Albrecht Ackerland über Silvester

»Da schau her«

Es ist jedes Jahr das Gleiche. Spätestens Mitte November geht die Fragerei los: „Was machst’ eigentlich an Silvester?“ Ich sag dann immer: „Nix!“ Das ist immer wieder erheiternd, denn so erhält man beeindruckende Gesichtsausdrücke seines Gegenübers. Die Bandbreite dieser rangiert zwischen mitleidig, verdutzt und verständnislos. Ein gutes Mittel, um den Charakter des anderen zu erforschen.

Mal wird man anschließend gefragt, was denn los sei, ob es einem schlecht gehe, ob man öfter mal allein daheim eine Flasche Cognac leere. Mal wird man entrüstet angeherrscht, man solle sich doch bitte selbst verarschen, schließlich macht doch jeder, ja wirklich jeder an Silvester etwas. Und sei es, in den Fernseher zu starren.

Dafür ist heuer sowieso ein ganz besonders gutes Jahr. Denn zum einen wird die Alkohol-im-Alter-Huldigung „Dinner for One“ gezeigt, zum ersten Mal seit... Nun ja, zumindest zum ersten Mal seit einem Jahr. Außerdem – oder: vor allem – verabschiedet sich der lange als unvermeidlich geltende Karl Moik vom Schirm. Seine letzte Tat: der Silvester-Stadl. Das wahrscheinlich wichtigste Fernsehereignis des Jahrzehnts. Der Moik geht, die Freude kommt. Wahrscheinlich wird die Freude in vierzig Jahren allerdings noch zulegen, dann nämlich, wenn sich Florian Silbereisen verabschiedet. Doch der TV-Schmarren soll hier ja nicht das Thema sein.

Was ich nun wirklich an Silvester mache? Na – nix. Ja, wirklich. Also: Natürlich werde ich aufstehen, ich werde frühstücken, dazwischen immer wieder atmen, ich werde die Zeitung lesen, schließlich unvermeidlich die Glotze anschmeißen, wahrscheinlich werde ich – gleich dem Hinstarr-Zwang bei einem Verkehrsunfall – immer wieder beim Moik hängen bleiben, ich werde auf mindestes vier verschiedenen Sendern zuvor erwähnte Alkohol-Huldigung anschauen und immer wieder aufs Neue leicht entrückt über den Butler lachen, der so wahnsinnig komisch über den Tigerkopf stolpert.

Kurz vor Mitternacht mache ich mir dann das ungefähr vierte Weißbier (Bayern-Schampus!) auf – ja, der Ackerland trinkt allein zu Hause. Dann höre ich im österreichischen Radio (über Kabel empfangbar) das seltene Läuten der von mir so geliebten Pummerin an – jener besonderen Glocke im Wiener Stephansdom. Dann irgendwann schlaf ich auf dem Sofa ein. Ohne irgendjemand ein „frohes Neues“ gewünscht zu haben. Das ist seit ein paar Jahren eine grassierende Unsitte. Denn es heißt: Ein gutes Neues! Selbiges wünsche ich Ihnen natürlich herzlichst!

Artikel vom 28.12.2005
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