Veröffentlicht am 30.07.2013 12:08

„Wir sind hier. Wir sind laut. Weil man uns die Stimme klaut.”

Demonstration am Karlsplatz: Münchner Schüler aller Schularten protestieren mit der Aktion „Wir sind viele” gegen das bayerische Bildungssystem. (Foto: FE)
Demonstration am Karlsplatz: Münchner Schüler aller Schularten protestieren mit der Aktion „Wir sind viele” gegen das bayerische Bildungssystem. (Foto: FE)
Demonstration am Karlsplatz: Münchner Schüler aller Schularten protestieren mit der Aktion „Wir sind viele” gegen das bayerische Bildungssystem. (Foto: FE)
Demonstration am Karlsplatz: Münchner Schüler aller Schularten protestieren mit der Aktion „Wir sind viele” gegen das bayerische Bildungssystem. (Foto: FE)
Demonstration am Karlsplatz: Münchner Schüler aller Schularten protestieren mit der Aktion „Wir sind viele” gegen das bayerische Bildungssystem. (Foto: FE)

Laute Protestrufe hallen über den Stachus. Aus Lautsprechern tönt Musik, vermengt mit dem schrillen Geräusch dutzender Trillerpfeifen. Auf Bannern und Transparenten sind Forderungen wie „Mehr Schülerpartizipation”, „Weniger Lerndruck” oder „Lebensnaher Unterricht” zu lesen. Unter dem Motto „Wir sind viele”, haben sich rund 100 Schüler vor dem Brunnen am Karlsplatz versammelt, um gegen Ungerechtigkeit im bayerischen Bildungssystem zu protestieren.

„Es geht nicht um die PISA-Studie”

„Wir sind hier. Wir sind laut. Weil man uns die Stimme klaut”, rufen die Demonstranten im Chor. Dann tritt Kampagnenleiterin Luise Baar nach vorne. „Ich freue mich, dass Ihr heute alle zu unserer Demonstration für eine bessere Bildungspolitik in Bayern gekommen seid”, spricht sie ins Mikrophon. „Beim Lernen geht es nicht darum, dass bayerische Bildungsminister und Bildungsministerinnen stolz auf die PISA-Studie sein können. Schule und Lernen können Spaß machen, aber dazu ist mehr Mitbestimmungsrecht von Schülern notwendig.” Die Schülergruppen jubeln, schwenken ihre Banner und pusten in die Trillerpfeifen. „Wir sind viele und wir können etwas erreichen”, beendet Baar ihre Ansprache. Auf die Frage, in welchen Aspekten sich die Ungerechtigkeit der Bildungspolitik am deutlichsten äußert, antwortet sie: „Problematisch ist vor allem, dass es keine Freiräume gibt. Es geht nur darum, den Stoff auswendig zu lernen und bei Prüfungen wieder auszuspucken. Das ist keine gute Bildungspolitik.” Im Anschluss zogen die Teilnehmer der Demonstration weiter Richtung Odeonsplatz, wo unter anderem die Band „Sinartistix” spielte.

„Wir wollen jetzt leben”

„Wir sind viele” ist eine Aktion Münchner Schüler, die sich ein anderes Bildungssystem wünschen. Eines, in dem niemand auf die Schulart, die er besucht, reduziert wird. Per Facebook verkünden sie ihren Unmut über die Bildungssituation, auf YouTube findet sich ein Video der Kampagne. „Wir sollen die Klappe halten und funktionieren”, ruft darin ein Schüler in ein Megaphon, „aber wir wollen nicht mehr nur die Leistungsträger von morgen sein. Wir wollen jetzt leben.” Mehr als 50.000 Menschen haben das Online-Video bereits gesehen. Auch in der Politik ist die Aktion bereits bekannt. „Die Stimmen der jungen Menschen müssen gehört werden”, forderte Brigitta Berger-Thüre als stellvertretende Sprecherin des Forums Bildungspolitik in Bayern, dessen 44 Mitgliedsorganisationen eine große Bandbreite an Bildungsorganisationen in Bayern vertreten. „Wir sind viele” wird unter anderem von „Gesellschaft macht Schule” unterstützt; einer Stiftung, die sich seit über zehn Jahren für mehr Gerechtigkeit im Bildungswesen engagiert.

„Moralisch fragwürdig”

Allerdings gab es vorab auch Kritik an der Aktion, die um 10.30 Uhr begann, also während der Unterrichtszeit. In einer Erklärung des Landesschülerrates heißt es: „Es ist moralisch fragwürdig, Schülerinnen und Schüler mit einem Konzert zum Schule schwänzen zu locken und dadurch für politische Forderungen zu instrumentalisieren. Es sollte zu den guten Tugenden eines Demokraten gehören, sich im rechtlichen Rahmen zu bewegen.“ Auch die Aussagekraft, der von den Kampagnenmitgliedern vorgebrachten Argumente, wurde bemängelt. Anton Huber, Vorsitzender des Bayerischen Realschulverbandes, äußerte sich zu der im YouTube-Video getroffenen Aussage „Realschüler sind Egalschüler. In Wahrheit ist unser Abschluss doch gar nichts mehr wert” mit den Worten: „Wer in einer Zeit, in der Unternehmen händeringend nach qualifizierten Schulabgängern suchen, davon spricht, dass der Realschulabschluss gar nichts mehr wert ist, der hat entweder keine Ahnung oder behauptet gezielt Falsches, um die Öffentlichkeit zu täuschen und so politisch Einfluss zu nehmen.” Das Bayerische Kultusministerium gab sich gelassener: “Grundsätzlich ist es zu begrüßen, wenn sich junge Menschen an demokratischen Prozessen beteiligen”, zitierte die Süddeutsche Zeitung eine Sprecherin. Dennoch wurde den Protestlern nahe gelegt, sich für möglicherweise künftig geplante Aktionen offiziell vom Unterricht befreien zu lassen.

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