Die Lust am Tanzen

Haidhausen · Der Jugendtreff Au feiert am 15. Juli seinen 50. Geburtstag. Ein Besuch.

Jede Menge Action: Nicht nur Fußballspielen ist bei den Jugendlichen angesagt. Auch sonst gibt’s hier zahlreiche Freizeitangebote.	Foto: Camehn

Jede Menge Action: Nicht nur Fußballspielen ist bei den Jugendlichen angesagt. Auch sonst gibt’s hier zahlreiche Freizeitangebote. Foto: Camehn

Haidhausen · Früher war eben auch nicht alles besser. »Es gab mal eine Zeit, da blieben zum Beispiel die deutschen Jugendlichen unter sich, die türkischen Kids bildeten eine Clique – viel Miteinander und Gemeinsamkeiten gab’s da nicht«, erinnert sich Nicole Syr. Das sei heute jedoch völlig anders.

Heute herrsche hier ein buntes Durcheinander, »ein kleiner Mikrokosmos aus verschiedenen Kulturen«, so Syr, gelebtes Multikulti, wenn man so will. Eine Art Villa-Kunterbunt mitten in München. Hier: Das ist der Jugendtreff Au, Kegelhof 8, der heuer seinen 50. Geburtstag feiert. Am kommenden Freitag, 15. Juli, ist deshalb Party angesagt. Beginn: 19 Uhr. Auch Stadträtin Lydia Dietrich und Kreisjugendring (KJR)-Vorstandsmitglied Marina Lessing haben ihr Kommen angekündigt. Ein Jazz-Konzert ist für diesen Freitag geplant und ab 22 Uhr legt auf der »Auer Oldschool Revival Party« ein DJ Zero auf. »So richtig mit Schallplatten aus Vinyl«, lächelt Nicole Syr. »Kennen die Kids ja gar nicht mehr.« Die 37-Jährige ist Leiterin des Jugendtreff Au, seit 15 Jahren macht sie diesen Job. Und wenn sie lebhaft und konzentriert von ihrer Arbeit erzählt, merkt man ihr das Engagement, die Begeisterung an, die es wohl braucht, um in diesem sicher nicht immer leichten Umfeld erfolgreich zu arbeiten. Syr, keine Frage, ist auch Überzeugungstäterin. Ihr zur Seite stehen noch fünf weitere Kolleginnen, drei arbeiten im Treff, drei Sozialarbeiterinnen kümmern sich um die pädagogische Arbeit an den Mittelschulen Weilerstraße und Ihr Auftrag: »Interkulturelle und politische Bildung sowie Konfliktprävention stehen dabei an erster Stelle« wie es etwas trocken im Amtsdeutsch heißt.

Die Arbeit in der Au ist indes keine reine Stadtteilarbeit: Inzwischen kommen Jugendliche, alle etwa zwischen 13 und 20 Jahren, aus ganz München hierher, erzählt Nicole Syr. Donnerstagnachmittag vergangene Woche. Im Jugendtreff, idyllisch gelegen etwas versteckt unweit der Isar, ist eigentlich immer was los. In der Sporthalle spielen gerade acht Jungs Fußball, ein paar Räume weiter läuft ein EM-Spiel im Fernsehen, dazu dröhnt türkische Pop-Musik aus einem Laptop. Türen knallen zu, Rufe über dem Gang, wer hat den Ball weggenommen... »Heute ist es hier noch ruhig«, erklärt Syr dem leicht verdutzten Besucher. Billard und Tischtennis bleiben heute unbesetzt, die Küche leer. Und auch in der Disko tanzt gerade niemand. Feste Feier-Termine? Gibt’s nicht. »Wenn die hier Lust auf Tanzen haben, machen die das einfach.« Es gibt im Treff eine Kochgruppe, für die Jugendliche auch schon mal Rezepte von daheim mitbringen. »Aber abspülen müssen sie hinterher auch, was natürlich nicht so viel Spaß macht.«, zeigt Syr Verständnis. Oder Jungs und Mädchen entwerfen eigene Klamotten, sozusagen »Pimp my shirt«, freut sich Syr. Doch bei aller Spaß- und Freizeitkultur – der Jugendtreff ist eben auch mehr als nur Abhängen bei lauter Musik. »Die Jugendlichen haben hier in letzter Zeit selber viel renoviert und nach eigenen Vorstellungen gestaltet«, erzählt Nicole Syr nicht ohne Stolz. Seit einem Jahr gibt es etwa das sogenannte Mädchen-Zimmer, »ein Rückzugsraum, hier dürfen keine Jungs rein, die Mädchen wollten das so«. Girls only! Im Jugendtreff können die Kids auch Hausaufgaben machen und Bewerbungen schreiben. Zwei Computer und Drucker stehen zur Verfügung, Syr und ihre Kolleginnen helfen, wo sie können, häufig was Sprache und Formulierungen anbelangt. Die »offene Jugendarbeit«, erklärt Nicole Syr, »ist niedrigschwellig angelegt.«

Heißt: Wer kommen will, muss sich nicht erst zuvor anmelden, es gibt keine Wartelisten oder sonstigen Beschränkungen. »Hier finden die Jugendlichen Freiräume, die sie viellicht sonst nicht so haben, vor allem finden sie hier aber jemanden, mit dem sie reden können, etwa über Probleme, die sie zu Hause nicht besprechen wollen.« Die Jugendtreff-Mitarbeiter sind Ansprechpartner, Freunde, Lebensberater und Konfliktlöser – letztendlich aber auch Autorität. Denn ohne Regeln geht es auch in einem Jugendtreff nicht. »Hier herrscht selbstverständlich striktes Alkoholverbot. Und auch andere Drogen werden nicht toleriert.« Wird jemand etwa angetrunken erwischt, muss er die Einrichtung verlassen – zumindest für diesen Tag. »Ein generelles Hausverbot wird in der Regel aber nicht ausgesprochen«, erzählt Syr. »Das wäre übertrieben.« Auch was Suchtprävention anbelangt, ist man im Jugendtreff wachsam. So werden schon mal Vorträge von Ex-Drogenabhängigen organisiert. Die zeigen laut Syr auch Wirkung. »Das sind ja häufig schlimme Schicksale und die Kids beschäftigt das Thema auch noch lange nach so einem Vortrag. Ich merk das, weil sie immer wieder darüber erzählen.« Demnächst soll es eine Generalsanierung für den Treff geben, möglicherweise bietet er dann noch mehr Möglichkeiten. Syr zeigt sich da zuversichtlich. Früher, weiß sie, war eben auch nicht alles besser.

Volker Camehn

Artikel vom 12.07.2016
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