Fans klagen an: Polizei hat im kleinen Münchner Derby viel zu hart durchgegriffen

Wenn Fußball zur Nebensache wird

Die Polizei machte am Sonntag vor dem Stadion kurzen Prozess. Foto: Polizei

Die Polizei machte am Sonntag vor dem Stadion kurzen Prozess. Foto: Polizei

Was am letzten Sonntag am und im Grünwalder Stadion passiert ist, erhitzt die Gemüter. Viele der Beteiligten standen nach den Ereignissen unter Schock. Viele hatten auch das Glück, nicht mitten in den Trubel hineingeraten zu sein. Aber es hätte wirklich jeden treffen können, der am 9. Dezember in der Nähe des Stadions war.

Jeder Münchner weiß: Wenn der TSV 1860 und der FC Bayern in einem Derby aufeinandertreffen, dann herrscht Ausnahmezustand. In der Regionalliga Süd war die Begegnung der beiden U23-Mannschaften auf den 9. Dezember terminiert. Um 15 Uhr war Anpfiff. Doch den konnten nicht alle miterleben.

Die Fakten

Der Wienerwald in der Tegernseer Landstraße ist Treffpunkt der Löwenfans vor den Spielen im Grünwalder Stadion. Dort ist es am Sonntag gegen 9.30 Uhr – fünfeinhalb Stunden vor dem Anpfiff – zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen TSV- und Bayern-Anhängern gekommen, die die Polizei beendet hat. Drei Personen wurden festgenommen, 80 weitere nahm die Polizei in Gewahrsam. Während des Spiels ist es zu weiteren Vorfällen gekommen. Um Zusammenstöße zwischen den Fangruppen zu vermeiden, hat die Polizei zwanzig Minuten vor Spielende die Westkurve abgeriegelt. Diese Blocksperre hatte bis etwa dreißig Minuten nach Spielende Bestand. Dann wurden die Löwen-Fans von der Polizei „hinausbegleitet“.

So ging es los

Es gibt unterschiedliche Aussagen, wer die Keilerei am Wienerwald provoziert hat. Da ist die Rede von drei Bayern-Fans, die ankamen, nachdem schon mehrere Sechzger vor Ort waren (übrigens eine Stunde vor Öffnung des Restaurants). Augenzeugen wollen mehr als die drei Roten ausgemacht haben. Wie genau es zu der Schlägerei kam, ist unklar. Klar ist: Wenn die Bayern-Fans den Löwen-Treffpunkt „besetzen“ wollen, dann gibt es Schwierigkeiten. Die Rede ist von einer im Vorfeld vereinbarten „Reservierung“ in dem Restaurant durch die Bayern, die die Löwen durch ihre Anwesenheit verhindern wollten, als sie Wind davon gekriegt hatten.

Das sagt die Polizei

Polizeibeamte haben die Schlägerei schließlich beendet und bei der Gelegenheit die rund 80 Löwen-Fans in Gewahrsam genommen. Nicht alle auf einmal, denn einige hätten den Rückzug auf die andere Straßenseite zu McDonald’s angetreten, wie Polizeisprecherin Claudia Haas – übereinstimmend mit Augenzeugenberichten – erklärt. Kurzerhand habe die Polizei neben dem Wienerwald auch das Schnellrestaurant abgeriegelt und die Anwesenden aussortiert. Es seien nur die gewaltbereiten Fans des TSV 1860, die zu der sogenannten „Cosa Nostra“-Gruppierung gehören, in Gewahrsam genommen und mit den bereits am Wienerwald einkassierten Fans ins Polizeipräsidium in der Innenstadt gebracht worden. Dort mussten sie den ganzen Tag verbringen. Dabei hätten die Beamten unterschieden zwischen den aggressiven „Fans“, normalen Fußballfans und natürlich den Zivilisten. Bei den in Gewahrsam genommenen Personen seien 51 Skihauben gefunden worden. Diese eignen sich zur Vermummung – die in Deutschland verboten ist – um eine Strafverfolgung im Fall einer Straftat zu erschweren.

Das geschah nach dem Spiel

Rund 220 Polizeibeamte seien an dem Tag im Einsatz gewesen, allerdings nicht nur im Vorfeld der Partie, sondern auch im Stadion. Zwanzig Minuten vor dem Abpfiff errichteten die Beamten dann die Blocksperre – das heißt, absolut niemand darf den Block verlassen, nicht mal, um zur Toilette zu gehen. „Die Blocksperre wird je nach Einsatzlage verhängt“, sagt Claudia Haas dazu. Welcher Block abgeriegelt wird, das werde vorab geklärt. Damit stand offenbar schon vor dem Spiel fest: Wenn es eine Blocksperre gibt, dann bleiben die Löwen im Stadion. Normalerweise werden erst die Gästefans rausgeführt, dann die des Gastgebers – und das waren an diesem Spieltag die Bayern. Da aber die Löwen als Gäste im Grünwalder Stadion nach Spielende nicht wie andere Gastmannschaften nach Hause fahren müssen, sondern als dort beheimatete Fangruppen vor Ort bleiben können, kann es passieren, dass die Bayern-Fans nach einer möglichen Blocksperre doch wieder auf die Löwen treffen. Von daher ist die Entscheidung der Einsatzleitung sogar nachvollziehbar – zum Leidwesen der Sechzger, die lange ausharren mussten. „Die Fans waren mit der Blocksperre nicht einverstanden“, sagt die Polizeisprecherin zurückhaltend. Es gab Proteste, einige Becher flogen, Beamte wurden geschubst und beleidigt. Polizeisprecher Andreas Ruch spricht gar von einer sehr aggressiven Grundhaltung der Fans und rechtfertigt den Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken: „Einzelne Beamte haben sich ihrer Haut erwehrt.“

Das haben Augenzeugen erlebt

„Etliche in der Nähe stehende Polizisten sprangen herbei und begannen, unterschiedslos jedem Besucher des Spiels, der nicht schnell genug ausweichen konnte, mit Pfefferspray und Knüppeln zu bearbeiten.“ So schreibt es Herbert Schröger im Löwen-Forum und bestätigt diese Beobachtung nochmals im Gespräch mit uns. Der Einsatz sei eskaliert, als die unzufriedenen, aber ansonsten friedlichen Löwen-Fans über zwanzig Minuten nach Spielende – „als die Roten schon lange aus dem Stadion waren“, erklärt Schröger – auch endlich nach Hause wollten. Es wurde unruhig im Block, manch einer verlor die Nerven und warf tatsächlich mit einem Becher nach den Beamten, von hinten schoben ungeduldige Fans die Menge nach vorne, auf die Beamten zu. Diese hätten mit dem wahllosen Einsatz ihrer Verteidigungswaffen völlig überzogen reagiert, kritisiert Schröger. Als Mitglied der „Löwenfans gegen Rechts“ engagiert er sich gerade gegen Gewalt – und musste erleben, wie er und Gleichgesinnte ungerechtfertigt Opfer von Gewalt wurden. Er berichtet von Gewaltanwendungen gegen Frauen und Kinder und von Menschen, die am Boden liegend versuchten, ihr Gesicht zu schützen. Jetzt klagt er an: „Mit Deeskalation hat das überhaupt nichts zu tun gehabt.“ Sein Vorwurf richtet sich weniger gegen die Einsatzkräfte, sondern viel mehr gegen die Einsatzleitung. Sein Eindruck: „Das war unkoordiniert, die Beamten hatten keinen Überblick.“

Von Carsten Clever-Rott

Artikel vom 14.12.2007
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