Das Unvorstellbare zu beschreiben gehört inzwischen zu Christine Bronners Alltag und doch ist es für sie niemals Normalität: „Man erfährt diese schreckliche Diagnose, auf die man absolut nicht vorbereitet ist, und es fühlt sich an, als würde man plötzlich einem Säbelzahntiger gegenüberstehen“, versucht sie das Gefühl der Eltern zu schildern, die erfahren, dass ihr Kind lebensbedrohlich erkrankt ist. „Es gibt kein biologisches Programm, das uns auf diese Situation vorbereitet“, betont Christine Bronner. Es sei zwar denkbar schlimm, wenn die eigenen Eltern erkranken oder sogar versterben, aber noch einmal eine komplett andere Situation, wenn das eigene Kind betroffen ist. Christine Bronner spricht von einer Traumatisierung im wörtlichen Sinne, die die Eltern ergreife: „Der Begriff wird heute oftmals inflationär benutzt und häufig ist den Sprechern nicht klar, was er wirklich bedeutet.“ Die Familien stünden unter extremem Stress, Kontrollverlust, Handlungsunfähigkeit und Destabilisierung seien nur einige der Folgen. „Ab diesem Zeitpunkt ist man irgendwie nur noch mit Überleben beschäftigt“, bestätigt auch Claudia, betroffene Mutter von zwei Söhnen.
Christine Bronner, die selbst zwei Kinder verloren hat, ist eine Kämpferin: Dies ist einer der ersten Sätze, die einem einfallen, wenn man die Münchnerin kennenlernt, die im November 2012 für ihr Engagement für Kinder und Jugendliche auch mit dem Prix Courage geehrt wurde. Sie kämpft um das Wohlergehen der bei ihr hilfesuchenden Familien, die beste Versorgung für die lebensbedrohlich erkrankten Kinder und Jugendlichen und schließlich auch für Gerechtigkeit in einem System, in welchem ihrer Meinung nach die vielfältigen Bedürfnisse der betroffenen Familien viel zu oft nicht gesehen werden. Im Herbst 2004 gründete Christine Bronner zusammen mit ihrem Mann Florian das Ambulante Kinderhospiz München (AKM), im Frühjahr 2005 die dazugehörige Stiftung. Die Intention des AKM ist es, Familien mit schwerkranken Kindern und Jugendlichen zu helfen und sie auf ihrem Weg bestmöglich zu begleiten.
„Idealerweise sind wir direkt ab der Diagnose für die Familien da und werden beispielsweise über unser Kriseninterventionsteam, das 24 Stunden am Tag erreichbar ist, zugeschaltet“, erklärt Christine Bronner. 111 Familien hat das AKM 2012 im Großraum München insgesamt betreut, akut begleitet wurden davon zwischen 60 und 80 Familien. Das AKM kann dafür nicht nur auf ein multiprofessionelles Team bestehend aus 13 hauptamtlichen Kräften, darunter Ärzte, Psychologen und Sozialpädagogen, zurückgreifen, sondern wird auch von rund 150 einsatzbereiten, speziell ausgebildeten und engagierten Ehrenamtlichen unterstützt, die als so genannte Familienbegleiter tätig sind. Sie sind Ansprechpartner für die Familien, betreuen Geschwisterkinder der jungen Patienten, gehen mit bei Arzt- und Klinikbesuchen, entlasten die Eltern, helfen bei Behördengängen und vieles mehr.
Einer von ihnen ist der 41-jährige Helmut Harrer, gelernter Maschinenschlosser und Rettungsassistent, der sich seit mehreren Jahren im AKM engagiert und parallel eine Ausbildung zum Heilerziehungspfleger absolviert. Seit 2008 begleitet er eine Familie mit einem erkrankten Sohn, inzwischen schon ein junger Mann. „Ich komme nicht regelmäßig in diese Familie, sondern einfach immer wenn Bedarf ist“, erklärt Harrer. Er wechselt mit dem Sohn die Reifen am Auto, richtet den Computer der Familie oder begleitet den jungen Mann zum therapeutischen Reiten. „An Silvester waren wir auch zusammen und haben Raketen abgeschossen“, so Harrer, der die Grundstruktur in der Familie „einfach guad“ findet: „Ich fühle mich als guter Freund.“ Besonders erinnert sich Harrer an ein vorweihnachtliches Familienessen im Hirschgarten, zu welchem er ebenfalls eingeladen wurde: „Die Familie hat sich sogar bei mir bedankt und mir einen so genannten Helmutorden überreicht.“
Als Harrer 2006 die Arbeit des AKM eher zufällig kennenlernte – er begleitete als Rettungsassistent ein onkologisch erkranktes Mädchen unter anderem auf das Oktoberfest – war er sich relativ schnell über eines klar: „Wenn die eigene Arbeit solche Ergebnisse bringt, dann tut man einfach das Richtige.“ Er gebe sein Bestes, damit es der Familie und dem erkrankten Kind so lange wie möglich gut gehe und versuche, ihnen schöne Tage zu bereiten. Freilich hat Helmut Harrer in seiner ehrenamtlichen Tätigkeit aber auch schon schwere Zeiten erlebt: „Es gab eine Situation, da war der junge Bursche auf der Intensivstation und wir dachten eigentlich, dass er das nicht überlebt“, berichtet Harrer und gesteht ohne Scheu ein: „Da hat’s mich dann schon auch ziemlich auseinandergefaltet. Aber man ist halt auch einfach nur ein Mensch und das gehört dazu.“
Mit zur Arbeit des AKM gehört auch viel zu oft der Tod selbst: 32 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die im Jahr 2012 mit ihren Familien im AKM betreut wurden, sind verstorben. In Deutschland stirbt etwa einer von 2000 jungen Menschen im Alter von null bis 25 Jahren an einer schweren Erkrankung. Allein 700 bis 800 betroffene Familien gibt es im Großraum München. Als umfassendes Beratungs- und Betreuungszentrum möchte das AKM für diese Familien da sein. Dabei ist es für Christine Bronner wichtig, deutlich zu machen, dass Kinderhospizarbeit viel mehr bedeutet als man gemeinhin vielleicht denkt: „Man muss sich bewusst machen, dass die Diagnose das Leben der Familien, der Eltern, Großeltern und Geschwister, grundlegend ändert, dass auch der Alltag komplett umgekrempelt wird.“
Der Schwerpunkt der Arbeit des AKM liegt deshalb neben der Überwachung und Koordination der medizinisch-technischen Versorgung auch auf dem weiten Feld der Alltagsbewältigung. Auf ganz vielfältige und individuelle Weise werden die Familien hier unterstützt, etwa bei der Kommunikation mit Lehrern, bei der Suche nach einer behindertengerechten Wohnung oder auch in Rechts- und Behördenangelegenheiten. Welche Probleme mit der Diagnose auf einen zukommen, davon kann auch Claudia berichten: Die alleinerziehende Mutter mit einem bereits mehrfach behinderten Sohn, hat 2004 von der Krebserkrankung ihres jüngeren Sohnes erfahren. Von einem Netz wie dem AKM, das sie hätte auffangen können, wusste sie damals noch nichts. Mit zwei kranken Kindern musste sie ihre Arbeit als Journalistin aufgeben, immer wieder hat sie lange Zeit im Krankenhaus verbracht, finanzielle Probleme kamen als weitere Folge hinzu. „Man ist angesichts der Situation einfach hilflos“, sagt Claudia. Einen Familienbegleiter des AKM hätte sie damals nur zu gerne eingesetzt.
Besonders schlimm wurde es, als Claudia selbst schwer krank wurde. „Es gibt nach wie vor keine Kurzzeitpflegeplätze für Jugendliche“, betont sie. Stattdessen wurden ihr fünf Altersheime vorgeschlagen, in welchen ihre beiden Söhne hätten untergebracht werden können. „Das wollte ich aber nicht und die einzige Alternative wäre dann gewesen, meine Kinder bei zwei unterschiedlichen Pflegefamilien in Ingolstadt und Augsburg, also auch noch getrennt voneinander, unterzubringen“, berichtet Claudia. Glücklicherweise wurde sie schließlich von ihrer Familie unterstützt, die in Hessen lebt und die beiden Jungen bei sich aufgenommen hat.
Endlich eine Form des betreuten Wohnens zu installieren und eine Tagespflege für erkrankte Kinder und Jugendliche einzurichten ist auch ein großes Ziel des AKM. „Weiter fordern wir, dass es für die Krankenhäuser und Ärzte eine gesetzliche Verpflichtung gibt, uns als Beratungs- und Betreuungszentrum sofort ab der Diagnose einzuschalten, damit wir helfen können“, erklärt Christine Bronner. Eine weitere große Baustelle sei das Thema Finanzierung, denn immer noch würden die Ausgaben des AKM zu zwei Dritteln mit Spenden abgedeckt. „Wir wollen, dass sich Staat und Krankenkassen die Kosten für die Verwaltung und die hauptamtlichen Kräfte teilen“, so die Leiterin des AKM. Die Spenden möchte sie idealerweise dann nur noch für die Organisation des Ehrenamtes und für die Erfüllung der Herzenswünsche erkrankter Kinder und Jugendlicher verwenden.
Getreu dem Motto des AKM „Nicht das Leben mit Tagen füllen, sondern die Tage mit Leben füllen“ sei es vorrangiges Ziel, dass die Lebensqualität in den Familie passe, betont Christine Bronner. Dies müsse besonders am Tag der Kinderhospizarbeit, der jährlich am 10. Februar stattfinde, deutlich gemacht werden. Ins Leben gerufen wurde der Tag der Kinderhospizarbeit 2006 vom Deutschen Kinderhospizverein (DKHV) mit Sitz in Olpe. Mit ihm soll auf die Situation lebensverkürzend erkrankter Kinder und deren Familien aufmerksam gemacht werden. In über 40 deutschen Städten finden an diesem Tag Veranstaltungen statt. Als Zeichen der Verbundenheit sind die Menschen dazu aufgerufen, die grünen Bänder der Solidarität zum Beispiel an Fenstern, Autoantennen oder Bäumen zu befestigen. Das gemeinsame Band soll die betroffenen Familien mit Freunden und Unterstützern symbolisch verbinden. „Wir erhoffen uns vom Tag der Kinderhospizarbeit, dass Hemmschwellen und Unsicherheiten abgebaut werden können und die erkrankten Kindern und Jugendlichen sowie deren Familien einen Platz in der Mitte der Gesellschaft erhalten“, so Marcel Globisch, Leiter der ambulanten Kinderhospizarbeit im DKHV.
Die grünen Bänder der Solidarität können beim Deutschen Kinderhospizverein erworben werden. Weitere Informationen dazu im Internet unter www.deutscher-kinderhospizverein.de . Auch über die Arbeit des Ambulanten Kinderhospiz München kann man sich im Internet weiter informieren: www.ambulantes-kinderhospiz-muenchen.de . Das AKM ist zudem dringend auf Spenden angewiesen. Spendenkonto: Liga Bank München | Konto-Nr. 2400103 | BLZ 75090300.