Josef Reichholfs Lieblingsvogel, der Krauskopfarassari, ist eine Tukanart. Sie ist im westlichen Amazonasgebiet in Peru, Westbrasilien und in Nordbolivien zuhause. Tukane sind mittelgroß bis groß und haben sehr kurze Flügel. Ihr riesiger, am Rand gesägter, prächtig gefärbter Schnabel sticht jedem Betrachter sofort ins Auge. Bei vielen Arten mischen sich knallig bunte Gefiederpartien mit glänzend schwarzen. Reichholf selbst ist, was seine äußere Erscheinung betrifft – und nur die –, eher unauffällig. Der emeritierte TU-Honorarprofessor hat keine große Klappe, hält aber, wenn’s um die von ihm ausgeübten Wissenschaften geht, nicht den Schnabel, wenn er zu wissen meint, dass jemand sich auf einem Holzweg bewege.
„Der Mann hat mir das Dasein aller Lebewesen auf dem Globus – der tierischen und der pflanzlichen – wie sie wurden, was und wie sie sind, so erklärt, dass ich das, was ich in der Schule nicht begriffen habe, sofort verstand”, sagt ein Journalist. Was dazu geführt habe, dass er oft unter dem Vorwand, er müsse sich vom „Abteilungsleiter Wirbeltiere” etwas erklären lassen, in der Zoologischen Staatssammlung München vorsprach. Tatsächlich habe er vor allem das Gespräch mit dem aus Aigen am Inn stammenden Zoologen, Evolutionsbiologen und Ökologen gesucht. Der beherrsche die Kunst des Vortrags wie nur wenige. Es sei ein Vergnügen, ihm zuzuhören und dabei etwas zu lernen.
„Die Terrarien waren nicht immer ganz dicht“
Das ist vorbei. Am 17. April 2010 ist Josef Helmut Reichholf 65 Jahre alt geworden. Damit endete seine Berufstätigkeit an der Staatssammlung offiziell. Endgültig hat er sich allerdings erst in diesen Tagen von rund hundert Kollegen und Freunden an seinem ehemaligen Arbeitsplatz in Münchens Münchhausenstraße verabschiedet.
Reichholfs Rückblick auf 36 Jahre bei der Staatssammlung geriet so lehrreich wie amüsant. Was damit zusammenhängt, dass er zu jedem seiner Gäste – darunter Kollegen mit denen er in Südamerika forschte – eine kurze Geschichte, zu erzählen wusste. Kurioses berichtete der streitbare Wissenschaftler von seinen Anfängen im Nordflügel des Nymphenburger Schlosses: „Die Terrarien dort waren nicht immer ganz dicht. Da konnte es vorkommen, dass sich eine Schlange in die Schuhe der Putzfrau verirrte.“ Ein anderes Mal sollte er spät abends, die telefonisch gestellte Frage aus einem Wirtshaus beantworten: „Sind Raben Singvögel oder Raubzeug?” Nach seiner Antwort: „Singvögel” habe der Anrufer wortlos aufgelegt. Im Jahr 1985 zog die Sammlung in den damaligen Neubau in Obermenzing um. Ihre Nachbarn seien „extrem misstrauisch” gewesen. „Das tief in die Erde hinein gebaute Gebäude war ihnen nicht geheuer.“ Reichholf: „Um sie zu beruhigen, haben wir sie als erstes eingeladen.“ Eine Frau habe angesichts der Bälge, Felle und Tausenden von Schmetterlingsarten beeindruckt gesagt: „Schee san’s scho aber so doad.“
Freiheit der Forschung
Die Erkenntnis, dass es am Besten ist, zu gehen, wenn’s am Schönsten ist, hat der 65-Jährige beherzigt. „Ich habe mich hier immer sehr wohl gefühlt“, sagte er zum Abschied. Und: „Ich habe zu danken für die Freiheit, die Sie mir gewährt haben. Sie ist das größte Geschenk für einen Wissenschaftler.“ Seine Arbeit ist mit vielen Preisen und Auszeichnungen gewürdigt worden: mit der Treviranus-Medaille des Verbandes der Deutschen Biologen und Biowissenschaftlichen Gesellschaften, dem Grüter-Preis für Wissenschaftsvermittlung sowie mit dem Sigmund-Freud-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Sein „Heimatlandkreis” Passau hat ihm seinen „Kulturpreis” verliehen. Und das „Cicero-Ranking 2009“ trug ihm Platz 24 unter den 40 wichtigsten deutschen Naturwissenschaftlern ein. „Noch vor Nobelpreisträgern wie Manfred Eigen und Klaus von Klitzing”, wie er mit schamhaftem Stolz erzählt. Wobei er jedoch nicht vergisst, zu erwähnen, solche Anerkennungen schlössen „selbstverständlich die Institution mit ein, der ich angehörte. Die Staatssammlung erschien in mehr als 1000 Veröffentlichungen als meine Adresse, ungezählte Male wurde sie in den Medien genannt oder auf sie Bezug genommen, wenn ich zu Vorträgen eingeladen worden war”.
Gerhard Haszprunar, Generaldirektor der Naturwissenschaftlichen Sammlungen von Bayern, schätzt an seinem Kollegen, dass er „bewusst querdenkt” und gegen jede wie auch immer geartete Strömung anschwimmt. „Das ist nicht immer richtig, regt aber unglaublich zum Nachdenken an“, so Haszprunar. Er verabschiedete Reichholf mit den Worten: „Wir werden erst, wenn Sie uns nicht mehr täglich über den Weg laufen, wissen, was wir an Ihnen hatten. Alles Gute für Ihren Unruhestand.“ Josef Reichholf wird künftig mit seiner Ehefrau Miki Sakamoto-Reichholf – einer Japanerin, die ein köstliches Buch über Bayerns Landeshauptstadt und deren Bewohner geschrieben hat – nicht mehr in München wohnen, sondern im Niederbayerischen.