Seit sechs Jahren hilft Wolfgang Wuck bereits ehrenamtlich in der Bahnhofsmission München am Gleis 11 im Hauptbahnhof. „Ich habe mich dazu entschlossen, einen Tag hier zu arbeiten. Außer Karriere gibt es eben auch etwas anderes“, erklärt der hauptberufliche Beamte schlicht. „Die Mission ist mehr als ein Ausgleich zu meiner sonstigen Tätigkeit, sie ist meine Überzeugung. Hier ist mein Herz.“
So wie Wuck setzt sich ungefähr jeder dritte Bürger für ein oder manchmal auch mehrere Ehrenämter ein. Ohne dieses bürgerliche Engagement wäre unser gesellschaftliches Leben um vieles ärmer. „Mehr noch: es würde schlicht nicht funktionieren“, so SPD-Stadtrat Christian Müller, Sprecher im Münchner Sozialausschuss.
Egal, ob in kirchlichen Organisationen wie der Bahnhofsmission, in sozialen und politischen Einrichtungen, in Vereinen, der Freiwilligen Feuerwehr, Krankenhäusern und Hospizen, Altenheimen, Schulen, als Schöffen im Gericht oder in der Jugendarbeit – Ehrenamt ist überall möglich und wird überall gebraucht. „Es macht unser gesellschaftliches Leben reich und bunt“, bekräftigt Müller. „Die Nutznießer sind wir letztendlich alle, unabhängig vom Geldbeutel und dem sozialen Stand.“ Mehr noch: durch das ehrenamtliche Engagement können alle diejenigen mitten ins Leben geholt werden, die vielleicht abseits stehen würden, wie Alte, Kranke und sozial Schwache, für die der Staat nur das Nötigste tun kann.
Wie eben zum Beispiel in der Bahnhofsmission München. „Wir haben über 100 ehrenamtliche Helfer“, berichtet Andrea Sontheim, Leiterin von katholischer Seite. „Ohne sie wären wir aufgeschmissen, schließlich sind wir an 365 Tagen rund um die Uhr für Bedürftige und Hilfesuchende da.“ Brote schmieren, Tee ausschenken, zuhören, vermitteln – das leisten die Helfer in der Mission. „Jetzt, da der Zivildienst als solcher wegfällt, brauchen wir umso mehr Unterstützung.“
Im Gegenzug bietet die Mission für die Ehrenamtlichen Supervision, Gruppenabende und die wichtigen Schnupperdienste zum Ausprobieren an, um zu sehen, ob der Dienst in der Mission auch das Richtige für den Helfenden ist. „Wir sind fast wie eine Familie“, bestätigt Wuck. „Gerade weil Geld nicht im Vordergrund steht.“ Vor seiner Tätigkeit am Gleis 11 arbeitete Wuck ein paar Mal im Mutter-Theresa-Haus in Kalkutta mit den Bedürftigsten der Gesellschaft.
Auch Benjamin Lukas Meisnitzer hatte schon einige Ehrenamt-Stationen hinter sich, als er vor vier Jahren bei der Münchner Aids-Hilfe am Goetheplatz in der Telefonberatung anfing. „Mir geht es gut. Ich lebe ein schönes Leben. Deswegen möchte ich ein Stück davon weitergeben und helfen, wo ich gebraucht werde“, erklärt er seine Motivation. „Es gehört für mich zum gesellschaftlichen Prinzip zu helfen. Wenn man selber nichts tut, ist das doch total armselig.“ So oft er kann, sitzt er abends von sieben bis neun unentgeltlich am Telefon, um zu „vermitteln, beruhigen und weiterzuleiten.“ Die Berater müssten schon krisenfest sein, denn den Anrufern gehe es oftmals schlecht und viele hätten akute Ängste. Neben der Aidshilfe arbeitet der hauptberufliche Sprachwissenschaftler als Hospiz- und als Psychiatriehelfer. „Mir macht das Helfen auch Freude“, gesteht Meisnitzer. Sonst würde er aufhören.
„Es ist wichtig, dass die Ehrenamtlichen zu ihrem Ehrenamt passen und Spaß dabei haben“, betont auch Andrea Schüler, „damit sich sowohl Helfer als auch Hilfeempfangende wohl fühlen.“ Seit September arbeitet die Sozialpädagogin als Vermittlerin im Sozialnetz Würmtal-Insel, eine von vielen Schnittstellen, wo Ehrenämter und Helfer zusammentreffen. „Wir sind Anlaufstelle für alle, die helfen wollen, und für alle, die Hilfe brauchen.“
Für die freien Ehrenamtstellen gebe es einen Pool. „Derzeit können wir Lesepatenschaften an Schulen, Besuchs-, Fahr- und Vorlesedienste in Kranken- und Altenheimen, Stellen bei amnesty international oder auch Dienste beim integrativen Spiel- und Sportangebot Gräfelfing anbieten.“
Möchte jemand ehrenamtlich helfen und sucht deshalb die Vermittlungsstelle in der Würmtalinsel auf, vereinbart Andrea Schüler ein Erstgespräch. „Wir arbeiten gemeinsam heraus, welches Zeitbudget fürs Ehrenamt zur Verfügung steht, wo die Neigungen liegen und welche Erfahrungen der Hilfewillige hat.“
Häufig sei zu beobachten, dass der Wunsch nach einem Ehrenamt zunehme, wenn der nötige Einsatz in Familie und Beruf nachlasse. „Unsere Klienten sind häufig Ende 50 oder älter“, so Schüler. „Aber wir beraten auch Mütter als Wiedereinsteigerinnen ins Berufsleben. Mit einem Ehrenamt kann man sich ganz in Ruhe im geschützten Rahmen ausprobieren und sich beruflich neu orientieren.“
Nicht immer ist ein Ehrenamt völlig unentgeltlich. Gerade in der Lokalpolitik, in Sportvereinen oder bei städtisch geförderten Tätigkeiten wie den Schulwegshelfern sind Aufwandspauschalen üblich.
Eher die Regel sind Bürgerehrungen, wie der Münchner Auszeichnung „München leuchtet“ oder Bürgermedaillen der kleineren Kommunen für langjährig Ehrenamtliche. In diesem Jahr winkt zusätzlich eine breit angelegte internationale Würdigung. Zum zehnten Jahrestag des Internationalen Jahres des Ehrenamtes hatten sich die 18 EU-Mitgliedsstaaten auf eine erneute Würdigung geeinigt und das Jahr 2011 zum Europäischen Jahr des Ehrenamts und des Freiwilligenengagements ernannt.
„Die Förderung einer aktiven Bürgerschaft stellt ein zentrales Element bei der Förderung des Zusammenhalts und der Entwicklung der Demokratie dar“, heißt es in der EU-Presseerklärung. Damit dies so bleibt, finden 2011 besonders viele Vorträge und Veranstaltungen zum Thema „Ehrenamt“ statt, organisiert zum Beispiel von Deutschlands erste Freiwilligen-Agentur „Tatendrang München” oder auch der Stiftung Gute-Tat.de.
Über 10.000 Münchner konnte „Tatendrang“ in den 30 Jahren ihres Bestehens bereits vermitteln, rund 800 jährlich, Tendenz steigend. „Spenden Sie Zeit statt Geld” ist dabei das Motto. „Gebraucht wird jeder“, bekräftigt auch Andrea Schüler, „deshalb auch unser Appell an alle, die mit einem Ehrenamt liebäugeln: Meldet euch!“