Veröffentlicht am 08.02.2018 15:12

Vom Singkreis zum Weltklasse-Chor

Besondere Auzeichnung: 2002 erhielt Prof. Schmidt-Gaden die Bürgermedaille in Silber der Stadt Tölz. (Foto: © Tölzer Knabenchor)
Besondere Auzeichnung: 2002 erhielt Prof. Schmidt-Gaden die Bürgermedaille in Silber der Stadt Tölz. (Foto: © Tölzer Knabenchor)
Besondere Auzeichnung: 2002 erhielt Prof. Schmidt-Gaden die Bürgermedaille in Silber der Stadt Tölz. (Foto: © Tölzer Knabenchor)
Besondere Auzeichnung: 2002 erhielt Prof. Schmidt-Gaden die Bürgermedaille in Silber der Stadt Tölz. (Foto: © Tölzer Knabenchor)
Besondere Auzeichnung: 2002 erhielt Prof. Schmidt-Gaden die Bürgermedaille in Silber der Stadt Tölz. (Foto: © Tölzer Knabenchor)

„Anfangs lief alles ganz mühelos. Wer mit 18 Jahren als Abiturient Lust verspürt, andere zum gemeinsamen Singen zu animieren, ist noch nicht von bedrückenden Verantwortungsgefühlen irritiert. In diesem Alter geht man an eine solche selbst gestellte Aufgabe mit großem Elan heran, der ansteckend wirkt.”

62 Jahre muss man mit Gerhard Schmidt-Gaden zurückgehen, um die Anfänge des Tölzer Knabenchores vor Augen zu haben – hervorgegangen aus einer Pfadfindergruppe, im Januar 1956 von ihm, dem Abiturienten, als „Singkreis Bad Tölz” gegründet und bald schon umbenannt in „Tölzer Knabenchor”. Dass daraus einer der international erfolgreichsten Knabenchöre entstehen sollte, lässt sich aus dem Eingangszitat nicht ableiten, eher schon von einem Satz des ehemaligen Tölzer Schulamtsdirektors Norbert Weinhuber, Jahrgang 1949, der sich an seine Zeit mit Gerhard Schmidt-Gaden im Tölzer Knabenchor folgendermaßen erinnert: „Er wollte immer den weltbesten Chor leiten – das hat uns beeindruckt und begeistert.”

Begeisterung und Ehrgeiz

Begeisterung also! Begeisterung und Ehrgeiz sind neben dem unbestreitbar nötigen Talent die beiden Bausteine, die es braucht, um an die Weltspitze zu gelangen – das war immer Gerhard Schmidt-Gadens Credo. Die Begeisterung ist auch heute spürbar, wenn man in die Probenräume und die Geschäftsstelle des Tölzer Knabenchores kommt, den Buben bei der Probe zuhört und mit den Verantwortlichen spricht – mit Barbara Schmidt-Gaden, der Tochter und jetzigen Geschäftsführerin oder mit Peter Schulz, einem der beiden Konzertmanager. Und neben der Begeisterung sind es akribische Arbeit, Disziplin, Ausdauer und viel Einfühlungsvermögen, die den Tölzer Knabenchor auszeichnen.

„Damals war's manchmal schon hart für uns, wenn andere zum Baden gegangen sind und wir stattdessen zweimal zwei Stunden in die Chorprobe und dazu noch eine halbe Stunde in die Einzelstimmbildung gehen mussten. Doch es waren prägende Erfahrungen fürs Leben”, schreibt Norbert Weinhuber in der Festschrift zum 60-jährigen Bestehen des Chores. Er berichtet darin von Kissenschlachten, einem beinah umkippenden Chorbus an einer Feldwegböschung, von unvergesslichen Probenwochenenden, persönlichen Begegnungen mit Carl Orff, der mit dem Tölzer Knabenchor damals sein Schulwerk aufnahm und resümiert: „Ohne den Tölzer Knabenchor hätte ich nie so ein weites Spektrum an musikalischen Erlebnissen und Musikverständnis erfahren dürfen.”

Mit dem Chor durch die Welt

„Mein Vater hat zwei Seelen in seiner Brust”, sagt Barbara Schmidt-Gaden, die als einziges Mädchen zehn Jahre lang im Chor mitgesungen hat. „Da sind zum einen seine Professionalität und seine Perfektionsanspüche in Sachen Stimme und Musik, zum anderen aber auch der Wunsch, dass ein Kind Kind sein darf. Deshalb wollte er auch nie ein Internat für den Tölzer Knabenchor. Er war immer davon überzeugt, dass Kinder in die Familie gehören, sich dort am wohlsten fühlen und auch Zeit zum Spielen brauchen.”

Trotz chronischem Geldmangel in den Anfangsjahren, in denen manchmal sogar die Noten auf Pump gekauft werden mussten, stellte sich schon sehr bald der erste Erfolg ein. Bereits wenige Monate nach der Gründung wurde eine erste Aufnahme durch den Bayerischen Rundfunk gemacht, Konzerte in Tölz und München folgten, im April 1957 unternahm der Tölzer Knabenchor eine erste Konzertreise nach Südtirol, im August 1960 ging es auf Europareise, im gleichen Jahr wurden die Chorbuben und ihr Leiter vom damaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke empfangen. Im März 1963 hörte Carl Orff zum ersten Mal den Chor und begann bald darauf seine Zusammenarbeit. Im Juli 1964 schließlich wurde die erste Zauberflöte von W.A. Mozart unter Beteiligung des Tölzer Knabenchores am Münchner Nationaltheater aufgeführt.

Schwebende Knaben

Dass die Knabenrollen in großen Werken auch tatsächlich wieder von Buben gesungen werden konnten, war damals eine Sensation. Mangels entsprechend ausgebildeter Knabenstimmen waren die Rollen nämlich lange Zeit von Sängerinnen übernommen worden. Jetzt also brillierten jeweils drei Tölzer Chorknaben in den Zauberflöte-Inszenierungen in vielen deutschen und europäischen Opernhäusern.

Mit der Mozartschen Oper ist freilich auch eine „schwindelerregende” Chor-Anekdote verbunden. Ein Regieeinfall bei den Salzburger Festspielen ließ die drei Knaben einst auf die Bühne schweben – aus beinahe 20 Metern Höhe und nur von einer Art Klettergurt gehalten. Den Auftritten war diese Prozedur nicht gerade förderlich und einmal wurde es einem der Buben dabei so speiübel, dass nur noch zwei statt der drei erwarteten Knaben vom Olymp herabsegelten. Sir Georg Solti, der damalige Festspieldirigent, fand das schlichtweg schockierend, aber Gerhard Schmidt-Gaden – inzwischen Musikprofessor und keineswegs auf den Mund gefallen – entschuldigte seine Schützlinge sehr treffend damit, dass die Festspielleitung drei Sänger bei ihm bestellt habe und keine Fallschirmjäger.

Umzug nach München

In den 70er Jahren, als es immer weniger Kinder aus dem Raum Tölz und immer mehr Jungen aus München und dem Umland waren, die den Tölzer Knabenchor besuchten, zog der Chor – nachdem man die Buben eine Zeitlang mit dem Bus zur Chorprobe nach Bad Tölz und wieder zurück chauffiert hatte – in die Landeshauptstadt um. Einige Male hat er hier die Räumlichkeiten gewechselt – inzwischen ist er in der Tölzer Straße in Sendling ansässig. Doch nicht nur der Straßenname und ein jährlicher Zuschuss der Stadt Tölz zeigen die Verbindung zum Gründungsort, sondern der Chor ist auch zu einer Art Markenzeichen für die Badestadt im bayerischen Oberland geworden und hat den Namen Tölz in aller Welt bekannt gemacht. Seit den 80er Jahren gibt es sogar japanische Manga, die die Abenteuer der „bayerischen Engel” zum Thema haben.

Vor zwei Jahren wurde das 60-jährige Gründungsjubiläum des Chores gefeiert. Gerhard Schmidt-Gaden nahm dies zum Anlass sich weitgehend aus dem Betrieb des Tölzer Knabenchores zurückzuziehen. Neben seiner Tochter Barbara Schmidt-Gaden sind es nun die beiden künstlerischen Leiter Christian Fliegner, der 1982 selbst als Tölzer Sängerknabe seine Karriere startete und damit seit über 35 Jahren dem Chor verbunden ist, und der Pädagoge und Pianist Clemens Haudum, die die Geschicke leiten.

Rund um die Tölzer

In einer kleinen Serie, die mit diesem Artikel startet, soll der Tölzer Knabenchor mit seinen vielen Facetten und seinen neuen Herausforderungen beleuchtet werden. Zu Wort kommen ehemalige Sängerknaben, die heute oft verantwortungsvolle Positionen bekleiden, Eltern, die gleich mehrere Tölzer Knaben zuhause haben, Menschen, die dem Chor auf verschiedenste Weise verbunden sind, die künstlerischen Leiter und natürlich auch die Buben. Außerdem sollen immer wieder amüsante Geschichten rund um den Chor erzählt werden, denn die Knaben mit den engelsgleichen Stimmen sind trotz aller Disziplin ganz klar auch eines: Lausbuben.

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