Stichwort Obergrenze

Das Wort schwebt drohend über der Großen Koalition: Obergrenze! Die CSU, allen voran deren Vorsitzender Horst Seehofer, fordert sie nach wie vor; die CDU, allen voran deren Vorsitzende Angela Merkel, lehnt sie nach wie vor ab. Dabei könnte die Entscheidung ganz einfach sein, wenn man zwei Antworten auf diese Fragen bekommt: Ist die Flüchtlingsobergrenze mit dem Grundgesetz vereinbar? Und: Was kann die Obergrenze leisten?

Auf die erste Frage lautet die Antwort »nein«. Im Grundgesetz steht in Artikel 16a, Absatz 1: »Politisch Verfolgte genießen Asylrecht«. Eine Zahl steht da nicht drin. Es bringt auch nichts, ein Gesetz oder eine Regelung zu verabschieden, die dem Grundgesetz widerspricht, denn das Bundesverfassungsgericht würde eine solche Regelung zügig einkassieren.

In der Praxis würde eine Obergrenze bedeuten, dass ab einer gewissen Anzahl Asylsuchender pro Jahr in Deutschland keine weiteren mehr aufgenommen würden. Auch wenn anerkannt wäre, dass sie politisch verfolgt sind. Der deutsche Staat würde also eine Unterscheidung treffen, was wiederum Artikel 3 des Grundgesetzes widerspräche. Dort heißt es im ersten Absatz: »Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich.« Das gilt sowohl allgemein als auch innerhalb ihrer Gruppe für politisch Verfolgte.

Damit wird es schon schwierig, eine Obergrenze überhaupt durchzusetzen. Wie das im Einzelnen abläuft, erleben wir gerade bei der Autobahnmaut. CSU dafür, CDU dagegen, CSU setzt ihren Dickkopf durch und erlebt eine Bauchlandung. Lassen wir uns überraschen.

Lässt man die erste Frage außer Acht, bleibt noch die zweite Frage: Was kann die Obergrenze leisten, was bringt sie?

Eine geordnete Zuwanderung – wie soll man sich das vorstellen? Nur weil hunderttausend Flüchtlinge jetzt in einer Reihe anstehen anstatt im Pulk, haben wir auf einmal eine geordnete Zuwanderung? Unwahrscheinlich.

Chaotische Verhältnisse an den Außengrenzen der EU sind schon jetzt die Realität, vor allem auf Lampedusa und in Griechenland. Die Flüchtlinge werden weiter dorthin kommen, sie werden in elenden Zuständen vegetieren müssen, weil mehr als 20 EU-Staaten keine Hilfe leisten wollen. Für eine aufgeklärte und solidarische Gesellschaft ist das ein Armutszeugnis. Wenn ein Land wie der Libanon bei einer Einwohnerzahl von etwas mehr als sechs Millionen über eine Million Flüchtlinge aufnimmt, also nur etwas weniger als es die gesamte EU (510 Millionen Einwohner, nach dem Brexit noch 455 Millionen Einwohner) getan hat, dann sagt das schon viel aus.

Deutschland hat seine humanitäre Pflicht in einer solidarischen Weltgemeinschaft erfüllt. Für viele ist Solidarität allerdings eine Einbahnstraße in Richtung »Nehmen«. Oder zumindest »Nicht teilen«. Wir wissen nach einem Jahr, dass die Flüchtlingsströme nach Deutschland keinen ausufernden islamistischen Terror ins Land gebacht haben, noch dass Deutschland bis heute ein funktionierender und wohlhabender Staat ist. Ja, es gibt Gewalt, aber die findet beschämenderweise oft von der Seite deutscher Gewalttäter statt.

Ja, es gibt auch Gewalt in den Flüchtlingslagern und es gibt Straftaten, die von Flüchtlingen begangen werden. Damit muss der Staat umgehen. Vielleicht gibt es Familien in Deutschland, die ihre Kinder rausschmeißen, wenn diese sich falsch verhalten haben. Die meisten werden versuchen ihre Kinder zu erziehen. Vorurteilslos. Wir brauchen keine harte Linie, sondern eine konsequente Linie. Und die sieht nicht wie eine Obergrenze aus.

Artikel vom 30.09.2016
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...