Der Chor der Himmelfahrtskirche führt am Samstag, 24. Mai, um 19 Uhr in der Himmelfahrtskirche (Kidlerstraße 15) „Die Schöpfung” von Joseph Haydn auf. Es ist das erste Konzert unter der Leitung von Interims-Chorleiter Aaron Voderholzer. Er sprach mit Johannes Beetz über die Aufführung.
Sie studieren Medizin – wie manch andere Musiker auch. Ärzte wie Musiker brauchen Sorgfalt, Disziplin, Einfühlungsvermögen und Kreativität. Wie ähnlich sind sich beide „Disziplinen”?
Aaron Voderholzer: Beide Disziplinen beschäftigen sich mit dem Menschen. Die beste Medizin sollte sicherlich den Menschen nicht nur mit einem naturwissenschaftlichen, biologischen Auge betrachten, sondern sich immer fragen, was braucht der Patient / die Patientin auch seelisch, um gesund zu werden? Patient A braucht einfach nur ein Medikament, Patient B aber schon einen Arzt / eine Ärztin, die sich seiner Sorgen annimmt und für ihn da ist. Die Musik ist auch für den Menschen da. Sie blickt tief in unser Inneres, in unsere Seele. Um sie wirklich wahrzunehmen, müssen wir uns öffnen und zur Ruhe kommen. Dadurch bekommt die Musik etwas sehr Heilsames.
Zuletzt muss der Musiker wie auch der Mediziner sein Handwerk beherrschen, um seine Kunst aufführen zu können.
In der Himmelfahrtskirche wirkt eine große Zahl von Musikern und Sängern an der Haydn-Aufführung mit, die Sie leiten. Wie schwierig ist es, das alles unter einen Hut zu bringen und wie merkt man „jetzt passt's”?
Aaron Voderholzer: In der Tat sind wir ein sehr großer Chor mit fast 100 Sängerinnen und Sängern, dazu kommen 33 Instrumentalisten und die Solisten. Verglichen mit den Besetzungen zur Zeit Haydns sind wir damit aber noch bescheiden unterwegs, waren doch z. B. an der Uraufführung 180 Personen beteiligt – dazu kamen noch 30 Gendarmen, um den Weg zum Aufführungsort freizuhalten, so groß war der Publikumsandrang!
Das Schöne ist aber ja, dass wir ja alle das gleiche Stück aufführen. Es geht für uns darum, eine gemeinsame Vorstellung für die Musik zu entwickeln. Wenn wir diese gemeinsame Vorstellung haben, kommen wir fast automatisch zusammen und klingen im Idealfall wie ein großer Klangkörper. Das ist ja das Besondere an der Musik: über 100 Aufführende mit ihren eigenen, individuellen Charakteren werden über die Musik zu einer Gemeinschaft.
Haydns Schöpfung ist ja ein recht wuchtiges, großartiges Werk. Wie kann man so ein Werk interpretieren, ohne im Respekt davor zu erstarren?
Aaron Voderholzer: Die Schöpfung hat sicherlich wuchtige Stellen, dennoch denke ich, dass man sie nicht insgesamt als wuchtig bezeichnen kann. Die Stellen, bei denen man, wie Sie sagen, „in Ehrfurcht erstarrt”, liegen für mich eher in den kleinen Details, an denen man merkt, mit viel Finesse Haydn den Text vertont hat. Und je mehr man sich mit den Details beschäftigt und immer neue findet, desto ehrfürchtiger wird man. Erstarren sollte man aber dabei nicht.
Gibt es in diesem Werk für Sie eine besonders berührende Passage oder eine „Lieblingsstelle”?
Aaron Voderholzer: Da habe ich ganz viele Lieblingsstellen. Schon die Einleitung: die Vorstellung des Chaos. Haydn greift hier der Musikgeschichte weit voraus, in dieser für seine Zeit fast schon irrwitzigen Harmonik. Die lautmalerischen Rezitative, wenn Haydn die Vorstellung von Regen, Schnee oder auch den Tieren in Musik umsetzt! Die extrem fein gearbeiteten Arien und auch Terzette! Und nicht zuletzt die großen Chorsätze, in denen der Chor den Schöpfer für seine Taten preist.
Haydn schrieb seine „Schöpfung” in einer Welt, die ganz anders war als unsere heute. Hat dieses Werk für Sie dennoch einen zeitlosen, aktuellen Bezug?
Aaron Voderholzer: Auf jeden Fall. Wir alle hetzen heutzutage durchs Leben, ständig auf der Suche nach einem größeren Sinn. Die „Schöpfung” lehrt mich, einfach nur dankbar zu sein für die Welt, in der ich leben darf. Für die wunderbare Natur, die Tiere, die Menschen um uns herum. Diese Botschaft wird immer aktuell sein.
Auch wenn es zugegebenermaßen im dritten Teil Passagen gibt, die unserem heutigen gleichberechtigten Gesellschaftsideal stark entgegenstehen. Diese Textpassagen fallen gewissermaßen „aus der Zeit”. Wir führen Sie dennoch auf, um das Werk in seiner Ursprünglichkeit dem Publikum erfahrbar zu machen.
Sie haben schon mit jungen Jahren mit dem Musizieren angefangen. Mal ehrlich: Nicht immer hat man zum Üben Lust. Was raten Sie insbesondere Kindern, die ein Instrument lernen, wenn die Motivation mal nicht da ist?
Aaron Voderholzer: Motorisches Üben kann sehr schnell langweilig werden, in der Tat. Allerdings besteht Musik zu einem Teil aus „Handwerk”, sodass man nicht ganz drumherum kommen wird. So es geht, sollte man aber nicht motorisch Stellen üben, sondern die Musik hinter den Noten versuchen auszudrücken. Darüber hinaus finde ich es sehr wichtig, dass man die Musik in ihrer ganzen Vielfalt kennenlernt. Wenn ich gerade keine Lust habe, diese oder jene Stelle zu üben, kann ich mich mit der Struktur der Musik beschäftigen, improvisieren, ein anderes Stück zur Hand nehmen. Insbesondere das Improvisieren würde ich auch den Kindern sehr ans Herz legen. Es ist eine Fähigkeit, die in der klassischen Musik stark abhanden gekommen ist, in früheren Jahrhunderten aber Standard war. Es ist wie eine Sprache, die man lernt, und das geht bekanntermaßen am besten in jungen Jahren.
Kirchenmusik hat ein festes, aber doch überschaubares Publikum und konkurriert mit immer mehr musikalischen Gattungen, Strömungen und Trends. Wo hat sie in der Zukunft Platz und was macht sie für Sie so reizvoll?
Aaron Voderholzer: Kirchenmusik klingt so nach Nische, ist aber ein unglaublich weites Feld. Sie umfasst Musik über alle Jahrhunderte und Strömungen hinweg, von der Gregorianik bis in die Moderne. Die Kirchenmusik ist wirklich sehr inklusiv, steht allen Genres offen! Der besondere Reiz besteht für mich in dieser musikalischen Vielfalt, aber auch in der einzigartigen Verbindung von Musik, Spiritualität und Gemeinschaft. Kirchenmusik geht nicht nur ins Ohr, sondern direkt in die Seele – viele Menschen finden Trost in ihr. Darüber hinaus haben wir einfach die schönsten Räume, in denen wir musizieren dürfen!
Karten für die Aufführung in der Himmelfahrtskirche zu 35 und 25 Euro gibt es u.a. an allen München-Ticket-Vorverkaufsstellen bzw. unter www.muenchenticket.de. Eine Reservierung ist beim Pfarramt unter Tel. 089/309076-10 und über pfarramt.himmelfahrt@elkb.de möglich. Restkarten an der Abendkasse