Veröffentlicht am 15.06.2011 12:59

„Ungeheuerlicher Vorgang“

Missverständnis - ja oder nein? Die Geschichtswerkstatt Neuhausen wirft dem Wittelsbacher Gymnasium Geschichtsfälschung vor. (Foto: sb)
Missverständnis - ja oder nein? Die Geschichtswerkstatt Neuhausen wirft dem Wittelsbacher Gymnasium Geschichtsfälschung vor. (Foto: sb)
Missverständnis - ja oder nein? Die Geschichtswerkstatt Neuhausen wirft dem Wittelsbacher Gymnasium Geschichtsfälschung vor. (Foto: sb)
Missverständnis - ja oder nein? Die Geschichtswerkstatt Neuhausen wirft dem Wittelsbacher Gymnasium Geschichtsfälschung vor. (Foto: sb)
Missverständnis - ja oder nein? Die Geschichtswerkstatt Neuhausen wirft dem Wittelsbacher Gymnasium Geschichtsfälschung vor. (Foto: sb)

War es ein Missverständnis oder doch Geschichtsfälschung? Die Geschichtswerkstatt Neuhausen wirft dem Wittelsbacher Gymnasium vor, in der Festschrift zum 100-jährigen Geburtstag der Schule aus dem Jahr 2008 bewusst falsche historische Angaben veröffentlicht zu haben. Seit einiger Zeit liege man diesbezüglich nun schon im Klinsch mit dem Wittelsbacher Gymnasium, erklärt Franz Schröther von der Geschichtswerkstatt Neuhausen. „Die Schule hat sich die Geschichte so zurecht gebogen, wie sie es gebraucht hat“, sagt er.

Doch was genau war eigentlich passiert? Das Gymnasium am Marsplatz hat in seiner Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum die Facharbeit einer ehemaligen Abiturientin abgedruckt, in der es unter anderem um die Geschichte des Wittelsbacher Gymnasiums in der NS-Zeit geht. Eher durch Zufall ist Walther Habersetzer, Autor des Buchs „Ein Münchner Gymnasium in der NS-Zeit – Die verdrängten Jahre des Wittelsbacher Gymnasiums“, das die Geschichtswerkstatt 1997 veröffentlicht hat, zwei Jahre später auf die Facharbeit im Internet gestoßen – „unter anderem auf der Homepage des Wittelsbacher Gymnasiums“, wie er betont.

„Fundamentale Fehler“

In seinem Buch setzt sich Habersetzer, Sohn eines ehemaligen Lehrers am Wittelsbacher Gymnasium, kritisch mit dem Thema auseinander. „In der Facharbeit finden sich fundamentale Fehler zur Geschichte der Schule“, erklärt der Autor. „Das ist an Peinlichkeiten nicht zu überbieten.“ Dass die Schule das Ganze nicht nur in der Festschrift abgedruckt, sondern auch noch ins Internet gestellt hat, bezeichnet Habersetzer als „ungeheuerlichen Vorgang“.

Die Vorwürfe, die Schröther und Habersetzer gegen das Wittelsbacher Gymnasium erheben, haben es in sich: es geht unter anderem um Plagiatsvorwürfe, unwissenschaftliches Arbeiten, Falschdarstellungen. „Die Schülerin hat größtenteils wortwörtlich aus Walther Habersetzers Buch abgeschrieben“, erklärt Schröther. Nur in einer Passage sei dies nicht der Fall gewesen: In seinem Buch führt Habersetzer aus, dass im Januar 1938 zwölf Schüler des Gymnasiums den Oberstudienrat Karl Ritter von Lama beim Kultusministerium denunziert hatten, weil dieser sich im Unterricht angeblich kritisch über das Dritte Reich geäußert hatte. Als Folge dessen wurde Ritter von Lama beurlaubt und zwangsweise in den Ruhestand versetzt. „Die Fakten in meinem Buch sind alle bestätigt“, betont der Autor. „An der Sorgfalt meiner Arbeit gibt es daher keine Zweifel.“

In ihrer Facharbeit behauptet die Schülerin nun wiederum, dass Karl Ritter von Lama als Schriftsteller tätig gewesen sei, der sich besonders mit dem Thema „Therese von Konnersreuth“ beschäftigt habe und deswegen von den Nazis eingeschüchtert, verhaftet und schließlich im Feburar 1944 im Gefängnis Stadelheim ermordet wurde. Hierbei handele es sich allerdings nicht um den Oberstudienrat Karl Ritter von Lama, „sondern um den Journalistin Friedrich Ritter von Lama“, stellt Schröther klar. „Friedrich von Lama war weder Schüler noch hatte er irgendetwas mit dem Wittelsbacher Gymnasium zu tun.“ Und Habersetzer ergänzt: „90 Prozent aller Facharbeiten verstauben in irgendwelchen Regalen. Wenn man dann eine Arbeit veröffentlicht, muss geprüft werden, ob der Inhalt stimmt“, ergänzt Habersetzer. „Ich möchte dabei nicht die Schülerin angreifen, sondern vielmehr den Geschichtslehrer, der das Ganze korrigiert hat.“

„Gezielte und gewollte Desinformation“

In der Geschichtswerkstatt Neuhausen fragt man sich nun, warum sich ausgerechnet dieser Abschnitt der Facharbeit nicht auf das Habersetzer-Buch bezieht. „Das Buch war der Schülerin bekannt“, sagt Schröther, der deshalb davon ausgeht, dass es sich hier „um eine gezielte und gewollte Desinformation“ handelt. Es sei sicherlich keine Ruhmesblatt für die Schule, wenn feststehe, dass eine Lehrkraft aufgrund eine Denunziation von Schülern aus dem Verkehr gezogen wurde. Dass sich die Schule allerdings, wider besseren Wissens, ein Opfer des NS-Regimes einfach einverleibe, dürfte einmalig sein, betont Schröther in einem Schreiben an das Kultusministerium.

Habersetzer und Schröther erwarten von der Schule eine Entschuldigung und eine Richtigstellung. „Es müsste doch auch im Interesse des Wittelsbacher Gymnasiums sein, das Thema aus der Welt zu schaffen“, sagt Schröther. Er fordert, dass sich „die Schule für ihren Fehler entschuldige, das Ganze richtigstellt und dafür sorgt, dass so etwas nicht noch einmal passiert.“

Schule spricht von Missverständnissen

Die Schule selbst weist alle Vorwürfe zurück, möchte sich zu dem Thema nicht mehr äußern. Die von Schröther und Habersetzer unterstellte Absicht einer Falschdarstellung sei nicht gerechtfertigt, heißt es in einem Schreiben von Raimund Wiedenmann, Rektor des Wittelsbacher Gymnasiums, an die Geschichtswerkstatt Neuhausen. Man bedauere „selbstverständlich, wenn es in der Folge einer Facharbeit, die von einer an geschichtlichen Vorgängen interessierten Schülerin verfasst wurde, im Einzelfall zu Missverständnissen gekommen ist, sehen uns aber aber weder veranlasst noch verpflichtet, uns nachträglich in eine Diskussion über eine abgeschlossene Schülerarbeit eines zurückliegenden Abiturjahrgangs einzulassen“, so Wiedenmann weiter. Seitens der Geschichtswerkstatt Neuhausen dürfte das letzte Wort in dieser Angelegenheit allerdings noch nicht gesprochen sein.

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