Warum die Münchner Fichte weiterhin nicht vogelfrei ist

München - Die Baum-Bürokratie sprießt

Münchens Fichten sorgen für viel Papier in hiesigen Amtsstuben: Jeder Fällungsantrag muss doppelt geprüft werden, zwischen jeder Prüfung finden Briefwechsel statt.Fotos: Archiv

Münchens Fichten sorgen für viel Papier in hiesigen Amtsstuben: Jeder Fällungsantrag muss doppelt geprüft werden, zwischen jeder Prüfung finden Briefwechsel statt.Fotos: Archiv

Viel Papier vernichtet die Stadt für ihre Bürokratie in Sachen Baumschutz: Jede der rund 3000 Fällungsanfragen pro Jahr, die insgesamt 6000 Bäume betreffen, wird nach vorherigen und nachträglichen Briefwechseln zwei Mal vor Ort geprüft: einmal von einem Beamten der Unteren Naturschutzbehörde – um eine Fachmeinung einzuholen, einmal von einem Mitglied des jeweils zuständigen Bezirksausschusses (BA), der die Relevanz des Baumes für das Stadtbild beurteilt.

Ein Versuch seitens der Unteren Naturschutzbehörde, dieses Verfahren zu verschlanken, ist in der vergangenen Woche im Stadtrat gescheitert. 5000 Bäume werden pro Jahr jeweils nach einer doppelten Begutachtung gefällt. 30 Prozent aller Bäume, die auf der zu überprüfenden Abholzliste stehen, sind Fichten, wie Astrid Sacher weiß, Leiterin der Unteren Naturschutzbehörde. Überdies werden mehr als 93 Prozent aller Fichten auf die ausführliche Prüfung hin tatsächlich abgeholzt. „Auf Basis dieser Zahl wäre es doch sinnvoll, wenn die Fichte aus dem Katalog der schützenswerten Bäume gestrichen wird“, findet Sacher. „Wenn der Stadtrat zugestimmt hätte, hätten wir Bürokratie abbauen und uns die Arbeit immens erleichtern können.“ Jeder Fichten-Besitzer hätte in der Folge ohne offizielle Erlaubnis die Axt schwingen können. Die Kehrseite der Medaille: Wenn die Fichte vogelfrei würde – dann stünden die Baumfäller nicht mehr in der Pflicht, Ersatz-Bäume zu pflanzen. „Die Erfahrung sagt mir aber, dass die meisten Menschen die Natur lieben – und sie daher nach einer Baumfällung freiwillig einen neuen Baum einsetzen würden“, sagt Sacher.

Hätten, werden, würden: Darauf wollte die SPD nicht bauen, die sich gegen die Stimmen der CSU dafür ausgesprochen hatte, die Fichte weiterhin zu schützen: „Wenn es gesicherte Zahlen gäbe, die belegen, dass der Großteil der Baumbesitzer freiwillig eine Ersatzpflanzung macht – dann würde ich dem Antrag der Behörde sofort zustimmen“, sagt SPD-Stadtrat Christian Amlong. „Ich verstehe, dass die Untere Naturschutzbehörde entlastet werden muss – sie muss sparen wie alle anderen auch. Bloß: Wir können es uns nicht erlauben, daher auf die Durchgrünung der Stadt zu verzichten.“ Denn gesunde und leistungsfähige Bäume würden bis zu 70 Prozent des Staubs aus der Stadtluft filtern – und täglich jeweils bis zu 6000 Liter Sauerstoff produzieren.

Amlong würde es allerdings dennoch begrüßen, wenn das Verfahren in Sachen Baumschutz erleichtert würde. „Wenn es möglich wäre, dass die Fällung einer Fichte nur gemeldet werden muss – und im Zuge der Meldung eine Ersatzpflanzung zugesichert wird, dann könnten wir uns künftig die Gutachter sparen und auf die Bürger vertrauen“, sagt er. „Allerdings können wir ein solches Vorgehen nicht selbsttätig einführen – da muss eine Änderung im bayerischen Naturschutzgesetz her.“ Dem doppelten Prüfverfahren in Sachen Baumfällungen werden bisher alle Laub- und Nadelbäume mit einem Stammumfang von 80 Zentimetern und mehr unterzogen – sowie mehrstämmige Bäume, die in Summe ebenfalls mindestens 80 Zentimeter breit sind. Ausgenommen von der Verordnung sind diverse Obstbäume – abgesehen von der Holzbirne, dem Holunder, der Hasel- und der Walnuss. Für das Todesurteil über Bäume, die in der Baumschutzverordnung stehen, braucht man die Erlaubnis der Unteren Naturschutzbehörde.

Dass die Fichte aus dem Katalog der schützenswerten Bäume gestrichen werden soll und als eher „minderwertiger“ Baum gilt, liegt übrigens daran, dass sie in München eigentlich nicht heimisch ist – und auch schwer Wurzeln schlägt, wie Martin Hänsel, stellvertretender Geschäftsführer des Bundes Naturschutz in München, erklärt: „Sie sitzt nicht richtig im kiesigen Boden Münchens – wenn beispielsweise ein Sturm über uns hinwegfegt, ist sie einer der ersten Bäume, die entwurzelt wird. Außerdem reagiert sie sehr empfindlich bezüglich Schädigungen und ist anfällig für Fäule.“

Dennoch ist Hänsel dagegen, sie generell der Axt freizugeben: „Sonst wird wild herumgeholzt – die Pflicht zur Ersatzpflanzung muss einfach erhalten bleiben. Außerdem gibt es keine Garantie dafür, dass Bürger minderwertige Fichten nicht mit wertvollen Nadelbäumen verwechseln – und letztere aus Unwissen abschlagen.“

Sacher von der Unteren Naturschutzbehörde kann daher nur hoffen, dass die Stadt in Sachen Baumschutz an anderer Stelle entlastet wird: „Künftig wollen wir den Bezirksausschüssen nur noch eine Liste der Bäume, die auf der Fäll-Liste stehen, zukommen lassen – ohne die Verpflichtung, dass diese begutachtet werden müssen. Nur, wenn die Stadtteilpolitiker einen Fall für dringend prüfenswert halten, sollen sie sich – in ein oder zwei statt bislang in sechs Wochen – dazu äußern“, schlägt sie vor. Ist der BA nicht misstrauisch, muss auch nicht weiter diskutiert werden; neben Bürokratieabbau wäre auch eine Beschleunigung des gesamten Genehmigungs-Prozesses eine positive Auswirkung dieses Planes.

Die SPD befürwortet Sachers Vorschlag: In Kürze solle dieser in der BA-Satzungskommission fixiert werden, so Amlong. Ob diese Regelung allerdings auch in der Praxis die Bezirksausschuss-Mitglieder davon abhalten wird, weiterhin mit den Behörden über jeden Baum zu diskutieren, sei dahingestellt: Manche BAs nämlich sind so eifrig in Sachen Umweltschutz unterwegs, wie Stadtbaurätin Christiane Thalgott berichtet, dass sie sogar 26 Baumbeauftragte haben.

Es scheint also, als würden auch künftig noch viele Bäume sowohl inhaltlich als auch in Papierform die Akten der Münchner Behörden füllen und Bürokratie-Blüten treiben. Ob es davon grüner wird in der Stadt? Von Nadine Nöhmaier

Artikel vom 19.01.2006
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...