Veröffentlicht am 18.12.2020 12:33

„Meine Mutter machte, was jede Mutter tut”

Der Vater, der in den Krieg ziehen musste, schenkte seinem kleinen Sohn Walter den Stoffhund Joppi. Das Kuscheltier hat zwar ein Ohr verloren, aber mit ihm die Bombennacht 1943 überstanden. (Foto: job)
Der Vater, der in den Krieg ziehen musste, schenkte seinem kleinen Sohn Walter den Stoffhund Joppi. Das Kuscheltier hat zwar ein Ohr verloren, aber mit ihm die Bombennacht 1943 überstanden. (Foto: job)
Der Vater, der in den Krieg ziehen musste, schenkte seinem kleinen Sohn Walter den Stoffhund Joppi. Das Kuscheltier hat zwar ein Ohr verloren, aber mit ihm die Bombennacht 1943 überstanden. (Foto: job)
Der Vater, der in den Krieg ziehen musste, schenkte seinem kleinen Sohn Walter den Stoffhund Joppi. Das Kuscheltier hat zwar ein Ohr verloren, aber mit ihm die Bombennacht 1943 überstanden. (Foto: job)
Der Vater, der in den Krieg ziehen musste, schenkte seinem kleinen Sohn Walter den Stoffhund Joppi. Das Kuscheltier hat zwar ein Ohr verloren, aber mit ihm die Bombennacht 1943 überstanden. (Foto: job)

1943 hat ist der Krieg, den deutsche Soldaten in ihre Nachbarländer getragen hatten, längst im eigenen Land bitter zu spüren. In der Nacht vom 6. auf den 7. September 1943 nehmen über 300 britische Bomber die Stadt München ins Visier und werfen mehr als 180.000 Bomben über ihren Bewohnern ab. 200 Münchner werden in dieser Nacht sterben. Mehr als 3.800 Gebäude, darunter auch die Großmarkthalle, werden zerstört oder beschädigt werden.

Walter Aumüller ist damals gerade einmal acht Jahre alt. Mit seiner Mutter und seinem kleinen Bruder lebt er im dritten Stock eines Sendlinger Mietshauses. Als die Bomben fallen, sind sie mittendrin im Inferno. „Meine Mutter machte, was jede Mutter tut: Sie drückte uns Kinder links und rechts in den Schoß und beugte sich über uns”, erzählt er. Alle drei überleben die schreckliche Nacht. Doch 17 lange Stunden bleiben sie unter dem Schutt ihres Hauses begraben, bis jemand ihr verzweifeltes Klopfen hört und sie gerettet werden.

Als Walter Aumüller an jenem Septembertag zur Wohnung der Familie hochsieht, ist dort - nichts. „Wo wir lebten, war nur noch Luft.” Alles ist verloren. Nur zwei Dinge findet die Mutter in den Trümmern: den Christbaumständer der Familie (ein amerikanisches Modell, das wie eine Spieluhr Weihnachtsmelodien abspielte, während sich der Baum darin drehte) und Walters Kuscheltier Jopi - einen Hund, den der Vater seinem Sohn geschenkt hatte.

Heute ist Walter Aumüller 85 Jahre alt. Beide damals geretteten Dinge hat er bis zum heutigen Tag sorgfältig aufbewahrt. „Ich hole den Christbaumständer jedes Jahr vor Weihnachten vom Speicher”, erzählt er. „Dann ziehe ich ihn auf und lasse die Melodien spielen. Das erinnert mich an jene Zeit.”

Die Erinnerung an jene Zeit hat er mit der jungen Generation geteilt; Schulen haben ihn immer wieder als Zeitzeugen eingeladen. Die Angst in einer Bombennacht, eine Kindheit im Krieg und voller Entbehrungen - wie kann man das Kindern begreiflich machen, die heute in einer ganz anderen Welt groß werden? „Manche Schüler sehen mich mit großen Augen an und fragen sich, ob das wahr ist oder ob ich nur eine Geschichte erzähle”, sagt Aumüller. Jeder bleibt am Ende mit seinen Lebenserlebnissen im eigenen Kopf eingesperrt. „Wer das nicht selbst erlebt hat, kann es nicht nachempfinden. Wie sollte er auch?” meint Walter Aumüller. „Ich kann niemandem heute erklären, was Hunger wirklich ist.”

Wer Zeiten wie Aumüller durchlebt hat, sieht die gegenwärtigen Corona-Einschränkungen aus einem anderen Blickwinkel als Jüngere, für die die Pandemie tatsächlich die bisher gravierendsten Einschnitte gebracht hat. Manches relativiert sich. Selbst mit diesen Einschränkungen leben wir heute auf einer guten Grundlage, sagt Aumüller, „deswegen verstehe ich die Hysterie mancher Leute nicht”. Die Maßnahmen zum Schutz aller können alle mittragen - jeder Tote wegen Corona sei einer zuviel. Er blickt gelassen auf den gegenwärtigen Lockdown: „Wir können einkaufen, wir bekommen zu essen, niemand muss hungern”, sagt er, „wir hatten damals tatsächlich - nichts!”

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