Finanz-Dilemma um zweite S-Bahn-Stammstrecke

München - Kein Licht am Ende des Tunnels

Ob Münchens S-Bahn jemals auf der geplanten zweiten Stammstrecke fahren wird, steht derzeit in den Sternen. Bild: Archiv

Ob Münchens S-Bahn jemals auf der geplanten zweiten Stammstrecke fahren wird, steht derzeit in den Sternen. Bild: Archiv

Sie sollte die große Entlastung für den Münchner S-Bahn-Verkehr bringen. Doch die zweite Stammstrecke wird mehr und mehr zur Last aller Beteiligten: Die Planungen für die Tunnelröhre, die bis zu vierzig Meter in der Tiefe gebaut werden soll, hängen wegen Finanzierungsproblemen in der Luft; die Kritik an dem Milliardenprojekt wird immer lauter.

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Das bayerische Verkehrsministerium musste Ende Juni einräumen, dass die Kosten für das Mammutvorhaben mittlerweile von 1,5 auf 1,85 Milliarden Euro angewachsen sind. Die offizielle Mitteilung begründet den Zuwachs mit „Erkenntnissen aus der fortgeschrittenen Planungstiefe, der Hinzunahme zusätzlicher und ursprünglich nicht enthaltener Baumaßnahmen sowie einer verlängerten Bauzeit“.

Das Fatale daran: Durch die Verteuerung ist der Kosten-Nutzen-Faktor, der bei solchen Bauvorhaben immer in einem recht komplizierten Verfahren ausgerechnet wird, auf unter eins gefallen. Ein Wert unter eins bedeutet: Das Projekt ist unrentabel. Somit darf es nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungs-Gesetz keine Zuschüsse durch den Bund erhalten, der den Tunnel zur Hälfte mitbezahlen soll.

Die Folge: In der geplanten Form ist der Tunnel, der eigentlich schon ab Anfang des Jahres gebaut werden sollte, unfinanzierbar geworden. Dessen ungeachtet lässt das Ministerium das Planfeststellungsverfahren weiter laufen: Man sucht nach Wegen, Kosten einzusparen, um das Vorhaben zu retten. Im Herbst soll ein neues Konzept vorgestellt werden.

Thomas Kantke überrascht diese Entwicklung nicht: Der Münchner Diplom-Kaufmann sieht den Tunnel als gigantische Fehlplanung, „von der nur die Bauindustrie profitiert“. Gemeinsam mit seinen Bekannten Dietz-Ulrich Schwarz und Stefan Baumgartner, der gerade sein Diplom im Verkehrsingenieurswesen macht, hat er als „unabhängiger S-Bahn-Planer“ ein detailliertes Gegenkonzept zum Tunnel erstellt.

In den Planfeststellungsunterlagen der zweiten Stammstrecke, die im Münchner Stadtmuseum öffentlich auslagen, hatte das Trio eine Reihe von Unzulänglichkeiten gefunden. Kantke machte „große Fehler“ bei den Rettungskonzepten und der Streckenführung aus, wie etwa eine höhengleiche Kreuzung am Leuchtenbergring: „Das ist, als würde man eine Ampelanlage an einem Autobahnkreuz aufstellen“, meint er. Seine Prognose: Der Tunnel werde zu noch mehr Betriebsfehlern und Verspätungen führen – also das Gegenteil von dem erreichen, was er eigentlich bezwecken soll.

Die drei unabhängigen Planer wandten sich mit ihren Einwänden an das Ministerium, „doch das zeigte sich hochgradig beratungsresistent.“ Also setzte man sich an das Alternativkonzept, um die S-Bahn zu entlasten: Eine abgespeckte Variante des Südrings, die 2001 zu Gunsten des Tunnels verworfen wurde.

Der Plan sieht vor, die S-Bahn-Station in Laim über Friedenheimer Brücke, Heimeranplatz, Poccistraße und Kolumbusplatz mit dem Ostbahnhof zu verbinden. Dieser Plan kann nach Berechnung des Trios auf bahneigenen Flächen erstellt werden und würde in der Realisierung nur 600 Millionen Euro kosten. Er ist im Internet unter der Adresse www.tunnelaktion.de/alternativen/Alternativkonzept-BKS.pdf abrufbar.

Thomas Lange, verkehrspolitischer Sprecher der Münchner SPD im Rathaus, findet es „gigantisch“, welchen Aufwand das Trio betrieben hat. Trotzdem sind für ihn auch im Alternativkonzept noch Fragen offen – was passiert etwa mit dem Güterverkehr, der momentan über den Südring abgewickelt wird? An einzelnen Details des Plans hänge noch „ein potenzieller Rattenschwanz“, der den Aufwand und die Kosten der Idee erheblich verteuern könnte.

Nach Kantkes Informationen hingegen wird der Tunnel in jedem Fall noch kostspieliger als offiziell zugegeben: „Wir haben interne Informationen aus dem Ministerium, dass es mittlerweile schon von 2,2 Milliarden Euro ausgeht.“ Er ist außerdem sicher, dass es die Stadt München in der Hand hat, den Tunnelbau aufzuhalten: „Nach allem, was ich gehört habe, würde der Freistaat den Bau stoppen, wenn sich die Stadt dagegen ausspricht.“ Die Grünen im Stadtrat haben sich bereits vom Tunnelbau distanziert. Ursprünglich hatten sie ihn entgegen der Parteilinie mitgetragen, „bevor sich gar nichts zu Gunsten der Fahrgäste tut“, wie Jens Mühlhaus, verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion, erklärt.

Aus Mühlhaus’ Sicht ist der entscheidende Fehler bei den Planungen allerdings bereits 2001 bei der Machbarkeitsuntersuchung gemacht worden, als Tunnel und Südring – den die Grünen favorisiert hatten – gegeneinander abgewogen wurden: „Man hat sich damals den Tunnel billiger und den Südring teurer gerechnet“, glaubt Mühlhaus: „Und schon damals hieß es, dass einen das irgendwann wieder einholt.“ Nun sei genau das passiert: „Man ist auf die Schnauze gefallen.“ Jetzt müsse man nur noch den Mut aufbringen, sich das einzugestehen.

So weit will die SPD im Moment nicht gehen. Lange erklärt, dass seine Fraktion abwarten werde, welche Lösungsvorschläge der Freistaat für das Tunnel-Dilemma parat hat: „Sobald das neue Konzept auf dem Tisch ist, werden wir uns positionieren.“

Artikel vom 02.08.2007
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