Trotz Bedenken: Arbeitslose pflegen Demenzkranke

München - Burnout statt Hilfe

„Wir brauchen mehr qualifizierte Kräfte in der Pflege von Demenzkranken“, fordert Dr. Marliese Biederbeck vom Berufsverband für Pflegeberufe.	Foto: Archiv

„Wir brauchen mehr qualifizierte Kräfte in der Pflege von Demenzkranken“, fordert Dr. Marliese Biederbeck vom Berufsverband für Pflegeberufe. Foto: Archiv

München - Das Gesundheitsministerium will die Versorgung von Demenzkranken verbessern. Dabei helfen sollen Arbeitslose, die „den alten Menschen einfach ein bisschen Gesellschaft leisten“, wie Petra Pelizäus-Seidel, Pressesprecherin des Münchner Arbeitsamts sagt. Doch ganz so einfach ist das nicht.

„Wir halten diesen Plan für äußerst problematisch“, kritisiert Dr. Marliese Biederbeck, Geschäftsführerin des Berufsverbandes für Pflegeberufe Bayern. Die Pflege demenzkranker Menschen bedürfe einer handfesten Ausbildung. Mit „ein bisschen Gesellschaft leisten“, wie Pelizäus-Seidel die Tätigkeit beschreibt, sei es da nicht getan. „Demenzkranke leben in einer Welt, in die man sich erst mal reinversetzen muss“, beschreibt Ilona Schulze, Pflegedienstleiterin beim Altenheim der Arbeiterwohlfahrt.

Dazu braucht man fundiertes Hintergrundwissen. „Oft wollen die Leute heim, obwohl sie sich gar nicht mehr erinnern können, wo das eigentlich war.“ Bei Erklärungsversuchen können Demenzkranke irrational oder sogar panisch reagieren. „Eine normale Kommunikation ist dann nicht mehr möglich.“ Um hier richtig handeln zu können, werden Altenpfleger drei Jahre lang ausgebildet. „Mit 160 Stunden Vorbereitung, wie vom Gesundheitsministerium geplant, geht das nicht“, so Biederbeck.

Pelizäus-Seidel hingegen hofft: „Wenn jemand sozial geprägt ist, wird das für die reine Assistenz schon reichen.“ Wer auf die Belastung in der Pflege von Demenzkranken nicht ausreichend vorbereitet ist, für den „ist die Gefahr eines Burnouts sehr groß“, warnt Biederbeck.

Alleine in München sind etwa 700 Pflegekräfte arbeitslos gemeldet. Auch deswegen, weil viele ihre Arbeit aus psychischen Gründen nicht mehr ausüben können. Trotz dreijähriger Ausbildungszeit.

Derzeit besteht das Personal in Altenheimen nur aus 50 Prozent Fachkräften wie Altenpflegern, Physio- und Ergotherapeuten. Der Rest sind angelernte Kräfte. Für das Fachpersonal ergibt sich daraus ein zeitliches Problem. Sie müssen nicht nur ihre eigentliche Arbeit erledigen, sondern auch noch die Mitarbeiter anleiten. Und sind damit „jetzt schon überfordert“, so Biederbeck. Durch das Förderprogramm für Arbeitslose werden sie noch mehr Zeit in solche Tätigkeiten investieren müssen.

Obwohl Alten- und Pflegeheime, die Pflegeassistenten beschäftigen wollen, sich seit einigen Wochen beim Arbeitsamt melden können, habe es bisher keine Rückmeldungen gegeben. Pelizäus-Seidel rechnet bis Ende September mit ersten Aussagen. „Es ist halt jetzt Urlaubszeit.“ Arbeitslose können aber auch selbst die Initiative ergreifen und sich für die Assistenz melden. „Da haben wir schon erste Anfragen registriert.“

Über freiwillig Engagierte werden sich Ilona Schulze und Marliese Biederbeck freuen. Sie befürchten allerdings, dass Arbeitslose zur Pflegeassistenz gedrängt werden, indem ihnen mit der Kürzung ihrer finanziellen Hilfen gedroht wird. „Außerdem müssen die Leute ihre Arbeit ohne negative Folgen beenden können, wenn sie sich dazu nicht mehr in der Lage fühlen“, gibt die Pflegdienstleiterin zu bedenken. Zumindest zum ersten Punkt gibt es von Seiten des Arbeitsamts Entwarnung, wie Pelizäus-Seidel erklärt: „Wir wollen Langzeitarbeitslosen eine Chance geben. Wer sich diese Arbeit aber nicht zutraut, der muss auch nicht.“

Auch Vorwürfe, das Arbeitsamt wolle mit dieser Initiative lediglich die Statistik schönen, weist sie von sich: „Die Idee kam ursprünglich vom Gesundheitsamt, nicht von uns. Außerdem werden die Zahlen so niedrig sein, dass sie sich kaum auf die Statistik auswirken.“

Marliese Biederbeck glaubt, dass sich die Arbeitsagenturen „schwer tun werden“, für die Arbeit als Pflegeassistent geeignete Leute zu finden. Die Initiative des Gesundheitsamts sei im Grunde nur „eine Verbesserung auf niedrigem Niveau. Das beantwortet aber nicht die Frage nach mehr qualifizierten Pflegekräften.“

Von Eva Ziegler

Artikel vom 28.08.2008
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