„Da schau her“

„Du bist Friedrich Schiller!“ – so und so ähnlich wird seit einiger Zeit versucht, die Stimmung im Land aus dem Tief zu holen. Die Kampagne nennt sich „Du bist Deutschland!“. Harald Schmidt und Günther Jauch machen mit. Franz Beckenbauer sicherlich auch, denn keiner ist so Deutschland wie der Kaiser, schließlich hat er uns die WM beschert.

Schiller und Goethe und Einstein sind der Kampagne zufolge auch Deutschland – natürlich vollkommen ungefragt. Oder haben die Kampagnenmacher besondere Verbindungen ins Jenseits? Könnte sein, schließlich sind wir seit diesem Jahr auch alle Papst. Wenn das so ist, dann freue ich mich jetzt schon auf „Du bist Ulrike Meinhof!“ und „Du bist Rudi Dutschke!“. Doch soweit wird es nicht kommen, denn mit der Kampagne soll kein neuer Aufstand herbeigeführt werden, auch wenn ein solcher derzeit vielleicht sogar von Nöten wäre.

Lieber wird also im Sonnenlicht der (historischen) deutschen Persönlichkeiten gewildert. Nur geht das alles nicht auf: Schauen Sie sich nur das nachmittägliche Fernsehprogramm an: ein Goethe schaut das nicht, ein Schiller nicht und auch kein Einstein – abgesehen davon, dass das Jenseits keinen Kabelanschluss hat. Millionen andere schauen das aber, denn Millionen andere haben recht viel Zeit dafür.

Viel ehrlicher und konsequenter wäre es, ganz andere Slogans auf Plakatwände zu kleben: „Du bist Arbeitslosigkeit!“, „Du bist schlechter Geschmack!“, „Du bist Hartz IV!“, „Du bist illegal in Deutschland!“, „Du bist Intoleranz!“, „Du bist Atomkraft!“, „Du bist hier nicht gewollt!“. Oder: „Du bist Heino!“, „Du bist Hansi Hinterseer!“, „Du bist Günther Beckstein!“. Ich für meinen Teil bin und bleibe, wer ich bin. Einen Teufel werde ich tun, zu sagen: „Du bist Albrecht Ackerland!“. Denn ich sage mir wenn, dann: „Du bist München!“

Artikel vom 03.11.2005
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