Zum Tag des Hörens beantwortet Lutz Kaiser, Bereichsleiter der AOK Bayern, Fragen zum Hören und zu Hörgeräten.
Die Technik wird immer leistungsfähiger, kleiner, billiger: Wie teuer muss ein Hörgerät eigentlich sein?
Lutz Kaiser: Für Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen ist grundsätzlich die Versorgung mit Hörgeräten ohne eigene Aufzahlungen vorgesehen. Die meisten gesetzlichen Krankenkassen haben Verträge mit den Hörgeräteakustikern geschlossen, die aufzahlungsfreie Versorgung mit modernen volldigitalen Hörsystemen garantieren. Diese Hörsysteme müssen geeignet sein, die individuelle Hörminderung des Versicherten weitgehend auszugleichen. Die Akustiker sind verpflichtet, die Versicherten auf die aufzahlungsfreie Versorgungsmöglichkeit hinzuweisen. Wählt der Versicherte bewusst ein Hörgerät mit Komfortfunktionen, die nicht in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen fallen, so fällt in der Regel eine Aufzahlung an. Der Akustiker hat den Versicherten vor der Abgabe der Hörgeräte detailliert über die privat zu tragenden Mehrkosten aufzuklären.
Die gesetzlichen Krankenkassen haben 2013 ihren Zuschuss für Hörgeräte fast verdoppelt. Wir hoch ist der Festbetrag aktuell?
Lutz Kaiser: Der Begriff Zuschuss ist nicht richtig. Es gibt einen Festbetrag, der für alle gesetzlichen Krankenkassen als Preisobergrenze verbindlich ist. Der Festbetrag ist folglich ein Höchstbetrag und kein Fixpreis. Das heißt, es können unterhalb der Festbeträge Vergütungen vereinbart werden, womit ein Vertragswettbewerb ausgelöst werden soll. Daher variieren die Vergütungen je nach Vertrag der einzelnen Krankenkasse.
Bei der Versorgung mit Hörsystemen unterscheidet man aktuell zwei Festbetragsgruppensysteme. Zum einen das Festbetragsgruppensystem für an Taubheit grenzende schwerhörige Versicherte und zum anderen das Festbetragsgruppensystem für schwerhörige Versicherte. Der Festbetrag beträgt für ein Hörgerät für an Taubheit grenzende Versicherte 841,94 Euro, für schwerhörige Versicherte 784,94 Euro.
Da die meisten Krankenkassen Verträge über die Hörgeräteversorgung abgeschlossen haben, kommt in der Regel der Vertragspreis zur Abrechnung. Wie hoch dieser ist, kann der Akustiker oder die Krankenkasse erläutern. Zum Vertragspreis ist grundsätzlich eine aufzahlungsfreie Versorgung mit geeigneten Hörgeräten möglich.
Welche Mindeststandards erfüllen die Festbetragshörgeräte?
Lutz Kaiser: Hörgeräte, die für schwerhörige Versicherte abgegeben werden, müssen über folgende Mindesstandards verfügen:
Digitaltechnik, Mehrkanaligkeit (mindestens vier Kanäle), Rückkoppelungs- und Störschallunterdrückung, mindestens drei Hörprogramme, Verstärkungsleistung kleiner als 75 dB.
Die Verträge der einzelnen Kassen können darüber hinaus noch weitere Anforderungen vorsehen.
Welche Eigenleistungen sind daneben sinnvoll?
Lutz Kaiser: Dies kann man nicht pauschal beantworten. Grundsätzlich erfüllen die aufzahlungsfreien Hörsysteme alle Anforderungen für einen möglichst weitgehenden Behinderungsausgleich. Wünscht der Schwerhörige Komfortfunktionen wie Fernbedienung, spezielle Filterfunktionen für Hintergrundgeräusche oder die Bluetooth-Technologie zur direkten Verbindung der Hörgeräte mit Elektrogeräten wie z.B. dem Fernseher, so sind dafür private Aufzahlungen zu leisten. Ob diese Komfortfunktionen sinnvoll sind, muss jeder Schwerhörige individuell in Abhängigkeit seiner Bedürfnisse entscheiden. Daher sind die ausführliche Beratung vom Hörgeräteakustiker und die Erprobung verschiedener Modelle sehr wichtig.
Gerade beim ersten Hörgerät haben Patienten oft Probleme bei der Anpassung. Woran erkennt man einen guten Hörgeräteakustiker?
Lutz Kaiser: Der Akustiker sollte sich gerade bei der erstmaligen Anpassung von Hörgeräten viel Zeit für den Kunden nehmen und alle Fragen umfassend beantworten. Zudem sollten mehrere Hörgeräte angeboten und getestet werden. Mindestens ein geeignetes Hörgerät ist vom Akustiker ohne private Aufzahlung anzubieten. Über eventuelle private Aufzahlungen für Komfortfunktionen sollte der Kunde transparent und nachvollziehbar (schriftlich) vor der Anpassung des Hörgerätes aufgeklärt werden. Letztlich ist die Vertrauensbasis zum Akustiker für eine erfolgreiche Hörgeräteversorgung ein entscheidender Faktor. Der Kunde sollte daher auch sehr auf sein „Bauchgefühl“ hören.
Empfehlen die Kassen bestimmte Hörgeräteakustiker? An wen können sich Patienten, die unsicher sind, wenden?
Lutz Kaiser: Die gesetzlichen Krankenkassen empfehlen in der Regel keine Akustiker. Die Patienten, die einen Akustiker suchen, können sich im Internet gut über die Akustiker in Wohnortnähe informieren. Ältere oder wenig mobile Patienten sollten darauf achten, dass der Akustiker ihrer Wahl gut erreichbar ist. Für die Anpassung von Hörgeräten sind im Normalfall mehrere Termine notwendig. Auch nach der Anpassung muss der Akustiker für Wartungs- und Reparaturarbeiten immer wieder aufgesucht werden.
Wieviel Prozent der Hörgeräteträger kommen mit einem Festbetragshörgerät („aufzahlungsfreie Hörgeräte”) aus?
Lutz Kaiser: Darüber liegen mir für die gesamte gesetzliche Krankenversicherung keine gesicherten Zahlen vor. Nach meiner Schätzung wählen aber weit über die Hälfte der Schwerhörigen aufzahlungsfreie Versorgungen im Rahmen der Verträge.
Wie ist die Wartung der Geräte geregelt und wie wird sie finanziert?
Lutz Kaiser: Bei den meisten gesetzlichen Krankenkassen wird die Reparatur von Hörgeräten pauschal für sechs Jahre vergütet. Aufzahlungsfreie Hörgeräte sind in dieser Zeit vom abgebenden Akustiker auch aufzahlungsfrei zu warten oder zu reparieren. Bei Hörgeräten mit Aufzahlung für Komfortfunktionen können eventuell auch bei Reparaturen Aufzahlungen anfallen. Nach sechs Jahren wird im Normalfall ein neues Hörgerät angepasst.
Immer häufiger sind junge Menschen von Schwerhörigkeit betroffen. Im Schnitt gehen Patienten zehn Jahre zu spät erstmals zum HNO-Arzt. Was raten Sie zur Vorsorge.
Lutz Kaiser: Zum Thema Vorsorge fallen mir die vielen jungen Leute mit Kopfhörern ein. Die Ärzte warnen vor dem Hören zu lauter Musik als Ursache für Schwerhörigkeit. Ich empfehle daher, die Lautstärkeregelungen an Smartphone und MP3-Player auf eine verträgliche Einstellung zu überprüfen.
Ansonsten kann man nur appellieren, dass bei eintretender Hörminderung schnell ein HNO-Arzt aufgesucht wird. Schwerhörigkeit kann zu massiven Alltagsproblemen bis hin zur sozialen Ausgrenzung führen. Auch im Berufsleben hat man mit eingeschränkter Hörfähigkeit große Nachteile. Die technischen Möglichkeiten und die Optik haben sich von modernen Hörgeräten stark verbessert. Je eher man sich an das Tragen von Hörgeräten gewöhnt, je schneller und besser kann man den Hörverlust kompensieren.
Am Mittwoch, 13. Mai, findet der „Tag des Hörens” statt. Der Aktionstag macht auf die Bedeutung von gutem Hören aufmerksam. In diesem Jahr steht der Aktionstag unter dem Leitthema „Kommunikation und zwischenmenschliche Beziehungen” mit speziellem Blick auf die Zielgruppe der älteren Menschen. Moderne Hörtechnologie ermöglicht es, soziale Isolation zu überwinden und sich trotz einer Hörminderung an Konversationen mit Freunden und Familienmitgliedern mühelos zu beteiligen. Wie aktuelle Studien zeigen, tragen selbst unter den älteren Menschen mit Hörminderung zu wenige Hörsysteme – oft aus falscher Scham. Dabei ist belegt, dass das regelmäßige Tragen von Hörsystemen mehr Sicherheit im Alltag vermittelt und das Selbstbewusstsein stärkt.