Albrecht Ackerland über Mallorca

»Da schau her«

Eigentlich brauche ich das Oktoberfest gar nicht mehr. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich das einmal sagen würde. Neuerdings aber, besser: in diesen Tagen, trinke ich viel lieber leicht angekühlten Rotwein, esse unzählige Tellerchen mit kulinarischen Schweinereien, genieße zwischendurch Fahrten mit großartigen Ausblicken und wenig später durch kniehohes Wildwasser.

Das klingt ohnehin nach Oktoberfest, mal abgesehen vom Rotwein, meinen Sie? Stimmt. Nur viel, viel besser. Ich bin auf Mallorca! Und das gleich noch vorneweg: Die Insel ist gar nicht so wie ihr Ruf.

Zugegeben: Diesen Satz hört man von jeder Deutschlehrerin in Gesundheitslatschen, die an der Käsetheke im Bioladen von ihren Wanderungen in den mallorquinischen Bergen erzählt. Aber, bei aller tendenziellen Abneigung, was Deutschlehrerinnen in Bioläden betrifft: Der Satz, er stimmt!

Im Flieger hierher musste ich noch bierbäuchige Mitglieder eines Kegelvereins mit eher geringem akademischem Hintergrund ertragen, alle in T-Shirts mit dem gleichen Motiv: Ein knollnasiger Mann fährt darauf seinen weichen, immens großen Bauch in einer Schubkarre vor sich her. Welcher Spruch darunter stand, können Sie sich denken.

Doch seit ich in den Mietwagen am Flughafen in Palma eingestiegen bin: keine Spur mehr von derart menschgewordenen geschmacklichen Unglücken. Dafür: Schönheit, nichts als Schönheit, die sich in der Natur festmacht, und zur Natur zähle ich jetzt ausnahmsweise einmal nicht den Menschen.

Berge, Bäume, Meer – alles kommt so schön daher, dass es kaum auszuhalten ist. Dass ich nur wenigen weniger stilvollen Menschen begegne, liegt auch daran, dass ich hier mein eigentliches Interesse an Katastrophentourismus nicht auslebe. Kein Balneareo 6, kein Arenal, keine Platja de Palma, keine Schinkenstraße, keine Bierstraße, kein Oberbayern, keinen Bierkönig. Selbst meinen Mietwagen habe ich nicht bei „Hasso“ gebucht.

Vor meiner Abreise habe ich mir noch fest vorgenommen, zumindest auf einen Eimer Sangria am Ballermann vorbeizuschauen – aus Recherchegründen, versteht sich. Aber manchmal muss man eben Berufliches hintanstellen.

So erlebe ich gerade mein persönliches Oktoberfest. Sogar das Wetter passt: es regnet immer wieder bei 22 Grad und Wind – wie im Oktober in München. Ich esse Tapas ohne Ende, eben diese kleinen Tellerchen, die fast noch besser sind als Hendl auf der Wiesn, und freilich kann keine Wildwasserbahn meine Erlebnisse auf den Bergstraßen in der Sierra de Tramuntana auch nur annähernd erreichen.

Aber ich will ja ehrlich zu Ihnen sein: Ich freue mich auf die Wiesn. Morgen, am Sonntag, komme ich zurück und feiere meinen persönlichen Anstich. Ich werde Männer in T-Shirts treffen, auf denen „Bier formte diesen wunderschönen Körper!“ steht, werde ihnen zuprosten und wissend lächeln. Denn ich habe sie im Flieger sitzen sehen, ich weiß genau, was ihr Begriff von beeindruckenden Erlebnissen ist. Und bin unendlich froh, meinen zu kennen.

Artikel vom 14.09.2006
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