichen Haus oder in der gleichen Wohnanlage, die frei sind oder werden, anzubieten.
Muss der Vermieter seinem Mieter eine Alternativwohnung anbieten?
Rechtsanwältin Marianne Remsperger: Nur wenn der Vermieter in seinem Haus oder in seiner Wohnanlage eine andere freie Wohnung hat. Dies gilt dann bis zum Ablauf der Kündigungsfrist.
Welche Form und welchen Inhalt muss das Kündigungsschreiben haben?
Rechtsanwältin Marianne Remsperger: Die Kündigung muss schriftlich erfolgen und die Unterschrift des Vermieters tragen. Kündigt eine Hausverwaltung, so muss eine Originalvollmacht vorgelegt werden. Das gilt auch, wenn ein Rechtsanwalt kündigt. In der Kündigung muss deutlich erkennbar sein, warum und für wen gekündigt wird – und die Begründung muss schon ausführlich sein.
Generell empfehle ich, Kündigung immer rechtlich überprüfen zu lassen. Oft sind Kündigungen nämlich aus formalen Gründen nicht wirksam. Das kann der Fall sein, wenn sie per E-Mail oder Fax geschickt wurden. Oft sind auch die inhaltlichen Argumente nicht stichhaltig oder sogar falsch.
Wie kann ein Mieter gegen eine Eigenbedarfskündigung vorgehen, wenn er sie für unzulässig hält?
Rechtsanwältin Marianne Remsperger: Er sollte sie rechtlich überprüfen lassen. Entweder durch einen privaten Anwalt oder, falls er Mitglied in einem Mieterverein ist, durch einen Anwalt des Vereins. Er könnte auch eine Beratungshilfe in Anspruch nehmen. Dafür muss er einen Antrag beim Amtsgericht stellen. Falls es zu einer Räumungsklage kommen sollte, dann sollten sich Mieter auf alle Fälle anwaltlich vertreten lassen. Erfahrungsgemäß sind solche Verfahren recht problematisch.
Was kann ein Mieter tun, wenn sich herausstellt, dass der Vermieter seinen Eigenbedarf nur vorgetäuscht hat?
Rechtsanwältin Marianne Remsperger: In solchen Fällen hat der Mieter Schadensersatzanspruch und kann sich Maklerkosten, Umzugskosten und sogar die Differenz zu einer eventuell höheren Miete erstatten lassen. Für den Vermieter kann es unangenehm werden, wenn er sich beispielsweise durch Prozessbetrug strafbar gemacht hat.
Wie häufig sind Eigenbedarfskündigungen in München?
Anja Franz (Mieterverein München): Im Mieterverein München führen wir ca. 1.000 Beratungen pro Jahr zu diesem Thema durch.
Müssen Vermieter ihren Eigenbedarf begründen?
Anja Franz (Mieterverein München): Natürlich müssen Vermieter ihren Eigenbedarf begründen. Das schreibt das Gesetz so vor. Der Mieter muss nachvollziehen können, warum der Vermieter ihm kündigt und was er mit der Wohnung vorhat. Anhand dieser Gründe muss dann sowohl vom Mieter als auch später vom Richter abgewogen werden, wessen Gründe für den Bezug bzw Verbleib in die Wohnung schwerer wiegen – die des Mieters oder die des Vermieters.
Welche Kündigungsfrist hat der Vermieter einzuhalten?
Anja Franz (Mieterverein München): Die Kündigungsfrist richtet sich nach der Dauer des Mietverhältnisses: Bis zu 5 Jahren beträgt die Kündigungsfrist 3 Monate, 5-8 Jahre 6 Monate und ab 8 Jahre 9 Monate. Wurde im Mietvertrag für den Vermieter eine längere Kündigungsfrist vereinbart, gilt diese.
Was passiert, wenn ein Mieter nach der Kündigung keinen andere Wohnung findet?
Anja Franz (Mieterverein München): Wenn der Mieter keine Wohnung findet, ist es letztlich sein Problem. Wenn die Kündigung des Vermieters wirksam ist, muss der Mieter zum Kündigungszeitpunkt ausziehen. Im Zweifel hat der Vermieter ja schon alle Vorkehrungen getroffen, um zu diesem Zeitpunkt in die betreffende Wohnung einzuziehen. Der Mieter macht sich dann also schadensersatzpflichtig. Wenn der Mieter einfach in der Wohnung bleibt, kann der Vermieter Räumungsklage erheben. Dann kann der Mieter zwar bis zum endgültigen Urteil in der Wohnung bleiben, muss aber den gesamten Prozess und evtl. Schadenersatz bezahlen.
Wenn Vermieter eine Wohnung kündigen, dann begründen sie das oft mit Eigenbedarf. Wie viele solche Fälle treten jährlich in München ein und wie viele davon beschäftigen die Gerichte?
Rudolf Stürzer (Haus + Grund München): Die meisten Kündigungen durch den Vermieter erfolgen nicht wegen Eigenbedarf, sondern wegen erheblicher Mietrückstände, laufend unpünktlichen Mietzahlungen und sonstigen Vertragsverletzungen durch den Mieter, z.B. laufenden Ruhestörungen, vertragswidriger Gebrauch der Wohnung u.ä.
Eigenbedarf des Vermieters ist praktisch der einzige Kündigungsgrund, der nicht aus der Sphäre des Mieters bzw. dessen Verhalten herrührt. Dementsprechend hoch sind die Anforderungen der Rechtsprechung an die Geltendmachung von Eigenbedarf.
Eine Statistik über die Zahl der Eigenbedarfskündigungen liegt uns leider nicht vor. Nach unseren Erfahrungen muss über ca. 10 % der Eigenbedarfskündigungen von den Gerichten entschieden werden.
Muss der Vermieter seinen Eigenbedarf mit entgegenstehenden Interessen seines Mieters abwägen?
Rudolf Stürzer (Haus + Grund München): Der Mieter von Wohnraum ist bei einer Kündigung durch den Vermieter (abgesehen von wenigen Ausnahmefällen) in doppelter Hinsicht geschützt. Zum einen dadurch, dass der Vermieter grundsätzlich nur bei Vorliegen eines gesetzlichen Kündigungsgrundes z.B. Eigenbedarf kündigen kann, und zum anderen durch die Sozialklausel des § 574 BGB, wonach der Mieter selbst dann, wenn der Vermieter einen gesetzlichen Kündigungsgrund dargelegt und bewiesen hat, unter bestimmten Voraussetzungen die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen kann.
Bei der Frage, ob der geltend gemachte Eigenbedarf begründet ist, kommt es nur darauf an, ob der Vermieter die Wohnung „benötigt”, d.h. vernünftige und nachvollziehbare Gründe für die Inanspruchnahme der Wohnung für sich oder Angehörige hat. Evtl. entgegenstehende Interessen des Mieters haben darauf keinen Einfluss. Diese kommen erst nach dem Widerspruch des Mieters gegen die Kündigung ins Spiel. Auf dieses Widerspruchsrecht muss der Mieter im Kündigungsschreiben hingewiesen werden. Der Mieter kann der Kündigung widersprechen und vom Vermieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder seine Angehörigen eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist, z.B. wenn angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann (sog. Härteklausel, § 574 Abs. 2 BGB).
Müssten die im Einzelfall vorliegenden besonderen Belange des Mieters bereits bei der Prüfung des Eigenbedarfs berücksichtigt werden, liefe dies darauf hinaus, dass der Vermieter zur Schlüssigkeit seiner Kündigung eine Interessenlage berücksichtigen müsste, die ihm oftmals gar nicht bekannt ist (so bereits BGH, RE v. 10.1.1988, VIII ARZ 4/87).
Was kann der Vermieter unternehmen, wenn ein Mieter trotz wirksamer Eigenbedarfskündigung nicht auszieht?
Rudolf Stürzer (Haus + Grund München): Zieht der Mieter trotz wirksamer Eigenbedarfskündigung nicht aus, sollte der Vermieter das weitere Vorgehen von den Gründen des Mieters für die Verweigerung des Auszugs abhängig machen. Geht es dem Mieter nur um einen zeitlichen Aufschub, sollte über eine angemessene Räumungsfrist verhandelt werden. Verweigert der Mieter den Auszug dagegen generell, z.B. weil er der Meinung ist, die Kündigung sei unwirksam oder ein Umzug sei für ihn nicht zumutbar, bleibt dem Vermieter nur der Rechtsweg über die Erhebung der Räumungsklage vor dem zuständigen Amtsgericht, das dann über die Begründetheit des Eigenbedarfs entscheidet.
Viele Vermieter vermieten mehrere Wohnungen. Wie ist geregelt, welches dieser Mietverhältnisse zu kündigen ist?
Rudolf Stürzer (Haus + Grund München): Vermietet der Vermieter mehrere Wohnungen, steht es ihm grundsätzlich frei, welches Mietverhältnis er kündigt. Zu einer sog. Sozialauswahl ist der Vermieter nicht verpflichtet (s. hierzu ausführlich Vermieter-Lexikon, S. 250).
Soziale Belange des Mieters sollte der Vermieter nicht nur im Interesse des Mieters, sondern auch im eigenen Interesse berücksichtigen, da Mieter mit Härtegründen (z.B. Alter, Krankheit, Kinder etc.) der Kündigung mit mehr Aussicht auf Erfolg widersprechen können als z.B. junge, kinderlose und gut verdienende Mieter.
Kann ein befristeter Mietvertrag wegen Eigenbedarfs gekündigt werden?
Rudolf Stürzer (Haus + Grund München): Ein zeitlich befristeter Mietvertrag kann während der Laufzeit nicht ordentlich, z.B. wegen Eigenbedarfs gekündigt werde. Gleiches gilt bei einem unbefristeten Mietvertrag mit einem vereinbarten Kündigungsausschluss für bestimmte Zeit. Solche Mietverträge können sowohl vom Mieter als auch vom Vermieter nur außerordentlich, z.B. vom Vermieter fristlos wegen Zahlungsverzugs oder Vertragsverletzungen gekündigt werden.