Zur Wahl zu gehen und seine Stimme abzugeben, ist für die meisten Menschen ein einfacher Prozess; die größten Schwierigkeiten sind in der Regel Ratlosigkeit bezüglich politischer Programme oder Parteiverdrossenheit. Vor welchen Hürden Menschen mit Behinderungen stehen, wenn es an die Wahlurnen geht, ist vielen allerdings nicht bewusst. Die Aktion Mensch hat sich der Sache angenommen und gemeinsam mit Guildo Horn Wahllokale in Deutschland auf Barrierefreiheit getestet. In den Nymphenburger Schulen berichteten die „Wahllokal-Tester” über die Erfahrungen, die sie während ihrer Tour gesammelt hatten.
„Hallo, mein Name ist Guildo Horn, Stellvertreter für Menschen mit Problemhaar”, scherzte der Sänger und Diplom-Pädagoge bei der Vorstellung der Kampagnen-Teilnehmer. Gemeinsam mit drei Menschen mit Behinderungen war er im Vorfeld der Bundestagswahlen in deutschen Großstädten unterwegs, um Wahllokale einem „Barriere-Check” zu unterziehen. Mit dabei waren Petra Groß, Expertin für leichte Sprache und Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, Michael Wahl, Journalist und Nationalspieler Blindenfußball sowie Raúl Krauthausen, Initiator „Sozialhelden e.V.” und „wheelmap.org”.
„Ich fand die Aktion richtig spannend”, bekundete Guildo Horn, der während der Tour als Busfahrer fungierte. „Danke an mein Team, ich fahre euch gerne immer wieder”. Auf die Frage, was ihn zu seiner Mitarbeit veranlasst habe, antwortete er: „Ich bin Mensch, ich bin interessiert. Engagement ist ein Teil der Bildung und ich habe dadurch auch mehr Spaß am Leben.”
Rein aus Spaß fand die Aktion der Wahllokal-Tester allerdings nicht statt. Menschen mit Einschränkungen haben bei Wahlen nach wie vor erhebliche Schwierigkeiten. Oft sind Wahllokale nicht behindertengerecht ausgestattet, es gibt keine Rollstuhlrampen oder die Wahlpapiere sind für blinde und sehbehinderte Personen unbrauchbar.
In den Nymphenburger Schulen ist eine Rampe für Rollstuhlfahrer vorhanden, allerdings auf der Rückseite des Gebäudes; man muss um drei Häuserecken, durch die Hintertür und einen gewundenen Gang, bis man in der Haupthalle ankommt. Auch vor der Wahl haben Personen mit Behinderungen oft Probleme dem politischen Geschehen zu folgen: Wahlwerbespots und politische Debatten bieten keine Gebärdensprachendolmetscher; oft genug scheitern auch Menschen ohne Behinderungen oder Lernschwierigkeiten an der komplexen Sprache der Politiker. „Warum schämen wir uns für Behinderungen?”, fragte Raúl Krauthausen. Der Berliner ist bedingt durch die Glasknochenkrankheit auf den Rollstuhl angewiesen. Er strahlt ein besonderes Charisma aus; wenn er spricht, hört man ganz genau zu. „Wir Menschen mit Behinderungen müssen im Alltag mit vielen Problemen klarkommen. Die Gesellschaft muss sich so sehr verändern, dass jeder sein Potenzial ausschöpfen kann”, konstatierte er.
Die bei der Versammlung anwesenden Politiker betonten den Wert der Aktion und die Teilhabe von Behinderten an der Politik. „Für uns ist es normal, die Tagesschau zu sehen oder Radio zu hören”, äußerte Florian Post (SPD). „Viele Menschen sind sich gar nicht bewusst, vor welchen Problemen Menschen mit Einschränkungen stehen.” Besagte Probleme sind in der Gesellschaft und der öffentlichen Wahrnehmung allerdings noch nicht wirklich angekommen. „Behinderte Menschen kommen in den Medien in der Regel nur vor, wenn wir unseren Altruismus abfeuern”, brachte Guildo Horn zum Ausdruck. Die häufig komplizierte Wortwahl sowie die fehlende Einbindung von Menschen mit Einschränkungen belasten nicht nur Behinderte sondern unter anderem auch ältere Menschen. „Medizinmann-mäßig werden in der Politik irgendwelche Rauchbomben abgeworfen, so dass es keiner mehr versteht”, so Guildo Horn weiter. „Wir befinden uns aber im demographischen Wandel; die Politik muss einfacher werden”, resümierte er.