Da schau her! Ein Münchner sagt seine Meinung

München · Albrecht Ackerland über die S-Bahn

Wäre die Münchner S-Bahn eine Frau – ich würde sie heiraten. Es wäre jetzt an der Zeit, alle Klischees herauszukramen, die das Bild der Frau so hergibt. Sie ist unpünktlich. Sie ist kälteempfindlich. Sie ist in ihren Innern zerfasert, im Kern aber doch so sehr gebunden an eine Verbindlichkeit, hier: die Stammstrecke. Ich muss Sie enttäuschen. Ich werde mich nicht der Verführung hingeben, diese Kerneigenschaften zu beackern, obgleich freilich das Beackern ein zutiefst männliches Ritual ist, die Frau hat ja – dem klassischem Rollenbild gefolgt – immer eher der Hauswirtschaft gefrönt als dem Ackerbau oder der Viehzucht.

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Stichwort Vieh: Wir Münchner betrachten unseren Öffentlichen Personennahverkehr als Nutztier. Es wäre jetzt zu schön, wenn dieser Vergleich nur und ausschließlich auf unsere Stadt träfe – aber: ich muss Sie schon wieder enttäuschen. Auch der New Yorker hegt zuallererst ein Gefühl der Zweckmäßigkeit gegenüber seiner Öffentlichen. Der Wiener tut es ihm gleich. Ebenfalls der Berliner. Und höchstwahrscheinlich auch der Buenos-Airesler.

Warum zum Gleisbett dann also eine S-Bahn mit einer Frau in Verbindung bringen? Weil ich mit ihr schließlich schon geschlafen habe! Genauer: in ihr. Und zwar dauernd während einer Ära meines Lebens. Es gab eine Zeit, da dachte ich, das innerstädtische Leben sei nicht gut für mich, ich müsse hinaus, raus aufs Land. Das Ergebnis war eine Episode meines Lebens, die unbedingt ihre Daseinsberechtigung hatte und zugleich das Gegenteil von „schillernd“ neu markierte.

Das Land war schön, aber ich musste in die Stadt. Zur Arbeit und plötzlich auch dringend, um das Nachtleben zu genießen, man wohnt ja in Stadtnähe, wäre ja blöd, das nicht auszunutzen. Ein Hingezogensein, das ich davor und danach nie wieder so gespürt habe. Die Folge war, dass ich oft spätnachts – oder frühmorgens, das ist nun Ansichtssache – die S-Bahn nehmen musste. Und weil ich zu dieser Zeit gerne müde bin, so müde, dass der Schlaf mich zu übermannen vermag, wachte ich oft am Endbahnhof auf. Andere Richtung. Ich war durchgefahren, eingeschlafen, den Endhalt verpasst, manchmal gar zweimal hin und retour, und der Schlaf fühlte sich sehr wohlig an, mindestens genauso wohlig wie der, den man neben einer Frau pflegt, die man liebt, aber schon so gut kennt, dass man keinen Sex mehr mit ihr hat. Die fast schon klassische Ehefrau also.

So kam es, dass ich, obwohl in Erding wohnend, ich den bahnhofsnahen Supermarkt in Starnberg – dem anderen Ende der S-Bahn-Strecke seinerzeit – so gut kannte, dass mich die Verkäuferinnen an der Wursttheke schon beinahe beim Namen nannten, kaufte ich doch mittlerweile sehr regelmäßig Wurstsemeln bei ihnen: „Bitte die Scharfe, dürfenS' ruhig dick belegen, aber bitte dünn geschnitten!“ Heute ist das alles anders, ich wohne wieder in der Stadt, habe die S-Bahn kaum nötig. Wohnte ich aber immer noch in Erding oder sonstwo im Speckgürtel: Ich wäre unbedingt Fan von einer zweiten Stammstrecke. Aber nur, wenn die innerstädtischen Halte durchgefahren würden. Dann nämlich käme ich schneller zu meinem Frühstück. Starnberg, Pfeffersalami, dünn aufgeschnitten, darf ein bisserl mehr sein, nein, Einpacken braucht's nicht, ich ess' gleich!“ Im Zug.

Artikel vom 25.03.2010
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