„Die Reform des Urheberrechts, die Flüchtlingskrise, die Abschaffung der Zeitumstellung und der Brexit – man wird im Moment mit so vielen Themen konfrontiert, bei denen die Europäische Union eine große Rolle spielt wie noch nie”, sagt Abiturient Alexander Nesmasznyj . Die EU müsse man durch Reformen und Verbesserungen zukunftstauglich machen, findet er. Die Europawahl am 26. Mai gebe allen die Möglichkeit, dies umzusetzen.
Bayerns ehemaliger Ministerpräsident Edmund Stoiber sieht es ähnlich: „Nur eine starke EU kann die europäischen Interessen und Werte wie Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft in der Welt vertreten”, meint er.
Die Europäische Union ist eine der Säulen, auf denen unsere Lebensqualität ruht. Wir haben viel erreicht. Und viel ist noch zu tun. Die Wochenanzeiger haben verschiedenen Menschen zwei Fragen dazu gestellt:
Welche Leistung oder Funktion der EU ist in Ihren Augen die bedeutsamste?
Welche „Hausaufgabe” sollte die EU am dringendsten oder besser als bisher erledigen?
Edmund Stoiber, ehemaliger bayerischer Ministerpräsident:
Welche Leistung oder Funktion der EU ist in Ihren Augen die bedeutsamste?
Für die deutsche Nachkriegsgeneration stand die europäische Einigung vor allem für die Aussöhnung mit einem jahrzehntelang als „Erbfeind“ bezeichneten Frankreich sowie für die Auferstehung Deutschlands aus der wirtschaftlichen und vor allem moralischen Verheerung nach dem verbrecherischen Regime des Nationalsozialismus. Heute erwarten die Bürger Europas von der Europäischen Union Schutz und Stärke, vor allem in so wichtigen Fragen wie wirtschaftlicher Wandel, Klimaschutz und innere und äußere Sicherheit.
Welche „Hausaufgabe” sollte die EU am dringendsten oder besser als bisher erledigen?
Sie muss für Probleme, die wir allein national nicht lösen können, wie Verteidigung, Migration oder Digitalisierung überzeugende Strategien entwickeln und durchsetzen. Die veränderte Welt mit Trumps „America First“, der militarisierten Außenpolitik Russlands und dem mächtigen und wirtschaftlichen Konkurrenten China, der nicht für unsere Freiheit steht, stellt Europa vor größte Herausforderungen. Nur eine starke EU kann die europäischen Interessen und Werte wie Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft in der Welt vertreten. Ein wichtiger Schritt für mehr „Weltpolitikfähigkeit“ der EU wäre die Einführung des Mehrheitsprinzips in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik.
Dr. Georg Fichtner, Politikwissenschaftler:
Welche Leistung oder Funktion der EU ist in Ihren Augen die bedeutsamste?
Die Europäische Union ist ein Faszinosum. Wenn man bedenkt, wie sich noch vor 80 Jahren die Völker Europas verfeindet gegenüberstanden, und jetzt wird davon gesprochen, dass Europa eine gemeinsame Außengrenze, eine gemeinsame Sicherheitspolitik, ja sogar eine gemeinsame Verteidigung erhält: Ja viel mehr noch, dass Europa ein föderativ verfasster Bundesstaat wird, der über den jetzigen intergouvernementalen Zustand hinausgeht und wo eben nicht die Nationalstaaten das letzte Wort haben, sondern ein gemeinsames Parlament mit einer Länderkammer. Wer hätte sich das vor 80 Jahren träumen lassen?
Diese Entwicklung der Stärkung Europas kam einerseits von außen. Wie unter einem Brennglas verdichtet sich unter dem Druck der internationalen Weltlage die Erkenntnis, dass jedes Land Europas alleine viel zu schwach ist, um in der Welt alleine erfolgreich zu bestehen. Selbst das relativ starke Deutschland würde zwischen China, den USA oder auch Russland zerrieben und hätte keine Chance, seine Interessen durchzusetzen. Das kann nur gemeinsam mit den anderen Europäern gelingen.
Der zweite Grund, dass Europa jetzt mehr zusammenwächst, sind die Menschen in Europa. Immer mehr haben erkannt, dass man nicht mehr nur noch Deutscher oder Bayer ist, sondern eben auch Europäer. Dieses „Wir-Gefühl“ findet sich in jeder Altersschicht, aber besonders bei jungen Leuten. Grenzen in Europa, nationale Währungen oder die Nicht-Möglichkeit überall zu leben und zu arbeiten sind mittlerweile ein Anachronismus. Diese „Generation Europa“ wird in Zukunft den politischen Diskurs bestimmen und denkt nicht mehr in nationalen Schubladen.
Welche „Hausaufgabe” sollte die EU am dringendsten oder besser als bisher erledigen?
Europa muss es aber auch gelingen, seine Erfolge besser zu kommunizieren. Der Nationalismus speist sich aus der Angst, er richtet sich auch nicht primär gegen Europa, sondern eher gegen das Fremde an sich. Daher muss es den Nationalstaaten gelingen (solange die Europäischen Institutionen selbst noch nicht in der Lage dazu sind), den Menschen ein Gefühl der Sicherheit und Handlungsfähigkeit zu bieten. Dazu müssen aber die Regierungen ihre nationale Brille ablegen und erkennen, dass europäische Interessen auch deutsche Interessen sind. Ein Sündenfall und schwerer Rückschlag war die Äußerung des ehem. Bundesinnenminister, dass „Italien sein Flüchtlingsproblem alleine lösen muss“. Er hat nicht erkannt, dass es nicht nur das „italienische Problem“ ist, sondern eine Herausforderung für ganz Europa. Daher ist es richtig, dass mittlerweile fast jede Partei erkannt hat, dass die Aufgaben besser gemeinsam gemeistert werden können als alleine. Jetzt gilt es, starke demokratisch kontrollierte europäische Strukturen zu schaffen, die die Interessen unseres Kontinents vertreten können.
Susanna Tausendfreund, Bürgermeisterin der Gemeinde Pullach:
Welche Leistung oder Funktion der EU ist in Ihren Augen die bedeutsamste?
Europa ist ein Friedensgarant. In Pullach feiern wir in diesem Jahr das 55-jährige Bestehen der Partnerschaft mit Pauillac. Im September werden wir dazu wieder eine Reise nach Frankreich unternehmen. Die deutsch-französische Freundschaft steht sinnbildlich für den Zusammenhalt, den Respekt und die gegenseitige Wertschätzung der Länder in der EU. Ich bin sehr froh, dass unsere Verbindung mit Pauillac schon so lange besteht. Der Austausch im „Kleinen“ war und bleibt extrem wichtig für das Friedensprojekt EU.
Welche „Hausaufgabe“ sollte die EU am dringendsten oder besser als bisher erledigen?
Europa ist auch ein Demokratieprojekt, aber die demokratische Verfasstheit muss noch deutlich weiterentwickelt werden. Die Strukturen müssen durchschaubarer werden. Auch der Einfluss des EU-Parlaments ist leider immer noch nicht besonders groß. Gerade angesichts der wachsenden rechtspopulistischen Kräfte in Europa ist es wichtig, die EU an der Basis, sprich bei den Menschen, zu verankern. Das gelingt nur, wenn die Prozesse in Brüssel demokratischer und transparenter werden.
Clemens Baumgärtner, Wirtschaftsreferent der Stadt München:
Welche Leistung oder Funktion der EU ist in Ihren Augen die bedeutsamste?
Die Europäische Union stellt heute einen der bedeutsamsten Wirtschafträume weltweit dar. Diese Stärke kommt aus dem politischen und wirtschaftlichen Zusammenschluss. Davon profitiert nicht nur die Münchner Wirtschaft. Davon profitiert auch die Stadt. Unter dem Dach der EU werden Kreativität, Innovation und Technologie als gemeinsame Aufgabe begriffen und gefördert. Beispiel Smarter Together: Mit Geld aus der EU erprobt München in diesem Projekt die Stadt von morgen. Zusammen mit Lyon und Wien – über alle Grenzen hinweg. Von den Ergebnissen des Projekts werden alle Kommunen in Europa etwas haben.
Welche „Hausaufgabe” sollte die EU am dringendsten oder besser als bisher erledigen?
Europa wird von vielen als Bürokratie-Monster empfunden. Ob Deregulierung von Märkten oder Regulierungen im Konsumentenbereich: Wirtschaft und Bürgerschaft stöhnen über eine Vorschriftenflut. Dabei ist vieles sinnvoll. Aber es muss besser kommuniziert werden, die Vorteile müssen besser verkauft werden.
Gleichzeitig sollte die EU, bei allem Anspruch auf gleiche Lebensbedingungen in Europa, stärker auf regionale Bedürfnisse, Eigenheiten und Errungenschaften Rücksicht nehmen. Damit jeder sich in Europa zuhause fühlt.
Dr. Eberhard Sasse, Präsident der IHK für München und Oberbayern und des Bayerischen Industrie- und Handelskammertages (BIHK):
Welche Leistung oder Funktion der EU ist in Ihren Augen die bedeutsamste?
Der europäische Binnenmarkt zeigt uns Unternehmern jeden Tag die Vorteile der EU. Waren und Dienstleistungen können nahezu ohne Hürden in 27 andere Länder exportiert oder aus diesen eingekauft werden. Auch kleine Unternehmen erreichen dadurch einen riesigen Markt mit über 500 Millionen Menschen. Eine große Hilfe dabei ist der Euro, der grenzüberschreitende Geschäfte maßgeblich erleichtert.
Welche „Hausaufgabe” sollte die EU am dringendsten oder besser als bisher erledigen?
Natürlich habe ich bei der Anwendung von EU-Recht in den Mitgliedsstaaten manchmal Bauchschmerzen. Bestes Beispiel ist das Entsende-Formular A1. Um zu bestätigen, dass man kranken- und sozialversichert ist, muss jeder Unternehmer und Mitarbeiter ein solches Formular in Papierform mit sich führen, wenn er oder sie in einem anderen EU-Land geschäftlich unterwegs ist. Ganz egal, ob der Aufenthalt eine Stunde oder eine Woche dauert. Solche Regelungen haben im Europa des 21. Jahrhunderts nichts mehr zu suchen.
Um es auf den Punkt zu bringen: Wir müssen nicht alles toll finden, was aus Brüssel oder Straßburg kommt. Aber ohne die europäische Integration wäre heute weder unser Wohlstand so groß, noch hätte unsere Wirtschaft eine so starke internationale Rolle. Die Wahl am 26. Mai ist deshalb ein Pflichttermin für alle Bürgerinnen und Bürger.
Peter Rösler, Vorstandsmitglied des Vereins „Ich wähle mit”:
Welche Leistung oder Funktion der EU ist in Ihren Augen die bedeutsamste?
Mich freut, dass die meisten Menschen in der EU ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt haben und dass kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den EU-Staaten einfach nicht mehr denkbar sind. Auch die vielen kleinen Schritte wie beispielsweise die Begrenzung von Mobilfunkgebühren sind sehr zu begrüßen.
Welche „Hausaufgabe” sollte die EU am dringendsten oder besser als bisher erledigen?
Ich persönlich wünsche mir, dass die EU nicht nur als großer Binnenmarkt gesehen wird, sondern dass auch die soziale Sicherheit der EU-Bürger mehr in den Mittelpunkt gestellt wird. Und ich würde mich freuen, wenn die Wählerinnen und Wähler genauso zahlreich zur Wahl gehen, wie sie es sonst bei der Bundestagswahl auch tun!
Bernhard Rieger, Asylhelfer Bayern, Mitglied im Bayerischen Integrationsrat (BIR):
Welche Leistung oder Funktion der EU ist in Ihren Augen die bedeutsamste?
Unsere Väter und Großväter zogen noch in den Krieg. Wir leben heute in dem Luxus, unseren Nachbarn vertrauen zu können. Ein Krieg innerhalb der EU ist unvorstellbar, Europa ist vereint und damit ist die EU der Garant für den Frieden.
Welche „Hausaufgabe” sollte die EU am dringendsten oder besser als bisher erledigen?
Allerdings sind wir von einem wirklich vereinten europäischen Haus noch weit entfernt. Gerade die Herausforderung der Migration zeigt uns, wo die Grenzen des Miteinanders liegen. Einige Länder vergessen, dass ein vereintes Europa nicht nur Rechte mit sich bringt, sondern auch Pflichten. Nur wenn wir alle uns daran halten und uns allen das Miteinander in Frieden wichtiger ist, als der eigene Vorteil, kann das Projekt Europäische Union irgendwann gelingen.
Franz Xaver Peteranderl, Präsident des Bayerischen Handwerkstages (BHT):
Welche Leistung oder Funktion der EU ist in Ihren Augen die bedeutsamste?
Die Europäische Union ist seit Jahrzehnten die Basis für Frieden, grenzüberschreitenden Austausch und wirtschaftlichen Wohlstand. Davon profitieren auch die vielen kleinen und mittelständischen Betriebe des Handwerks in Bayern. Deshalb tritt das bayerische Handwerk für die europäische Idee ein und sagt uneingeschränkt „Ja“ zu Europa.
Welche „Hausaufgabe” sollte die EU am dringendsten oder besser als bisher erledigen?
Gesetze und Maßnahmen aus Brüssel stellen handwerkliche Betriebe jedoch immer wieder vor große Herausforderungen. Der Mehrwert der Europäischen Union muss für unsere Unternehmen wieder stärker erkennbar werden. Die EU soll sich um Fragestellungen kümmern, die sie besser regeln kann als die Mitgliedstaaten selbst. Eine starke europäische Politik für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die fest nach dem Prinzip „Think Small First“ agiert, ist daher unerlässlich. Es ist ganz im Sinne unserer Betriebe, wenn die EU Bürokratie abbaut, die regionale Wirtschaft stärkt, berufliche Bildung fördert, den digitalen Wandel vorantreibt, eine bezahlbare Energieversorgung sichert und Mobilität ermöglicht.
Michael Schrodi, Bundestagsabgeordneter (SPD):
Welche Leistung oder Funktion der EU ist in Ihren Augen die bedeutsamste?
Europa ist ein Projekt, dem wir wirtschaftliche Zusammenarbeit und Wohlstand zu verdanken haben. Europa ist ein Projekt, das über 70 Jahre Frieden auf unserem Kontinent beschert hat.
Welche „Hausaufgabe” sollte die EU am dringendsten oder besser als bisher erledigen?