Albrecht Ackerland über die Beste Wiesn

„Da schau her“

Klar könnte man jetzt wieder genug an der Wiesn finden, um rumzunörgeln. Ein bisserl was geht immer, der Spruch gilt auch im negativen Sinn. Das Wetter war nur suboptimal.

Unzählige Handtaschen, Geldbeutel und anderes Teures wurde geklaut. Es ist immer noch erlaubt, hässliche Hüte in Bierfass- und Maßform zu verkaufen – schlimmer noch, diese Hüte werden auch noch getragen. Eine miserable Steaksemmel kostet draußen vier Euro fünfzig, ein nackertes Hendl ohne Semmel drinnen ungefähr 15. Die jeden Menschen mit Verstand und Geschmack beleidigende Trachtlerei grassiert wie eine Pest. Den Münchnern wird noch immer nicht automatisch eine Dauereinlasskarte für ein Zelt nach Wahl zugestellt. Das neueste Fahrgeschäft dauert 45 Sekunden und kostet trotzdem soviel wie eine Steaksemmel...

Ja, das neue Fahrgeschäft. Leider viel zu kurz, und trotzdem hat’s mich gefreut, es nach ein paar Maß auszuprobieren. Ich bin kein großer Freund von wilden High-Tech-Karussells, aber die heurige Wiesnneuheit ist was? Ein Kettenkarussell! Ein bisserl höher als früher, ja, das schon, 50 Meter sind’s fast. Aber dennoch: ein Kettenkarussell!

Sie werden jetzt vielleicht sagen, ja, der Ackerland wieder, der alte Traditionalist. Sie wissen: ich bin offen für alles Neue, hasse nichts mehr als Rückständigkeit, vor allem wenn sie im Hirn stattfindet. Aber was die Wiesn betriff, tick’ ich einfach anders. Aus gutem Grund. Das Oktoberfest mag von mir aus die größte Party der Welt sein, in erster Linie aber ist es ein Münchner Fest. Da kann schon mal ein Lied von AC/DC im Zelt gespielt werden, aber es muss nun wirklich nicht so laut sein wie auf einem Rockkonzert. Die Kapelle im Hacker-Zelt zum Beispiel macht’s vor, was behutsame Entwicklung bedeutet: Seit letztem Jahr ist dort der Wiesnhit „Ich rocke!“ von den Sportfreunden Stiller, einer Band aus Germering, zu hören.

So mag ich das, da stell ich mich dann auch mal auf die Bank und spiele Luftgitarre. Aber bitte, liebe Kapellen und Wirte, lasst’s die gute alte Wiesnmusik – die Blasmusik und bayerische Schlager – nicht aussterben. Doch seit diesem Jahr hab ich wieder Hoffnung: es ist leiser, angenehmer, schöner. Party ist trotzdem, das kann ich nun wirklich bezeugen. Und: ich hab heuer noch keine einzige Schlägerei mitbekommen. An so was kann ich mich schon ganz lang nimmer erinnern. Das war meine schönste Wiesn seit Ewigkeiten.

Also: wenn jetzt noch die scheußlichen Spaßhüte und die Kartoffelsacktrachten samt Kunstleder-Applikationen verschwinden, dann ist es wieder soweit: München hat nicht nur die größte Party der Welt, sondern auch das allerschönste Fest auf Erden!

Artikel vom 29.09.2005
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