Albrecht Ackerland über das Grauen im Alter

München - „Da schau her“

Kürzlich wollte mir im Biergarten eine wildfremde Frau aufschwatzen, ich sei ein Best-Ager. Ich wusste gleich gar nicht, ob das jetzt eine Beleidigung ist oder eine Anmache. Die Frau sah nicht schlecht aus, schicke Frisur, gute Kleidung. Aber irgendetwas störte mich an ihr. Ich brauchte eineinhalb Radlermaß, bis ich draufkam, was es war, das mich so störte.

In der Zeit redete sie auf mich ein, Fitness sei das Wichtigste, wenn man älter wird, sie redete etwas von geistiger Kondition, von Best-Agern und Silversurfern. Ich musste an Golden Retriever denken, eine Hunderasse. Dann konnte ich das Kind endlich beim Namen nennen, in dem Fall die alte Frau beim Namen oder eben das, was mich an ihr so störte. Ich nannte es aber nur in mich hinein, bin ja ein Charmeur der alten Schule. Nun – sie war: alt. Das war es, was mich störte.

Ich spreche nicht vom echten Alter, das unglaubliche Schönheit mit sich bringen kann. Sie war Senior im Kopf, und mehr und mehr merkte ich, dass das auch schon ihr Lebensinhalt war. Altsein. Sich als Best-Ager fühlen, das Leben einfach einmal so genießen, wie es die Werbung und die Magazine und das Fernsehen für Menschen im besten Alter empfiehlt.

Ich belehrte Sie, nach der dritten Radlermaß, dass es sich mit dem Alter wie mit der Schönheit verhält. Es kommt von innen. Ich habe schon 90-Jährige erlebt, die pubertäre Witze erzählten und dabei mehr Spaß hatten, als manch Unterstufen-Schüler. Ihre Würde, die Würde eines alten Mannes behielten sie, und trotzdem sprühte die Jugend immer noch aus den Augen. Es war regelrecht rührend. Das Gegenteil musste ich auch schon mit ansehen, 25-Jährige, die sich langsam schon auf ihr Ableben einrichten.

Danach musste ich gehen, Boule spielen im Hofgarten. Mir tat die Frau leid. Wahrscheinlich war sie schon ihr ganzes Leben alt, nur kommt sie jetzt endlich in das Alter, in dem sie es auch sein darf. Ich fühlte mich plötzlich ausgesprochen frisch.

Artikel vom 16.10.2008
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