Bonhoeffer-Abend in der Michaelskirchengemeinde

Ottobrunn · »Wer bin ich?«

Ottobrunn · »Wer bin ich? Sie sagen oft, ich träte aus meiner Zelle gelassen und heiter und fest wie ein Gutsherr aus seinem Schloss…«. Klar und deutlich las Konfirmand Philipp Orlowski die Worte Dietrich Bonhoeffers, die dieser im Juni 1944 in der Haft in Berlin-Tegel schrieb.

Die Zuhörer spürten Bonhoeffers Ringen um seine Identität zwischen einem Menschen, der sein Unglück gleichmütig, lächelnd und stolz trägt und dabei freundlich zu Mitgefangenen und Bewachern ist, und einem Heuchler, einem Schwächling, der zu müde und zu leer zum Beten und Denken ist. Philipp las bis zum Textende, das erkennen lässt, wie Bonhoeffers Ringen ausgegangen ist: »Wer ich auch bin, du kennst mich, Dein bin ich, o Gott.«

»Wer bin ich?« – unter diesem Titel hatte Pfarrerin Martina Hirschsteiner zu einem Themenabend über Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) in die Michaelskirchengemeinde eingeladen. Für ein Gespräch kamen auf der Bühne Autor und Bonhoeffer-Biograf Alois Prinz, Filmproduzent Jochen Koelsch, Juristin Ingeborg Wiedermann, Physiker und Kirchenvorsteher Christian Einsel und Dekan i.R. Volker Herbert zusammen. Alle Gäste stammen aus dem beruflichen und privaten Umfeld der Gastgeberin; sie trugen verschiedene Aspekte zum Leben Bonhoeffers vor. Mit dabei war auch Musiker Johannes Öllinger, der schon öfter zusammen mit Prinz bei Lesungen aufgetreten ist. Öllinger hat zu Bonhoeffers Text »Von guten Mächten« eine neue Melodie komponiert. Das neue Lied trug er am Abend vor – sehr zur Freude der Zuhörer im vollbesetzten kleinen Gemeindesaal.

Bonhoeffer war ein Überflieger
Autor Alois Prinz erzählte von seiner Begeisterung von Bonhoeffer schon zu Schulzeiten. Damals fasste er den Entschluss, irgendwann eine Biographie über ihn zu schreiben. Im vergangenen Herbst war es nun soweit: Sein Buch »Bonhoeffer: Wege zur Freiheit« erschien im Gabriel-Verlag.
»Bonhoeffer war ein Überflieger; mit 21 Jahren promovierte er, mit 24 hielt er seine erste Vorlesung«, so Prinz. Doch Bonhoeffer habe bald erkannt, dass es für ihn etwas Besseres gab als eine akademische Laufbahn. Er wollte ernsthaft mit den Worten der Bibel umgehen. Das, was er las, insbesondere die Bergpredigt, wollte er ins Leben mitnehmen. Beziehungen waren ihm wichtig – die Beziehung zu Gott und zu anderen Menschen. Aus seinem Christsein nahm er die Kraft für seinen politischen Widerstand. Schon Mitte der 1920er bezog er klar Stellung gegen Antisemitismus und die Nazi-Ideologie: »Wer Christ ist, kann nicht Nationalsozialist sein«. Bonhoeffer kämpfte um die Unabhängigkeit der Kirche von staatlicher Einflussnahme. Ab 1935 leitete er das Predigerseminar der »Bekennenden Kirche« in Zingst und Finkenwalde, zeitweise im Untergrund.

Widerstandskämpfer, Doppelagent und Verlobter
1940 entschied sich Bonhoeffer, sich als Doppelagent im Widerstand zu engagieren. Offiziell war er Agent der Abwehr; inoffiziell war es seine Aufgabe, Kontakte zu ausländischen Geistlichen zu pflegen und mit ihnen über ein Deutschland in der Zeit nach Hitler zu reden.
1942 verliebte er sich in die 18 Jahre jüngere Maria von Wedemeyer. Bisher war es Bonhoeffer sehr schwer gefallen, Gefühle zu zeigen. Durch Maria veränderte er sich; machte sich verletzlicher. Die beiden verlobten sich im Januar 1943, doch ihren ersten Kuss gaben sie sich erst im Gefängnis: Bonhoeffer war Anfang April von der Gestapo verhaftet worden, die ihn der Wehrkraftzersetzung beschuldigte. Während der Inhaftierung schrieben sich die Verlobten viele Briefe. Diese inspirierten Musiker Johannes Öllinger zu seinem Liebeslied »So wie du bist«, das er ebenfalls am Abend vortrug.
Nach dem gescheiterten Hitler-Attentat am 20. Juli 1944 spitzte sich die Lage für Bonhoeffer zu: Die Nazis hatten inzwischen herausgefunden, dass er an den Attentaten auf Hitler beteiligt gewesen war. Für Bonhoeffer war nun klar, dass er gegen die Übermacht des Staatsapparats nichts mehr tun konnte, außer sich in Gottes Arme fallen zu lassen. Auf dem Weg zu seiner Hinrichtung im April 1945 soll er sehr gefasst gewesen sein und gesagt haben: »Dies ist das Ende – für mich der Beginn des Lebens«. MO

Artikel vom 08.05.2018
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