Wenn 12 qm die Welt ist

Neufahrn · Mehr Obdachlose in Neufahrn als im Januar: Ein Leben im Container

Neufahrn · Obdachlos, mitten in Neufahrn? Das gibt es – mehrfach. Doch fernab vom Klischee des alkoholkranken Obdachlosen, der selbstverschuldet Arbeit, Familie und Wohnung verloren hat, ist Wohnungslosigkeit heutzutage in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Betroffen sind zunehmend Alleinstehende und Familien mit Kindern. Sprunghaft angestiegen ist auch die Zahl der Obdachlosen in der Gemeinde Neufahrn. Waren es im Januar dieses Jahres noch 18 Obdachlose, sind es nun bereits 29. Für diesen Anstieg gebe es keine Erklärung, berichtete Sozialpädagogin Felicitas Schmitz von der Obdachlosenhilfe der Gemeinde Neufahrn kürzlich in der Sitzung des Sozialbeirates. Dabei werden Menschen aus verschiedenen Gründen obdachlos: Wohnungsverlust aufgrund von Mietschulden oder eine plötzliche Trennung. Doch auch Jugendliche, die von den Eltern vor die Tür gestellt werden, zählen dazu. Zunehmend registrieren Schmitz und ihre Kolleginnen Beate Drobniak und Anita Rinke von der Fachstelle zur Verhinderung von Obdachlosigkeit (FOL) der Diakonie Freising den Verlust von Wohnungen aufgrund von Eigenbedarfskündigungen durch den Vermieter. Infolgedessen muss nun auch eine siebenköpfige Familie (die Frau ist erneut schwanger) aus ihrer Wohnung ausziehen. »Leider ist es trotz intensiver Bemühungen und Unterstützung verschiedener Fachstellen nicht gelungen, eine neue Unterkunft für diese Familie zu finden«, hieß es von der Gemeinde.

Da die Räumung der Wohnung unmittelbar bevorsteht und die bestehenden Obdachlosenanlagen besetzt und auch für die Unterbringung einer größeren Familie nicht geeignet sind, wird eine Containeranlage derzeit auf dem Grundstück des ehemaligen Sportplatzes (gegenüber der Anlage des TC Neufahrn) errichtet, die für die Familie ein neues Zuhause bieten soll. Der angespannte Wohnungsmarkt sei einfach ein sehr großes Problem, betonte Schmitz. Familien mit Kindern haben hier häufig keine Chance. Und die Gemeinde (zuständig ist das Ordnungsamt) ist gesetzlich verpflichtet, sich um die Unterbringung von in Neufahrn gemeldeten Personen zu kümmern. Zunehmend erhöhe sich auch die Verweildauer in den Notunterkünften, sagte die Sozialpädagogin. Einer der Bewohner lebt beispielsweise seit 2012 in der Notunterkunft. »Keiner bleibt nur einige Wochen.« Doch wie sieht es in einer Notunterkunft aus? Obdachlose werden in Neufahrn in zwölf Quadratmeter großen, unmöblierten Containern untergebracht. Niemand wohnt alleine. Eine Duschmöglichkeit sowie eine Kochmöglichkeit gibt es im eigenen Container nicht, dafür aber einen Wasseranschluss. Duschen und Wäsche waschen ist in einem Sanitärcontainer möglich. Das Problem: Es gibt nur zwei Waschmaschinenanschlüsse. Und getreu dem Motto: Wer zuerst kommt, malt zuerst, seien die Anschlüsse schnell belegt gewesen, so Schmitz. Trotz des minimalen Standards seien die Container begehrt wie nie.

Deshalb wolle man genau prüfen, wer einen Platz in den Notunterkünften bekommt. »Wir können hier nicht ganz Rumänien retten«, sagte sie mit Blick auf die Herkunftsländer der Neufahrner Obdachlosen. Unter den 29 Obdachlosen seien 16 EU-Zuwanderer u. a. aus Griechenland und Rumänien. 20 der 29 Menschen sprechen schlecht oder gar kein deutsch. Diese Situation bringe sie sprachlich an ihre Grenzen, gestand die Sozialpädagogin, die Englisch und Türkisch spricht. Viele der EU-Zuwanderer seien hergekommen mit dem Wunsch nach einem besseren Leben. Immerhin 26 der Obdachlosen in Neufahrn üben derzeit sogar Vollzeitberufe aus – häufig mit wenig Gehalt. Sozialpädagogin Felicitas Schmitz von der Gemeinde sowie die FOL-Mitarbeiterinnen der Diakonie, Beate Drobniak und Anita Rinke, unterstützen die Wohnungslosen auch, indem sie Kontakte zu entsprechenden Stellen – wie der Schuldnerberatung– herstellen. Dabei sind die einzelnen Stellen sehr gut miteinander vernetzt. »Oft muss es dann sehr schnell gehen«, so Schmitz. Zäh gestalte sich in diesem Kontext häufiger die Zusammenarbeit mit dem zuständigen Jobcenter (ALG II), berichten die drei Sozialpädagogen im Sozialbeirat.

Das Jobcenter ist unter bestimmten Voraussetzungen angehalten, Mietschulden zu übernehmen. Der Ermessensspielraum sei hier aber sehr gering, sind sich die Sozialpädagogen einig. Kommt es zu einer Wohnungskündigung, dann versuchen die Mitarbeiter der FOL immer auch mit dem Vermieter eine Lösung zu finden – wenn es ihn denn gibt. Denn: Zunehmend werden in umgebauten Reihenhäusern aus den 1970er Jahren mitunter Doppelstockbetten für viel Geld vermietet. Einen Mietvertrag gibt es nicht, Rechte für den Mietenden ebenfalls nicht. Und die Situation könnte sich im Zuge der Aufnahme weiterer Flüchtlinge noch verschärfen. Sind Asylbewerber anerkannt, kommen sie auf den Wohnungsmarkt und könnten bei Wohnungsnot ebenfalls in die Obdachlosigkeit rutschen. Schmitz: Schon jetzt könne man eine Art »soziales Pulverfass« – ein Konkurrenzdenken unter den Armen – feststellen. »Sie denken, sie werden im Zuge der Flüchtlingsdebatte vergessen.« Eine Entspannung der Lage ist erstmal nicht in Sicht. »Dieser Bereich hat eine Brisanz, die ich nicht erwartet habe«, sagte Bürgermeister Franz Heilmeier über die zunehmende Obdachlosigkeit in Neufahrn. Er berichtete in der Sitzung vom Konzept der Einfachwohnungen, die man bereits für Neufahrn plane. Angedacht seien acht bis zehn solcher Wohnungen unterschiedlicher Größen. Am Ende waren sich alle einig, dass sie das Problem der Wohnungsnot für Obdachlose derzeit nicht lösen können. Aber sie wollen definitiv am Ball bleiben und nach einer zufriedenstellenden Lösung suchen.

Christine Henze

Artikel vom 23.07.2015
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