Albrecht Ackerland über Lernen fürs Leben

München - „Da schau her“

Für das Leben lernst du, nicht für die Schule. Das hat mir mein Großvater sehr regelmäßig gepredigt, bevor er mir die fünf Mark zusteckte. Es waren immer fünf Mark, nie zwei, nie zehn. Diese wunderschönen Fünfmarkmünzen, die so groß waren, dass eine Kinderhand sie kaum umschließen konnte.

Es war ein herrliches Gefühl, diese Münze in der Hand, immer wieder. Die Geldübergabe verlief immer gleich. Er weisheitete seinen Schule-Leben-Spruch, danach gab’s einen festen Händedruck, in seiner Hand lag immer ein Fünfer. Ein schönes Ritual.

Ich habe diesen Spruch gehasst, mindestens genauso, wie ich das Gefühl liebte, ein großes wertvolles Metallstück in der Hand zu halten. Mein Großvater brachte den Spruch immer, ein Ritual, mit dem er wahrscheinlich seine Fünfmarkspende vor sich selbst rechtfertigte. Geld muss man sich schließlich verdienen. Wenn ich aber nicht aufpasste und jammerte wegen des grausigen Mathelehrers oder der unlösbaren Lateinübersetzung („...der Cäsar hat’s doch an der Waffel!“), dann gab mein Opa seinen Spruch gerne auch mehrmals täglich zum Besten. Der pädagogische Nutzen war begrenzt, ich war sicher, all das Leid war ausschließlich zum Wohl der Lehrer bestimmt, verschaffte ihnen Lebensinhalt.

Ich muss gestehen: Längst weiß ich, dass der alte Herr Recht hatte. Ganz einfach. Einmal abgesehen von irgendwelchem Lehrplanquatsch, aber selbst der hat noch irgendwas gebracht, zum Beispiel das Bewusstsein, dass nicht alles taugt, was dort so gelehrt wird, an der Schule. Und trotzdem: Hätte ich Enkelkinder, ich würde es haargenauso machen. Mit dem sehr traurigen Unterschied allerdings, dass die heutigen Münzen einfach nicht so imposant daherkommen.

Was mein Großvater wahrscheinlich vor allem meinte, mir freilich nur so nicht sagte: Man lernt an der Schule, das wünsche ich zumindest jedem einzelnen Schüler, sich zur rechten Zeit auch einmal aufzulehnen, nicht jeden Schmarrn zu glauben, anzukämpfen gegen Ungerechtigkeiten – die es schließlich massenweise gibt in den Klassenzimmern.

Das war zu meiner Zeit noch so, war noch nicht selbstverständlich, und mit der Rebellion meine ich nicht die brutale Respektlosigkeit, wie sie angeblich heute in manchen Schulen herrscht. Nur ist selbst die auch nur eine Reaktion auf Ohnmachts-Gefühle gegenüber „denen da oben“. Wenn man Menschen aber mehr mitentscheiden lässt, sie gleichwertig behandelt, sie ganz einfach über sich selbst bestimmen lässt, dann ist jeder glücklicher. Und am Ende sind alle zufrieden, weil die Dinge so viel reibungsloser laufen, weil jeder auf seine Art zufriedener ist. Sei es nun in den Betrieben, in guten Bürgerparlamenten, in der Familie – und eben an den Schulen. Wann ich das geträumt habe? Ich habe es an der Schule gelernt. Fürs Leben.

Artikel vom 23.10.2008
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