Kaum zu glauben, aber wahr: Schon in den 1920er Jahren wurde in der Bergmannstraße der Westend-Anzeiger gegründet, der heuer 85 Jahre alt wird. Damit gehört der Westend-Anzeiger neben dem 1879 in Rheinland-Pfalz entstandenen Trifels Kurier und der 1931 ins Leben gerufenen Eschweiler Filmpost zu den ältesten, heute noch erscheinenden Anzeigenblätter. Das wird natürlich groß gefeiert: Mit einer umfangreichen und exklusiven Jubiläumsausgabe, randvoll mit Geschichten über das Westend, die Schwanthalerhöhe und ihre Bewohner, frühen Fotoaufnahmen vom Stadtviertel und den rauschenden Hoffesten sowie vielen weiteren spannenden Fakten und Details rund um Stadtteil und Anzeiger.
Schon Anfang des 20. Jahrhunderts nahm Heinrich Fahrner seine kleine Druckerei im Erdgeschoss des Hauses an der Bergmannstraße 13, an der Ecke zur Westendstraße, in Betrieb. Hier wurden vor allem Speisekarten für die umliegenden Hotels und Gaststätten sowie Visitenkarten produziert. Mitte der zwanziger Jahre begann allerdings der Sohn des Betriebsgründers, ebenfalls ein Heinrich Fahrner, einen regelmäßig erscheinenden Kirchboten mit den wichtigsten Terminen und Nachrichten der ortsansässigen Pfarrei St. Benedikt zu drucken und im Stadtviertel zu verteilen. Zahlen allerdings wollte der Stadtviertelpfarrer für den Service keinen Pfennig, schon damals wurde das Blatt kostenlos an die Haushalte ausgegeben. „So bekam Heinrich Fahrner den Rat, in den umliegenden Geschäften, Gaststätten und Kneipen vorzusprechen und zu fragen, ob diese nicht für ein paar Mark im Blatt inserieren wollten“, erinnert sich der ehemalige Betriebsleiter Franz Binder. Und so war der Westend-Anzeiger geboren.
„Da das Geschäft mit den Anzeigen nicht so schlecht lief, kam Heinrich Fahrner auf die Idee, die ganze Schwanthalerhöhe und das Westend mit einem Anzeigenblatt zu überraschen“, erzählt Franz Binder. Neben der Bekanntgabe von Kirchennachrichten und -terminen wurden jetzt auch Apothekendienste angekündigt, Kinoprogramme veröffentlicht oder Geburts- und Todesanzeigen aufgegeben. Das Merkur-Filmtheater, das seinen Sitz in der Gollierstraße hatte, schaltete sogar regelmäßig große Anzeigen auf der Titelseite. „Und der Westend-Anzeiger war heiß begehrt: Vor allem die älteren Damen warteten freitags schon immer am Fenster, bis endlich der Austräger vorbeikam und ihnen das Blatt hineinreichte“, entsinnt sich Binder.
Richtig aufwärts ging es mit dem Westend-Anzeiger vor allem nach Ende des Zweiten Weltkrieges, obwohl dieser auch am Haus in der Bergmannstraße Spuren hinterlassen hatte: Der Dachstuhl war vollkommen ausgebrannt. Von der amerikanischen Militärregierung aber erhielt Heinrich Fahrner eine entsprechende Lizenz und durfte weiter den Westend-Anzeiger herausgeben. Tatsächlich begann das Anzeigengeschäft des Westend-Anzeigers insbesondere ab den fünfziger Jahren zu florieren. Dabei bildeten speziell Kleinanzeigen lange Zeit die Haupteinnahmequelle: „Ich erinnere mich, dass fast ständig Kunden in der Druckerei waren und Anzeigen aufgaben“, so Franz Binder. Von „Schwarzer Wintermantel, Größe 46, abzugeben“ bis „Katze entlaufen“ sei da fast alles dabei gewesen. In den sechziger Jahren dann kommen vermehrt auch die Werbe-Beilagen hinzu: „Wir hatten später pro Ausgabe 1,2 bis 1,3 Millionen Beilagen insgesamt in allen gedruckten Blättern unseres Hauses”, so Franz Binder. 30 Frauen und mehr – die so genannten „Einsteckdamen“ – seien bis spät in die Nacht vor der Auslieferung hindurch damit beschäftigt gewesen, die Beilagen händisch den Ausgaben hinzuzufügen. Durchschnittlich 1.000 Beilagen pro Stunde hätten die fleißigen Frauen damals geschafft.
Es war vor allem auch die Nachfrage der jungen Leute, die dann irgendwann entscheidend Aussehen und Ausrichtung des Westend-Anzeigers veränderte: „Sie wollten mehr lokale Nachrichten lesen und so gab es auch Stück für Stück immer mehr Veranstaltungsankündigungen und andere Berichte im Blatt“, so Franz Binder. Auch Richard Singer, geborener Schwanthalerhöher, der in den frühen sechziger Jahren beim Westend-Anzeiger seine Lehre zum Buchdrucker absolvierte, dann insgesamt 40 Jahre im Unternehmen tätig war und sich auch heute noch um die Blätter kümmert, erinnert sich an diese Zeit: „Der Westend-Anzeiger hatte eine große Bedeutung für die Leute im Viertel und wurde geschätzt von 95 Prozent der Bürger gelesen.“
Als das kleine Haus in der Bergmannstraße 13 schließlich nicht mehr genug Platz bot – der Höchststand an Mitarbeitern lag bei 88 Personen – zogen Druckerei und Verlag 1981 in ein Büro- und Werkgebäude nach Puchheim um. Die Annahmestelle des Westend-Anzeigers war jedoch weiterhin vor Ort, bis er im Jahr 2000 schließlich zur Werbe-Spiegel-Familie kam, die ihren Sitz an der Fürstenrieder Straße in Laim hat. Heute erscheint der Westend-Anzeiger jeden Mittwoch mit einer Auflage von 15.625 Exemplaren. Der redaktionelle Teil des Blattes ist erheblich gewachsen und auch heute noch erfreut es sich großer Beliebtheit im Viertel. So schreibt auch Ludwig Wörner, Vorsitzender des Bezirksausschusses Schwanthalerhöhe, nicht ohne Grund in seinem Grußwort: „Für viele Schwanthalerhöher ist der Westend-Anzeiger eine Informationsquelle, seit sie lesen und schreiben gelernt haben, in der immer versucht wurde, über Generationen von Journalisten hinweg fair aus dem Stadtteil über dort Geschehenes zu berichten.“