Ausstellung in Dachau über Rechtsextremismus im Münchner Fußball zur Nazizeit

München - Blick auf die beschämende Vergangenheit

S. Schollmeyer (li., hier: Ausstellungseröffnung, Dachau, m. BFV-Präsident Dr. R. Koch, Diakon K. Schultz u. d. Präsidentin d. Zentralrats der Juden in Deutschland, Ch. Knobloch) hat Fakten ausgegraben. F.: Bayer. Fußball-Verband

S. Schollmeyer (li., hier: Ausstellungseröffnung, Dachau, m. BFV-Präsident Dr. R. Koch, Diakon K. Schultz u. d. Präsidentin d. Zentralrats der Juden in Deutschland, Ch. Knobloch) hat Fakten ausgegraben. F.: Bayer. Fußball-Verband

Auf den ersten Blick ist es eine ungewöhnliche Ausstellung, die seit Beginn der Fußball-EM in der Versöhnungskirche Dachau gezeigt wird, „Kicker, Kämpfer, Legenden“ lautet ihr Titel. Die Schau beschäftigt sich mit der Geschichte der Juden im deutschen Fußball – und wirft einen Blick zurück in eine erst glanzvolle, später leidvolle Zeit, die zumeist in Vergessenheit geraten ist.

Es ist ein Blick zurück in eine Epoche, die immer noch Vorlage für rechte Randalierer und Judenhasser im Fußball ist.

„Alle Polen müssen einen gelben Stern tragen“, riefen erst am vergangenen Wochenende rund 60 Rechtsextreme am Rande des ersten EM-Spiels der deutschen Mannschaft in Klagenfurt. Und nahmen damit Bezug auf den Judenstern, den die polnischen Juden nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht ab September 1941 tragen mussten. Ein zweiter Trupp lief zum Anpfiff durch die Straßen des kleinen österreichischen Städtchens und skandierte: „Deutsche wehrt euch. Kauft nicht bei Polen!“

Große Namen – heute fast vergessen

Vergessen ist dabei offensichtlich, dass es Juden waren, die den deutschen Fußball einst mit aufgebaut haben. Etwa Walther Bensemann (1873 – 1934), der als einer der Gründerväter des deutschen Fußballs gilt. Englische Mitschüler hatten ihn auf einem Internat im schweizerischen Montreux mit dem Fußballfieber angesteckt. Zurück in Deutschland, hob der Enthusiast zahlreiche Vereine aus der Taufe und war an der Gründung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) im Jahr 1900 beteiligt. Er, der an die „Völkerversöhnung durch den Sport“ glaubte, organisierte das erste internationale Spiel in Deutschland: Damals trat eine süddeutsche Auswahl gegen ein englisches Team an. 1920 gründete Bensemann die Fußballzeitschrift „Der Kicker“. Weitgehend vergessen ist auch der Stürmer und Nationalspieler Julius Hirsch (1892 – 1943), der unter anderem mit dem Karlsruher FV Deutscher Meister wurde. Oder Gottfried Fuchs, den der spätere Bundestrainer Sepp Herberger „mein Idol“ nannte. Der begnadete Mittelstürmer schoss bei den Olympischen Spielen 1912 in Stockholm in einem Spiel gegen Russland zehn Tore – ein bis heute in Deutschland ungebrochener Rekord.

1933 wurden diese erfolgreichen Karrieren schlagartig beendet. Die Nationalsozialisten veranlassten, dass jüdische Sportler, Trainer und Funktionäre aus den Vereinen ausgegrenzt und ausgeschlossen wurden. Bis zum 10. November 1938 durften Juden nur noch in jüdischen Vereinen spielen. Danach wurden alle Sportaktivitäten für sie verboten. Sie teilten das Schicksal aller europäischen Juden, wurden verfolgt und zum Teil in Konzentrationslagern ermordet.

TSV und FC Bayern im Dritten Reich

Dasselbe erlebten die Juden in Münchner Fußballvereinen. Ganz besonders willfährig war der TSV 1860. „Seine Mitglieder waren eher national gesinnt und so hatte der Verein ab den 20er-Jahren völkische Seilschaften im Haus“, berichtet der Münchner Diplomarchivar Anton Löffelmeier, der sich seit langem mit Fußballgeschichte beschäftigt. Viel kann er nicht zu jüdischen Biographien beim TSV 1860 sagen, verbrannt ist vieles aus dem Archiv und dazu einiges verschludert. Aber er will weitersuchen.

Beim FC Bayern ist es ein wenig besser bestellt um die Geschichtsdaten, aber oft sind nur die Schicksale der Vereinsspitzen nachvollziehbar. „Judenverein“ wurden die Bayern einst geschmäht, wegen Präsident Kurt Landauer etwa, der ins Exil ging und nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs zurück kam zu den Bayern. Oder wegen Jugendleiter Otto Beer. Den legendären Linksaußen und späteren Nationalspieler Wilhelm „Schimmy“ Simetsreiter hatte Beer etwa betreut. Doch in den 30er- Jahren war Schluss damit. Beer wechselte zum Jüdischen Turn- und Sportverein – ob freiwillig oder nicht, ist nicht mehr nachvollziehbar. 1941 dann wurde der FCB-Jugendleiter ins litauische Kaunas deportiert. „Und dort ist er dann umgebracht worden“, sagt Löffelmeier.

Möglichst viele jüdische Biographien möchte der Archivar auch über den TSV 1860 finden – nächstes Jahr soll ein Buch darüber erscheinen. Es wird das erste Mal sein, dass sich die Löwen wirklich ihrer Geschichte stellen müssen. „Bei der 100 Jahr-Feier 1960 wurden Täter wie Opfer verschwiegen“, kritisiert Löffelmeier. „Dabei gab es sicher damals noch Vereinsmitglieder, die diese Leute kannten.“ Solch ein Blick rückwärts sei wichtig für Vereine, die so viel Wert auf Tradition legen wie 1860. „Man muss sich mit der gesamten Vergangenheit beschäftigen“, fordert der Archivar – und kritisiert den Umgang des TSV 1860 und des FC Bayern mit der eigenen Geschichte. „Da gibt’s sicher Vereine, die sehr viel aktiver und weiter sind.“ Der Hamburger Sportverein etwa hat ein eigenes Museum. „Wieso ist das nicht in der schönen neuen Arena möglich“, fragt Löffelmeier.

„Die Geschichte ist geschrieben“

Und in der Tat zeigt sich der Stadionbesitzer und Fußballkonzern FC Bayern alles andere als aufgeschlossen in der Geschichtsaufarbeitung. Zu einer Fachkonferenz zum Thema kam kein Bayern-Vertreter. Zur Ausstellung, die in Dachau läuft, hat der FC Bayern nichts beigetragen: „Ich habe versucht mich dem jüdischen Präsidenten Landauer zu nähern, wurde aber nicht unterstützt“, sagt Ausstellungsmacherin Swantje Schollmeyer.

Zur Eröffnung der Ausstellung in Dachau dieser Tage kam zwar die Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, und der Chef des Bayerischen Fußballverbandes, Dr. Rainer Koch, sowie Vertreter der Fangruppen „Löwen gegen Rechts“ und „Schickeria“ – aber kein Vereinsoffizieller. Der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge war eingeladen, hatte jedoch abgesagt und auch keinen Vertreter geschickt.

Ins Bild passt der Umgang mit der Presse: Dieser Tage werden Fragen zum Thema Vergangenheit – unter dem Vorschützen von laufenden Umbauarbeiten – noch nicht einmal an die Pressestelle des FC Bayern durchgestellt, sondern nach Rücksprache mit der Pressestelle schon in der Telefonzentrale abgewimmelt. „Die Bayern haben ihre Geschichte schreiben lassen, das reicht ihnen wohl“, sagt Fußballarchivar Löffelmeier dazu. Und in der Tat habe es bei den Bayern deutlich mehr Widerstand gegen die Nazis gegeben und sogar einen jüdischen Präsidenten. „Aber das kann keine Begründung sein, sich gar nicht mehr mit der eigenen Vergangenheit zu beschäftigen“, kritisiert Löffelmeier. Schließlich seien die Umstände von Landauers Exil und seine Rückkehr nie detailliert öffentlich diskutiert worden.

Sein Fazit: „Mit den Führungsschichten bei FC Bayern ist das nicht einfach, die kümmern sich nicht.“ Der TSV hat dagegen noch keine genaue Geschichtsschreibung machen lassen – dafür geht man inzwischen einigermaßen offen mit dem Thema der alten und aktuellen Nazis um. „Wir haben keine Aufarbeitung gemacht, weil wir akut keinen Anlass sehen – dafür haben wir ganz aktuell rechtsradikale Kleidung im Stadion bei Heimspielen des TSV verboten“, erklärt Sebastian Weber aus der Medienabteilung des TSV den Umgang mit brauner Vergangenheit und Gegenwart.

Allerdings würde jeder unterstützt, der dazu recherchieren wolle – sofern es im brandgeschädigten Archiv etwas zu finden gibt. Von Max Hägler

19 Vorfälle in 13 Monaten

Zwischen dem 1. März 2007 und dem 31. März 2008 kam es auf Bayerns Fußballplätzen zu insgesamt 19 Vorfällen mit rassistischem, diskriminierendem oder antisemitischem Hintergrund. Das ergab die Auswertung von insgesamt 90.509 durchgeführten Spielen durch den Bayerischen Fußballverband (BFV). „Das ist ein verschwindend geringer Anteil von 0,02 Prozent“, erklärte Reinhold Baier, BFV-Vizepräsident und Leiter der Arbeitsgruppe „Gemeinsam und fair“ dem „SamstagsBlatt“. Die vom BFV gegen diese Erscheinungsformen durchgeführten Kampagnen hätten offensichtlich Wirkung gezeigt. „Dennoch ist festzustellen, dass jeder Fall derartigen, höchst unsportlichen Auftretens ein Fall zu viel ist.“ Der BFV werde deshalb auch in Zukunft kompromisslos gegen jede Form von Rassismus, Diskriminierung, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit vorgehen.

TSV Maccabi München

Seit 1965 haben Münchner Juden in einem eigenen Fußballverein wieder Fuß gefasst: Der TSV Maccabi München wurde von Überlebenden des Holocaust gegründet, mittlerweile treffen sich über 750 jüdische und nichtjüdische Kinder, Jugendliche und Erwachsene aus 15 Nationen regelmäßig, um Fußball und Tennis zu spielen.

Geste der Versöhnung

Die Ausstellung „Kicker, Kämpfer, Legenden“ ist bis September zu sehen in der Versöhnungskirche Dachau, auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte (Alte Römerstraße, nördlicher Teil der Gedenkstätte). Geöffnet ist dienstags bis samstags von 10 bis 16 Uhr und sonntags im Anschluss an den Gottesdienst von 12 bis 13 Uhr. Bei der Eröffnung lobte Rainer Koch, Präsident des Bayerischen Fußballverbandes: „Die Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte ist eine gute Gelegenheit, Menschen, die einst ins Abseits gestellt wurden, wieder lebendig zu machen und sie zur Versöhnung hereinzuholen.“

Das Team des SamstagsBlatt stellt Fragen:

Herr Schröger, Sie sind 60er – und aktiv gegen Neonazis im Stadion bei der Gruppe „Löwenfans gegen Rechts“. Ist es so schlimm bei den Löwen?

Herbert Schröger: Anders als noch im Olympiastadion zum Glück nicht mehr. Wir in der Gruppe sind gut aufgestellt und auch die Vereinsführung hat nach dem Ende der Wildmoser-Ära aktiv gegen solche braunen Umtriebe gearbeitet und etwa das Tragen von Neonazi-Klamotten verboten. Aber der Block 132 ist schon immer noch ein Hotspot, wo sich einschlägiges Publikum versammelt, Leute aus dem Umfeld des verurteilten Neonazi-Terroristen Martin Wiese. Solche Typen mag ich einfach nicht in meiner Nähe haben.

Und was machen Sie gegen solche Kameraden?

Schröger: Wir bringen ein informierendes Fanzine heraus, wir arbeiten mit der Versöhnungskirche Dachau zusammen, wir reden mit den anderen und wir stehen nah bei denen in der Kurve und halten unser Transparent hoch. Diese Aufmerksamkeit und die Auflagen im Stadion führen dazu, dass sie relativ ruhig geworden sind. Aber wenn wir mal nicht präsent sind, kommen sofort wieder Nazirufe und Beleidigungen. Wir dürfen da nicht nachlassen.

Dann sind Sie mit ihrem bürgerschaftlichen Engagement ja sicher der Liebling der Polizei!

Schröger: Naja. Da würde ich mir mehr Zusammenarbeit wünschen. Die Polizei lehnt etwa ab, dass wir uns zu den Rechten in den Block 132 stellen und verweisen sogar darauf, dass die Rechten dort schon länger stünden und eben ein gewisses Platzrecht hätten.

Welchen Stellenwert hat die Aufarbeitung der Vereinsgeschichte bei diesem Problem?

Schröger: Der Löwen-Präsident von 1936 bis 1945, der Arzt, Oberscharführer und Münchner Stadtrat Emil Ketterer hat ja etwa Euthanasieprogramme unterstützt – also Morde an aus Nazi-Sicht minderwerten Menschen. Im Block kann man immer wieder hören, wie die Rechten diese teilweise bekannten Fakten und die mangelnde Aufarbeitung zusammenmengen: „Der Verein bekennt sich zu seiner braunen Vergangenheit“, ist dann das Ergebnis. Das darf nicht sein. mh

Artikel vom 12.06.2008
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