Direkt an der U-Bahnhaltestation der U1 Gern leitet die Erzieherin Maria Beatrice Hoffmann seit sechs Jahren die Großtagespflege „Gernerchen“. In der Regel werden Großtagespflegen in München von zwei pädagogisch qualifizierten Personen geleitet, die gemeinsam bis zu zehn Kinder betreuen. Marie Beatrice Hoffmann wählte einen anderen Weg. In den Räumen einer ehemaligen Drogerie widmet sie fünf Kindern im Alter von ein bis drei Jahren ihre Zeit – von Montag bis Freitag für sieben Stunden täglich - und das ín alleiniger Regie. Im Interview mit dem Samstagsblatt gibt die Pädagogin Einblicke, wie sie ihr Kleinunternehmen führt.
Was bewog Sie vor sechs Jahren, das Angestelltenverhältnis zu verlassen und eine Großtagespflege zu eröffnen?
Maria Beatrice Hoffmann: Nach meiner zehnjährigen Pause, in der ich meine drei Kinder aufzog, stieg ich ganz unten im Erzieher-Gruppendienst ein. Obwohl ich bald in der Führungsebene war, spürte ich Unzufriedenheit. Ich hatte sehr hohe eigene Qualitätsansprüche, die ich nicht immer nach meinen Vorstellungen einbringen konnte.
Und diese Qualitätsansprüche können Sie nun in Ihrer Großtagespflege umsetzen?
Maria Beatrice Hoffmann: Ja. Mir ist Professionalität sehr wichtig. Das Rahmenkonzept des Stadtjugendamtes München beinhaltet Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern. Das ist in meiner praktischen Arbeit integriert. Die Eltern sollen ihre Kinder mit wirklich gutem Gewissen in die Betreuung geben. Da hilft mir meine langjährige Erfahrung als Erzieherin.
Wovon profitieren Sie?
Maria Beatrice Hoffmann: Ich habe fundierte Kenntnisse über Entwicklungspsychologie, auch über Lerntheorien und Bindungsgeschehen. Oder über Sprachentwicklung. Man muss sich auf die Ebene der Kinder einstellen, um zum Beispiel die Sprache in unterschiedlichsten Formen zu verbalisieren. Ich persönlich baue im richtigen Moment Wortspiele ein, habe ein großes Repertoire an Liedern und wir singen viel.
Wie schaffen Sie das, alleine den ganzen Tag über für alles zuständig zu sein?
Maria Beatrice Hoffmann: Manchmal ist es schon anstrengend, in einer Dauerpräsenz und -verantwortung zu sein. Es ist notwendig, ständig die Übersicht zu bewahren und zügig zu arbeiten. Multitasking wäre das Stichwort, zum Beispiel bei der Essenszubereitung und auch auf dem Spielplatz, wenn ich schnell einem Kind hinterherlaufen muss. Die körperliche Eignung einer Erziehungsperson ist nicht zu unterschätzen. Man muss sofort agieren. Was mir auch hilft, ist ein gutes Selbstbewusstsein, um die Arbeit alleine stemmen zu können.
Das bedeutet ...?
Maria Beatrice Hoffmann: ... selbst zu wissen, wer man für die Eltern und die Kinder ist und sich über das Sinnhafte des Ganzen klar zu sein. Diese Tätigkeit ist eine enorme Herausforderung. Und gleichzeitig ist es eine großartige Aufgabe sich mit Kindern so kontinuierlich beschäftigen zu können – mit nur ca. drei Wochen Pause im Jahr.
Da bauen Sie eine enge Beziehung zu den Kindern auf?
Maria Beatrice Hoffmann: Die Betreuung funktioniert nur, wenn die Kinder eine gute Bindung zu mir haben und sich vertraut fühlen. Das A und O ist eine gute Eingewöhnungsphase. Für die Kinder bin ich von Anfang an „Mama Hoffmann“. Wenn sie so klein sind, ist jede liebevolle Bezugsperson eine „Mama“. Den Eltern kann ich das gut vermitteln, dass ich keine Konkurrenz bin. Der Turnus meiner Gruppen geht zwei Jahre. Am Ende wechseln die Kinder dann oft selbständig zu „Frau Hoffmann“.
Wie akquirieren Sie Ihre Eltern, um nach zwei Jahren eine neue Gruppe aufzubauen?
Maria Beatrice Hoffmann: Inzwischen läuft das über Mund-zu-Mund-Propaganda. Während des Jahres erkundigen sich viele Eltern telefonisch. Dieses Jahr werde ich im September eine neue Gruppe haben. Im Februar organisierte ich bereits einen Elternnachmittag. Zwei Monate vor Gruppenbeginn werde ich mit den Eltern vertraglich alles geregelt haben.
Man spürt, dass Sie selbständige Unternehmerin sind. Worauf kommt es an?
Maria Beatrice Hoffmann: Ich schaffe bei den Eltern Vertrauen durch meine Fachkompetenz. Eine Voraussetzung ist, dass die Betreuung zur Zufriedenheit aller verläuft. Ein weiterer Faktor ist, für die Eltern ganz klare Strukturen zu schaffen. Das musste ich zu Beginn erst lernen. Die Ausgangsbedingungen wie Öffnungszeit oder Länge der Betreuungszeit sind für alle Eltern gleich. Wenn ich somit fünf Kinder für je sieben Stunden am Tag kontinuierlich habe, ist die Tätigkeit auch sehr gut bezahlt - verglichen mit einer angestellten Erzieherin.
Sie können also von Ihrer Großtagespflege gut leben?
Maria Beatrice Hoffmann: Ja. Der Knackpunkt ist der Anfang. Ich habe 8.000 Euro für Maklergebühren, Kaution, Gutachten etc. vorfinanziert. Teilweise habe ich Materialien auf Flohmärkten erworben und dann nach und nach die Ausstattung verbessert. Und ich hatte Glück. Der Vermieter ist ein sehr netter Malermeister, der mir die Räume schön hergerichtet hat.
Welche Vorteile sehen Sie als selbständige Kleinunternehmerin?
Maria Beatrice Hoffmann: Die Selbständigkeit hat viele Vorteile. Ich bestimme die Rahmenbedingungen und die Tagesstruktur selbst und kann auch spontan Entscheidungen treffen – je nach Befindlichkeit der Kinder oder dem Wetter beispielsweise. Das ist ja das Tolle an diesem Beruf: Wo kann man schon so vieles selber gestalten? Eine Frau, die im Büro arbeitet, kann das meist nicht. Die selbständige Tätigkeit hat ja auch eine gute Verankerung im Jugendamt.
Das Jugendamt München steuert dieses Betreuungsangebot der Kindertagespflege und jede Großtagespflege wird fachlich begleitet. Wie beurteilen Sie die Kooperation?
Maria Beatrice Hoffmann: Es ist hervorragend, dass man sich dort an sozialpädagogische Fachkräfte wenden kann, um kompetente Beratung zu erhalten. Schließlich müssen Großtagespflegen ähnliche Standards haben wie Kinderkrippen. Da ist zum Beispiel auch für eine professionelle Ersatzbetreuung bei Erkrankung meinerseits gesorgt. Wichtig ist auch die Kontrollfunktion des Amtes, zum Beispiel ob Schließzeiten vor Ort in Großtagespflegen eingehalten werden.
Was würden Sie als Profi Neueinsteigerinnen raten?
Maria Beatrice Hoffmann: Wenn man sich mit einer Kollegin gut versteht, ist es schon ratsam, eine Großtagespflege zu zweit zu machen. Alleine erfordert es eine hohen persönlichen Einsatz. Auch fehlt mir manchmal der unmittelbare Austausch mit Erwachsenen. Und noch ein Tipp zur Raumgestaltung: Es ist besser, nicht alles zuzustellen. Die Kinder brauchen viel Platz für Bewegung zum Hüpfen, Rennen und Spielen.
Sie sind nun 61 Jahre. Wie lange werden Sie die Gernerchen leiten?
Maria Beatrice Hoffmann: Solange ich gesund bin, kann ich das noch lange machen. Die Kinder halten mich auf Trab. Und es beglückt mich, zu erleben, wie sie sich entwickeln.
Wie schätzen Sie Ihre Zufriedenheit ein verglichen mit dem Angestelltenverhältnis?
Maria Beatrice Hoffmann: Die hat sich um 150 Prozent gesteigert.