Wildtiere ziehen in den Münchner Großstadtdschungel

München - Rendezvous mit Waschbären

Anton Fellner von der Unteren Jagdbehörde kümmert sich um ein Rehkitz.	Foto: KVR

Anton Fellner von der Unteren Jagdbehörde kümmert sich um ein Rehkitz. Foto: KVR

Um sich gute Nacht zu sagen, müssen sich Fuchs und Hase künftig nicht mehr an einsamen Waldlichtungen treffen: Die Herren Reinecke und Lampe verabreden sich fürs tierische Tête-à-Tête auch gerne im Westpark, im Nordfriedhof oder im Pausenhof des Michaeli-Gymnasiums. Und noch mehr: Auch Rehe, Marder, Gänse, Waschbären – ja sogar Wildschweine sind zu waschechten Münchnern mutiert.

„Ausnahmslos alle Tiere, die auf dem Land leben, leben auch in der Stadt“, weiß Anton Fellner von der Unteren Jagdbehörde. Und ist überzeugt: „Eine echte Gefahr bilden die Wildtiere nicht für den Stadtmenschen – selbst die Vogelgrippe wird zu sehr dramatisiert.“

Gut 2.000 Füchse schleichen im Winter im Münchner Stadtgebiet herum, im Sommer sogar 5.000 bis 6.000, schätzt Fellner – Tendenz steigend. „Seit dem Sieg über die Tollwut hat sich der Fuchsbestand extrem vermehrt. Daher ist es den Tieren draußen auf dem Land zu eng geworden: also gehen sie auf Stadtbummel“, ergänzt Diplomforstwirt Andreas König, der sich an der Technischen Universität München der Erforschung von Stadtfüchsen widmet. Der rotbraune Schlaumeier finde sich in Gartenstrukturen wunderbar zurecht, natürliche Feinde habe er keine in der Stadt.

„Füchse sind Opportunisten – die leben sich schnell in München ein. Sie schlafen auf Baugerüsten, stibitzen Hunde- oder Katzenfutter und schnappen sich die Meisenknödel, die für Vögel aufgehängt wurden. Ein paar Küchenabfälle vom Komposthaufen machen ihren Speiseplan komplett.“ Fellner von der Jagdbehörde bestätigt: „Es geht den Wildtieren in der Stadt viel besser als auf dem Land; hier werden sie gefüttert, müssen kaum mehr jagen gehen.“ Auch und vor allem in der Nähe von Schulen würden sich Füchse oft herumtreiben – um dort in den Abfalleimern nach verschmähten Pausebroten zu fischen.

„Viele Menschen haben Angst, wenn sie einen Fuchs sehen, der zutraulich wirkt“, sagt Fellner. Doch er beruhigt: „Die Tollwut gibt es bei uns nicht mehr. Die Füchse haben nur ihre Scheu verloren, weil sie gelernt haben, dass ihnen die meisten Menschen nichts tun.“ Auch die Wahrscheinlichkeit, Menschen könnten sich über den Kot der Tiere mit dem Fuchsbandwurm infizieren – und langfristig unter Leberschäden leiden, hält er für gering: „Es ist wahrscheinlicher, dass man einen Sechser im Lotto hat.“ Außerdem sei es nicht finanzierbar, den Bandwurm via Entwurmungsmittel flächendeckend auszurotten.

Zumindest punktuell in Grünwald wurde ein solches Medikament einmal ausgelegt: „Dort sind anschließend weder Füchse noch Kotproben mit Fuchsbandwurm gefunden worden“, sagt er.

Fellner beruhigt, in der Stadt seien ohnehin immer weniger infizierte Füchse, zumal sie den Zwischenwirt für den Bandwurm, die Maus, kaum mehr jagen würden: „Füchse von heute gehen lieber zu McDonalds und fischen sich Hamburgerreste aus dem Müll.“ Wer trotzdem Sorge hat, kann sich bei Fellner Rat holen: Unter der Telefonnummer 233 44 634.

Auch Waschbären räumen mit Vorliebe Mülltonnen aus. In Kassel wurden die putzigen Nager bereits zur Plage, weil sie ganze Obstbaumplantagen geplündert hatten. Auch ihr munteres Liebesleben soll vielen Stadtbewohnern schon den Schlaf geraubt haben. Wobei sich der Waschbär in München noch gar nicht richtig durchgesetzt habe, so Fellner. „Hier hat sich der Fuchs breit gemacht, da müssten erst Revierkämpfe stattfinden.“

Die „städtischen“ Wildtiere sind also keine direkte Gefahr für den Menschen – wirtschaftliche Schäden verursachen sie allemal: Auf den Friedhöfen wühlen Kaninchen die Gräber auf, ferner untergraben sie Bahngleise, die dann absinken können. Um solche „Grabungstätigkeiten“ in Griff zu bekommen, werden die Tiere dort, wo sie überhand nehmen, gejagt: Rund 1.000 Tiere werden pro Jahr geschossen. „Natürlich nur nach eingehender Prüfung, ob das wirklich notwendig ist“, so Fellner. „Und dort, wo Menschen in irgendeiner Form durch die Jagd gefährdet sein könnten, gibt es definitiv keine Schieß-Erlaubnis.“

Auf den Münchner Friedhöfen beispielsweise werde überall gejagt – mit einer Ausnahme: „Im Ostfriedhof gab’s immer Probleme mit den Kaninchen“, sagt Fellner. „Wir mussten die immer schießen. Plötzlich aber merkten wir, dass nur noch eine gesunde Anzahl von ihnen da war.“ Was passiert war? „Ein Fuchs war auf den Friedhof gezogen! Er jagte fortan die Kaninchen – jetzt herrscht ein natürliches Gleichgewicht auf dem Friedhof. Das ist ein Idealfall.“ Der beauftragte Jäger freut sich auch: „Der Fuchs hilft mir prima.“

Wovor Fellner Sorge hat, ist der Einzug des Dachses in die Stadt. „Er kommt – dafür gibt es viele Hinweise“, sagt er. „Das Problem: er lässt sich nicht wie der Fuchs von den Menschen verscheuchen. Wenn ihn jemand angreift, kann es sein, dass er sich wehrt.“

Vor der Vogelgrippe allerdings hat er keine Angst: „Der H5N1-Virus ist ein Weltbürger“, sagt er. „Den gibt es immer schon, er flammt immer wieder auf. Daher wird er definitiv auch übernächste Woche bei uns auftauchen. Das ist alles Panikmache.“

Die Weltgesundheitsorganisation und viele Forscher dagegen befürchten, dass das H5N1-Virus mutieren könnte, bis es von Mensch zu Mensch übertragbar ist. Was ihre Sorge bestärkt: Die Variante H1N1, die von 1918 bis 1920 als Spanische Grippe grassierte und bis zu 50 Millionen Tote forderte, war ebenfalls ein reines Vogelvirus, das sich an den Menschen angepasst hatte. Von Nadine Nöhmaier

Artikel vom 27.10.2005
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