Nie wieder? Immer noch!

München · Neue Sonderausstellung im NS-Dokumentationszentrum

In ihrer Ausstellung stellen die Macher unter Projektleitung von Winfried Nerdinger (re.) die Ausprägung rechtsgerichteter Aktionen und stellen sie der ablehnenden Reaktion der Öffentlichkeit ihrer Zeit gegenüber.	Foto: cr

In ihrer Ausstellung stellen die Macher unter Projektleitung von Winfried Nerdinger (re.) die Ausprägung rechtsgerichteter Aktionen und stellen sie der ablehnenden Reaktion der Öffentlichkeit ihrer Zeit gegenüber. Foto: cr

München · Die Überraschung ist groß: In Deutschland werden die tendenziell rechtsorientierten Gruppen gesellschaftsfähig. Wie kann es sein, dass rechtsextremes Gedankengut hierzulande wieder Fuß fasst?

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Die Antwort ist ebenso einfach wie bestechend: Dieses Gedankengut war immer da. Darum dreht sich die aktuelle Sonderausstellung des NS-Dokumentationszentrums in der Brienner Straße mit dem eindeutigen Titel: »Nie wieder. Schon wieder. Immer noch.«

Eröffnet wurde die Ausstellung am Mittwoch, 29. November. Bis 2. April 2018 zeigt sie, wie rechte Gewalt und Einflussnahme in den deutschen Alltag hineinwirken.

Die Sonderausstellung behandelt die Geschichte und Ideologie des Rechtsextremismus und dokumentiert die wichtigsten Entwicklungslinien des rechtspopulistischen, rechtsradikalen und rechtsextremen Spektrums. Die Entwicklung der rechtsextremen Bewegung im Laufe der vergangenen sieben Jahrzehnte ist geprägt von einem steten Kommen und Gehen unterschiedlicher Akteure. Was sich jedoch wie ein roter Faden durch die Jahrzehnte hindurchzieht, das sind die Ideologie, die Rhetorik und die Gewalt der extremen Rechten.

Wer dachte, mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sei die deutsche Bevölkerung vom rechten Virus befreit gewesen, der irrt. Bereits wenige Monate nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes schlossen sich unbelehrbare Nationalsozialisten zu neuen Aktionsgemeinschaften zusammen, gründeten Parteien, Verlage und Gruppen, um die Ideologie des Nationalsozialismus weiterzutragen. Der ehemalige NSDAP-Politiker Otto Strasser versuchte seit Ende der 40er-Jahre in der Bundesrepublik eine neue nationalistische Sammelpartei aufzubauen.

Eine einflussreiche Schlüsselfigur innerhalb des rechten Lagers der 50er- und 60er-Jahre war Adolf von Thadden, der 1967 Vorsitzender der NPD wurde. Der Münchner Verleger Gerhard Frey gründete 1971 die Deutsche Volksunion«, Franz Schönhuber 1983 die Republikaner. Sie alle haben ihren Platz in der neuen Sonderausstellung und die AfD findet sich dort unversehens wieder, was sich in der Ausrichtung und der Rhetorik der Partei begründet. Im Gegensatz zu den rechten Kleinstparteien der letzten Jahrzehnte deckt die rechtspopulistische AfD ein vergleichsweise breites Spektrum in der Bevölkerung ab von konservativen Kreisen bis hin zum rechten Rand. Weil es die Partei nicht schafft, sich klar von verfassungsfeindlichen Gruppierungen abzugrenzen und deren Taten zu verurteilen, ist ihre Nennung in der Ausstellung eine logische Konsequenz.

Winfried Nerdinger, Direktor des NS-Dokumentationszentrums und Projektleiter der Sonderausstellung, betont, was allzu oft in Vergessenheit gerät: »Es ist geschehen, es kann wieder geschehen, es passiert beinahe täglich.« Dabei zitiert er Zahlen des Verfassungsschutzes, wonach 2016 in Deutschland rund 3.500 Gewalttaten mit rechtsextremem Hintergrund registriert worden seien – im Mittel also fast zehn pro Tag.

Anhand neu zusammengetragener Quellen, Fotografien und Werbematerialien werden in der Ausstellung Parteien, Organisationen und Personen sowie deren Aktivitäten dargestellt und erläutert. Neben vielen Beispielen aus München und Bayern geht die Ausstellung dabei auch auf eine Reihe von Ereignissen in ganz Deutschland ein.

Zur Auseinandersetzung mit der komplexen Thematik wurde in Vorbereitung der Ausstellung ein wissenschaftlicher Beirat mit Miriam Heigl (Fachstelle für Demokratie der Stadt München), Marcus Buschmüller (Antifaschistische Informations-, Dokumentations und Archivstelle München e.V. – a.i.d.a.) und dem Journalisten Ulrich Chaussy gebildet. Aus intensiven Diskussionen und Gesprächen seien Struktur und Inhalte der Ausstellung, des Katalogs und des Begleitprogramms entstanden.

Das NS-Dokumenationszentrum in der Brienner Straße 34 ist dienstags bis sonntags jeweils von 10 bis 19 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet für Erwachsene 5 Euro (ermäßigt: 2,50 Euro). Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren haben freien Eintritt. cr

Artikel vom 01.12.2017
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