San Francisco, New York, Seoul, Berlin, München – Erdinger Moos: Bei rund 150 Ausstellungen auf der ganzen Welt hat der Münchner Maler und Bildhauer Wilhelm Holderied seine Bilder, Skulpturen und szenischen Aktionen präsentiert. Besonders stolz ist er indes auf das sogenannte Erdzeichen, eine Art von riesiger Acht, die der Künstler 1995 auf den Feldern neben dem Flughafen München im Erdinger Moos einprägen ließ. Das 270 x 170 Meter große Kunstwerk trägt den Titel „Eine Insel für die Zeit“ und besteht aus 3,40 hohen Erdfurchen, die das Erdzeichen aus mehreren 100 Metern Höhe gut erkennen lassen. „Weltweit war es die erste Skulptur, die speziell für Fluggäste geplant und verwirklicht wurde. Das Erdzeichen ist einmalig auf der Welt, das gibt es nirgendwo“, sagt der Künstler. Täglich starten und landen am Münchner Flughafen tausende von Passagieren und schweben vorbei an dem einzigartigen Kunstwerk auf den Feldern neben dem Airport an der Autobahnabfahrt – viele Millionen Passagiere haben es bewusst oder unbewusst wahr genommen.
Doch es ist nur ein Kunstwerk auf Zeit. Es könnte durchaus passieren, dass Holderied das Erdzeichen einebnen muss. Das wäre für den 71-Jährigen ein Schreckensszenario. Er und der Verein „Freunde des Erdzeichens eine Insel für die Zeit“ kämpfen nun dafür, dass es über das Jahr 2013 hinaus erhalten bleibt. Denn das Grundstück ist nur gepachtet, es gehört der Flughafengesellschaft München, und „Ende 2013 läuft der Pachtvertrag aus“, weiß der Künstler zu berichten. Zugleich habe er, Holderied, für das Erdzeichen, das sich neben der Autobahnabfahrt in Richtung zum Flughafen befindet, nur eine befristete Baugenehmigung von der Stadt Freising. Trotzdem gibt er sich optimistisch und hofft auf ein Happyend: „Der Flughafen hat signalisiert, dass er nachdenken will, dass das Erdzeichen bleibt und dass er es übernimmt.“
Dazu ist im Sommer das Erdzeichenbuch 2011 erschienen: „Bewahrt eine Insel für die Zeit“, heißt es. Im Grußwort des Buches würdigt der bayerische Kultusminister Dr. Ludwig Spaenle das Erdzeichen als ein „Zeichen der Unendlichkeit“, das im Kontrast stehe zum hektischen Treiben des angrenzenden Flughafens. „Dass Natur und Kunst tatsächlich zueinander finden können, zeigt auch das Werk von Wilhelm Holderied“, so Spaenle. Ein markantes Beispiel dafür sei Die INSEL FÜR DIE ZEIT, die „seit 16 Jahren gleichsam zum Entree aus der Luft für die Landeshauptstadt München wurde“. Das Buch über das Erdzeichen sei zugleich Naturdokumentation und Kunstband, lobt der Kultusminister.
Alles hatte vor vielen Jahren mit der Idee Holderieds angefangen, ein großes Fabelwesen, einen Moosgeist, den Erdinger Moosgeist, in die Felder neben dem Flughafen zu furchen. Es sollte eine Art Maske sein, eine Form mit mystischer Ausstrahlung für das geheimnisvolle Moorgebiet. Doch „den Verantwortlichen am Flughafen war das zu mystisch und sie fragten nach einer Möglichkeit mit einem weniger magischen Bezug“, erinnert sich der Künstler. So habe er einen neuen Vorschlag entwickelt, und zwar aus dem Zeichen der Acht, dem Zeichen für Unendlichkeit. „In unserer immer schneller eilenden Wirklichkeit ist die INSEL FÜR DIE ZEIT zu einem Zeichen mit dem Atem einer natürlichen Langsamkeit, zu einem Reservat für die Zeit geworden.“ Es sei ein poetischer Raum, ein Ort ohne Hektik und Zeitstress, ein Ort, zu dem nur Licht und Schatten Zugang haben, ein Symbol und eine Mahnung zum Innehalten in der Hektik des Alltags, zum Nehmen einer Auszeit. Der in Solln lebende Künstler, der ein Atelier an der Rumfordstraße 36 beim Isartorplatz hat und ein weiteres in Geretsried, arbeitet seit 1970 mit Zeichen und Spuren, mit Gewichten, Schatten und magischen Masken.
Er liebt szenische Aktionen und Performances: Dazu setzt er eine große schwarze Holzmaske voll bunter, beweglicher Plexiglasstäbe auf, 200 Denksensoren seien das. „Man glaubt nicht, wie solch eine Performance auf die Menschen wirkt: Die lachen alle.“ Und das wiederum freut ihn, der an der Kunstakademie München studierte, total. Jede Performance ist anders, im vergangenen Jahr sorgte er im Innenhof des Künstlerhauses für viel Heiterkeit bei seinem Münchner Publikum. Und nicht nur da: In Mexico-City inszeniert er derzeit ein in 15 bis 20 Metern Höhe schwebendes Kunstwerk, das flexibel ist und von Stadtteil zu Stadtteil wandert respektive schwebt.
Manchmal schwebt er selbst wie ein Vogel in elf Metern Höhe im Dunkeln durch die Luft und spielt dabei Flöte. Wilhelm Holderied lebe zwar in München, doch „er muss in einem Land zwischen Himmel und Erde geboren sein, betrachtet man seine Arbeiten.“ So charakterisierte Dr. Pankraz Freiherr von Freyberg, Intendant der Festspiele Europäische Wochen Passau 2009, den Künstler, der damals auf Schloss Neuburg ausgestellt hatte. Von Freyberg war Holderied zum ersten Mal 1980 in einem Münchner Garten samt Haus bei einer Performance begegnet und war tief beeindruckt: „Er kam mit schwarz bemaltem Gesicht, geteilt von einem weißen Kreuz, und in einem schwarzen Gewand als Gast. Er trat wie ein Wesen zwischen Tag und Nacht in der Abenddämmerung in unseren Kreis. Später in der Nacht erschien er plötzlich in gefährlich anmutender Pose auf dem Giebel des Hauses. Hier spielte er, unter dem Sternenhimmel wie ein Bote aus dem Kosmos wirkend, Flöte. In einer Art, die mich in meinem tiefsten Inneren berührte und mich vergessen ließ, dass es einen Boden unter mir und einen Himmel über mir gab. Die außerirdisch klingende Musik, die selbst schwebte, ließ auch mich schweben.“ Auf den Freiherrn wirken Holderieds Werke deshalb als seien sie zwischen Himmel und Erde entstanden.
Zurück auf den Boden der Tatsachen: Wer sich für das Erdzeichenbuch 2011 interessiert und den Verein „Freunde des Erdzeichens eine Insel für die Zeit“ unterstützen will, bekommt weitere Infos im Internet unter der Adresse www.erdzeichen.de oder sendet ein E-Mail an erdzeichen@erdzeichen.de . Auch Führungen durch das Erdzeichen sind möglich, nähere Informationen unter Telefon 29 69 66.